Nothomb hat an Wortgewandtheit zugelegt, die Magie früherer Werke und ihr Charme sind allerdings etwas verloren gegangen – Nichtsdestotrotz ein schönes Buch!
Amélie Nothomb wagt die Reise nach Japan, ins Land ihrer Kindheit, und vergleicht ihr Paradies von damals mit der Wirklichkeit von heute. Sie begreift: Alles, was wir lieben, wird zur Legende. Ein intimer Reisebericht zum Ursprung aller Geschichten: zu Erinnerung und Phantasie. (zur Verlagsseite)
Alles, was man liebt, wird zu einer Geschichte. Meine erste war Japan.
Amélie Nothomb schafft es immer wieder, mich zu überraschen. Sei es durch gefühlte fünf Bucherscheinungen im Jahr oder dadurch, dass sie immer neue Erlebnisse aus ihrem Leben findet, die sie erzählen kann. Und auch in „Eine heitere Wehmut“ schreibt sie einen Teil ihrer Lebensgeschichte nieder: Mit 40 Jahren, 16 Jahre nach ihrem letzten Besuch, fliegt sie nach Japan. In ihrer Heimat des Herzens, mit der sie sich immer noch sehr verbunden fühlt, soll eine Dokumentation über ihre Kindheit gedreht werden. Bevor sie abreist, ruft sie bei Rinri, ihrem damaligen Verlobten, und bei Nishio-san, dem Kindermädchen ihrer jungen Tage, an, um ein Treffen zu vereinbaren. Als Amélie ins Flugzeug steigt, beginnt das kleine Abenteuer.
In „Eine heitere Wehmut“ hat Nothomb von ihrer flapsigen, frechen Sprache Abschied genommen und ist sprachlich „erwachsen geworden“. Meiner Meinung nach geht so allerdings auch ein wenig der Magie verloren, mit der „Metaphysik der Röhren“ mich vor einiger Zeit so wahnsinnig begeistert konnte. Ihre witzige Art hat sie jedoch beibehalten, was auch diesen Auszug ihres Lebens absolut lesenswert macht. Die Wiederkehr in ihre alte Heimat, die Treffen mit ihrem ehemaligen Verlobten und ihrer Kinderfrau, das Filmen der Dokumentation – in diesem Büchlein passiert nicht viel, allerdings hat man nach dem Lesen wie bei jedem Nothomb-Buch, das ich bisher gelesen habe, das Gefühl, schlauer aus dem Buch herauszugehen.
„Die Erinnerung ist ein bizzares Abenteuer. Nishio-san erinnert sich an die kleinsten Einzelheiten aus meiner Kindheit, aber nicht an Fukushima.“ — „Es erscheint mir normal, dass man nur die schlimmsten Katastrophen im Gedächtnis behält.“
Nothomb schildert ihr Treffen mit ihrer einstigen Kinderfrau Nishio-san wie ein Aufeinandertreffen zweier vor Freude brodelnder Vulkane – nur, dass diese sich nach japanischer Sitte zurückhalten müssen, während das Kamera-Team mit dabei ist. Amélie trifft sich in Japan auch mit ihrem damaligen Verlobten, der sie immer noch an den Zauber der Vergangenheit erinnert, allerdings auch daran, dass sie sich damals gezwungen sah, sich in seiner Gegenwart glücklich zu fühlen. Eigentlich hatte Amélie erwartet, dass die Wiederkehr in die Heimat von nostalgischen Gefühlen begleitet sein würde, jedoch verspürt sie viel mehr eine heitere Wehmut, die den „Moment, in dem eine schöne Erinnerung wieder auftaucht und einen erfreut“ beschreibt. Von der Landung bis zum Abflug lernt sie und auch der Leser viel über das Gefühlschaos, das die Erinnerung an vergangene Zeiten in uns auslösen kann, und schildert mit dieses mit sehr viel Tiefe. Sie grübelt über ihre Entscheidungen und ob es damals richtig gewesen ist, Rinri zu verlassen.
Fazit: Auch wenn Amélie Nothomb etwas ihres kindlichen Charmes verloren hat, konnte „Eine heitere Wehmut“ inhaltlich überzeugen. Die Konfrontation von Erinnerung und nackter Wahrheit, von Romantik und Realität, verleiht diesem kleinen Büchlein Tiefe und veranlasst den Leser, selbst ein wenig über seine „großen“ Entscheidungen nachzudenken. Da ich Nothombs autobiographische Werke nur bis zu dem über ihren ersten Job („Mit Staunen und Zittern„) gelesen habe, hoffe ich, dass „Eine heitere Wehmut“ nicht zu viele Spoiler für die chronologisch dazwischen liegenden Bücher enthält. Nothomb hat es jedenfalls wieder einmal geschafft, mich zu überzeugen, dass ich noch weitere ihrer Bücher lesen muss. 🙂 (Anm.: Ich habe eben 8 ihrer Werke bei Rebuy geordert…)
Titel: Eine heitere Wehmut Autor: Amélie Nothomb Diogenes Verlag Taschenbuch, 128 Seiten Erschien: 26. Juli 2017 ISBN: 9783257243932
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Diogenes Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!