7 von 9 Erzählungen konnten überzeugen; zwischen bissigem Humor und brillanten Ideen und seltsamen Verirrungen war es allerdings eine Gratwanderung.
Titel: Die steinerne Matratze
Autor: Margaret Atwood
Verlag: Berlin Verlag im Piper Verlag
Klappentext: »Verna hatte anfänglich nicht vorgehabt, jemanden zu töten.« Mit diesem fulminanten ersten Satz beginnt die titelgebende Erzählung und sofort befindet man sich im Atwood-Kosmos, sofort wird man hineingezogen in eine Geschichte, die hintergründig, spannend und unglaublich komisch zugleich ist.
Verna begibt sich auf eine Arktisreise, um endlich alles hinter sich zu lassen, um abzuschalten. Doch statt Ruhe, Weite, Eis und Schnee trifft sie unerwartet auf den Mann, der ihr Leben für immer veränderte, als er sie vor über fünfzig Jahren zum Schultanz lud, die unscheinbare, fleißige Verna Pritchard an der Seite des begehrten Footballstars. Wie Verna nun späte Rache übt, erzählt Atwood so lakonisch und souverän, wie es nur die »Queen der kanadischen Literatur« (Literarische Welt) vermag, erzählt in einer einzigen Geschichte ein ganzes Leben. All ihre stilistische Virtuosität, die Leichtigkeit, den Witz und die Ironie legt Margaret Atwood in diesen Band, ein Glanzstück ihrer Erzählkunst. (zur Verlagsseite)
„In Alphinland gibt es keine Vergangenheit. Es gibt keine Zeit. Aber hier, wo wir jetzt sind, gibt es Zeit. Wir haben immer noch ein bisschen Zeit.“ (aus: „Dark Lady“)
Bisher habe ich zu meiner Schande noch nichts von Margaret Atwood gelesen, „The Handmaid’s Tale“ steht bei mir seit Jahren ungelesen im Regal. Aber als ich die Beschreibung zur „steinernen Matratze“ gelesen habe, dachte ich, dass es doch interessant wäre, mit Kurzgeschichten in die Welt der Margaret Atwood einzutauchen.
9 Erzählungen sind in diesen Band gefasst, teilweise verknüpft, teilweise komplett anders als die anderen. Jede erzählt uns auf ein paar Seiten fast die ganze Lebensgeschichte der jeweiligen Personen, und das auf eine Art, die ganz wunderbar funktioniert: Bissig, verrückt und mit jede Menge trockenem Humor lässt Atwood uns an den Geschichten dieser Menschen teilhaben. Alle dieser Personen sind etwas besonderes, ob sie nun meisterhafte Fantasy-Literatur schreiben, winzige Persönchen sehen, ein großer Dichter gewesen sind oder einfach nur jemanden ermordet haben. Atwood schafft es, auf diesen wenigen Seiten, die sie für diese Geschichten nutzt, einen kleinen Mini-Kosmos zu schaffen, in den man sofort reingezogen wird, ob man will oder nicht. Man will unbedingt wissen, wie die Geschichte ausgeht, und teilweise ist das Ende befriedigend, manchmal aber auch offen gelassen.
Sie fest in seinen Armen zu halten – nein, sie festzuhalten – ist das Elektrisierendste, was er je erlebt hat. Sie surrt vor Gefahr wie eine Hochspannungsleitung, sie ist eine offene Steckdose; sie ist die Summe seiner eigenen Unwissenheit, die Summe aus allem, was er nicht begreift und niemals begreifen wird. (aus: „Der gefriergetrocknete Bräutigam“)
Nicht alle der 9 Geschichten haben es geschafft, mich anzusprechen, manche waren einfach etwas wirr und ich musste zeitweise zurückblättern, um noch einmal die Namen nachzulesen, oder wer jetzt wer ist. Ich fand es schön, dass die ersten drei Geschichten lose aneinander geknüpft waren, und habe mich gefreut, dass die Geschichte der in „Alphinland“ erwähnten Personen noch weiter ausgeführt wird. Schon an der Inhaltsangabe sieht man jedoch, dass diese drei von den anderen Geschichten abgetrennt sind. Die Erzählungen nach den ersten dreien fand ich alle unterschiedlich gut, die Erzählperspektiven wurden gewechselt, teilweise wurde leider auch gar nicht die gesamte Story aufgedeckt, die mich aber sehr interessiert hätte („Der gefriergetrocknete Bräutigam“), wieder andere waren jedoch auf ihre Art sehr wirr und ich konnte nicht wirklich etwas damit anfangen („Bezaubernde Zenia“). Im Nachwort wird erzählt, dass die „bezaubernde Zenia“ für ein Projekt gewesen sei, in dem eine Person aus einem früheren Werk wieder auferstehen sollte. Da ich das Werk („Die Räuberbraut“) leider nicht kenne, konnte ich dementsprechend auch nichts mit dieser Geschichte anfangen.
Wiederum sehr gut fand ich, wie oben schon angedeutet, die ersten drei Erzählungen um die Fantasy-Schreiberin und ihren ehemaligen Geliebten, einen Dichter, gesponnenen Geschichtsstrang. Diese drei Kurzgeschichten konnten mich mit ihrem Humor gewinnen und machten hungrig auf die restlichen sechs:
„Ich werd jetzt mal Tee machen. Benimm dich, wenn Naveena kommt, sonst gibt’s keinen Keks.“ Die Sache mit dem Keks ist ein Scherz, ihr Versuch, die Dinge zu entkrampfen, aber er stellt mit Entsetzen fest, dass die Drohung mit Keksentzug ihn wirklich trifft. Keinen Keks! Eine Woge des Elends schlägt über ihm zusammen. (aus: „Wiedergänger“)
Dieser Humor war konstant durch den gesamten Erzählband gehalten, was mich sehr gefreut hat. Teilweise gab es auch romantische, traurige, und entsetzliche Momente, die alle wunderbar dargestellt wurden durch Atwoods tollen Schreibstil. „Verbrennt die Alten“ ist auch ein sehr gelungener Abschluss für dieses Buch, sein emotionales Ende schließt den Band perfekt ab.
Alles in Allem konnten mich 7 von 9 Erzählungen überzeugen, mit zweien konnte ich leider nichts anfangen. Teilweise habe ich auch trotz des tollen Erzählstils geschaut, wie lange die Geschichte noch geht, und überlegt, ob ich das Buch nicht zur Seite lege. Mein erstes Leseerlebnis mit Margaret Atwood war jedoch sehr erfrischend, es war mal etwas anderes (es war auch mein erster Band mit Erzählungen 🙂 ), und insgesamt war ich doch sehr zufrieden, nur diese zwei verwirrenden Geschichten hängen mir doch immer noch nach. Aber ich denke, es ist durchaus empfehlenswert, wenn man auf schwarzen Humor, verrückte Erzählungen und verstrickte Ideen steht.
„In unseren Träumen ist Zeit etwas anderes […]. In unseren Träumen ist niemand richtig tot […]. In unseren Träumen ist die Zeit immer das Jetzt.“ (aus: „Bezaubernde Zenia“)
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Berlin Verlag / PIPER zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Margaret Atwood, "Die steinerne Matratze", PIPER Verlag, ISBN: 9783827013187. Zitate: S. 124, 165, 56, 168.
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