Eindringliche Erzählungen aus Galtür, beim Lesen derer man bereits den Schnee auf der Zunge schmecken kann
Ein Dorf hoch oben in den Bergen. Wenn die Dämmerung kommt, beginnen seine Lichter zu brennen, und ob sie offen leuchten oder verborgen schimmern, Barbara Aschenwald folgt ihnen und findet in ihrem Lichtkreis allerhand Geschichtenstoff. Aus ihm spinnt sie Texte von großer Intensität – pointierte Parabeln, überaus realistische Erzählungen mit magisch-märchenhaften Einsprengseln, ebenso wie solche, die Traumgebilden gleichen. Gemeinsam ist ihnen allen die durchdringende Sprache, mit der sie unsere Zeit beim Schopf packen und nicht weniger als die existenzielle Frage aufwerfen: Jetzt, da wir einmal hier sind, wie ist denn das mit dem richtigen Leben? (zur Verlagsseite)
„Berge? Das einfache Leben? Gedanken über das Leben und darüber, was wichtig ist? Ich bin dabei.“ – Das waren so ungefähr meine Gedanken, als mir Barbara Aschenwalds Kurzgeschichtensammlung „Lichter im Berg“ das erste Mal vor die Flinte lief. Und ein guter Jäger bringt seine Beute schließlich mit nach Hause. 😉 Es geht in diesem Erzählband um ein Dorf in den Bergen, nämlich um die österreichische Gemeinde Galtür, und deren Bewohner, aber auch deren Sitten, Gebräuche und Lebensweise. In den zwölf Kurzgeschichten greift Aschenwald stets einen anderen Aspekt des Lebens der Bergbewohner auf und zeichnet deren Geschichte nach. So haben wir beispielsweise das Ehepaar, das mit ihrem eigenen Gasthaus ein gutes Einkommen erzielt, und die Frau dafür plädiert, dass an einigen Monaten im Jahr das Haus geschlossen wird. Gedanken, was man im Leben braucht und was genügt, um eine schöne Zeit zu verleben, kommen auf. Eine andere Geschichte erzählt von einem Mann, der in seinem Leben nicht glücklich ist und die tägliche Monotonie nicht mehr aushält. Parallel dazu erfahren wir die Geschichte von seinem Vater in Galtür, der ein zufriedenes und bescheidenes Leben führt. Wieder einmal der Gedanke von Genügsamkeit — wie viel braucht der Mensch, um glücklich zu sein? Barbara Aschenwald nimmt uns mit in die Berge; ich finde, man kann den Schnee schon schmecken.
Wenn man nicht einmal einen einzelnen Menschen auf der Welt glücklich machen konnte, wie war es dann um die Welt bestellt?
… das fragt sich Joachim Kaltwasser, der nach einem scheinbar endgültigen Streit mit seiner Ehefrau nach Galtür begeben hat. Das Glück seiner Frau stellte er stets über sein eigenes, sie schien jedoch ihr Unglück zu brauchen, weil sie sonst nichts mehr hat. Einfach nur glücklich sein, das schien ihr unmöglich. Kunststudium, Urlaube, Renovierungen, Liebe – all dies genügte ihr nicht. Joachim gerät ins Stutzen und möchte nicht länger für ihr Unglück verantwortlich sein. In Galtür angekommen, wird er gefragt, was für einer er denn sei, und diese Frage überrumpelt ihn. Ja, was für einer war er denn? Und was brauchte er, um glücklich zu sein?
»Wie gut […] haben es doch Leute, die gesagt bekommen, was sie tun sollen. Sie können nachher mit dem Finger auf andere zeigen und sagen, dass es nicht ihre Schuld ist.«
Mattea und Peter führen seit dem Beginn ihrer Ehe ein Gasthaus. Nach ihrer Eheschließung stellte Peter sie noch vor die Wahl, ob sie mit ihm nach Galtür ziehen will oder eben nicht. Er verlangte nichts und dennoch geriet Mattea ins Grübeln. Bei einer Aussage wie „Das musst du dir auch gut überlegen“ nahm Peter keine Verantwortung auf sich, keine Garantie für ihr Glück, verlangte aber auch nichts von ihr. So konnte Mattea sich später bei niemandem beschweren außer sich selbst. Ob sie mit dem bescheidenen Leben in den Bergen Zufriedenheit findet, wusste sie zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht.
Die Frage um das Glück, die Zufriedenheit im Leben auch ohne Konsumgüter und ohne das Stadtleben, damit beschäftigt sich Barbara Aschenwald stark. In nahezu jeder Geschichte findet man Menschen, die trotz aller Widrigkeiten zufrieden mit ihrem Leben sind, ob sie nun jeden Tag der Woche ein Gasthaus führen oder nach einem erfüllten Leben in Galtür sterben. In Aschenwalds Geschichten spielt die verinnende Zeit auch eine Rolle, Menschen, die sich wundern, wo all die Zeit hin ist, und andere, in deren Leben einfach nichts mehr geschieht, deren Zeit leer ist. Aschenwald erzählt jedoch nicht nur Geschichten aus den Bergen, sondern auch fantasievollere Kurzgeschichten wie beispielsweise „Die gläserne Stadt“, wo sie einen Blick in die Zukunft wagt, in der Menschen stets lächeln und kranke und das Gesetz verachtende Menschen Mangelware geworden sind. Ohne die Aufforderung, etwas zu tun, treiben die Bewohner der Stadt nur vor sich hin im ewig mahlenden Zeitstrom und verhungern sogar, weil sie ohne Befehl nicht essen können. Auch hier spielen Glück und Zufriedenheit eine zentrale Rolle; Aschenwalds roter Faden zieht sich durch das gesamte Buch. Ihre Sprache ist dabei wunderbar leicht und der Leser kann sich in die Gedankenwelt eines jeden Charakters einfinden und mit ihm überlegen, was denn nun glücklich macht.
Fazit: Diese Kurzgeschichtensammlung berichtet nicht nur vom Leben in Galtür, sondern wurde durch dessen Bewohner und Besucher inspiriert, weshalb auch einige Geschichten weitab von den Bergen spielen. Barbara Aschenwald hat einige Zeit in den Bergen verbracht und dabei die Menschen dort kennen gelernt. Mitgebracht hat sie zauberhafte Geschichten über das Leben (und Sterben) dort oben, wo immer Schnee liegt, und dieses Buch hätte glatte 5 Sterne bekommen, wenn nicht diese zwei Geschichten gewesen wären, mit denen ich mich überhaupt nicht anfreunden konnte. Für alle anderen spreche ich allerdings eine klare Leseempfehlung aus!
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Hoffmann & Campe Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Barbara Aschenwald, Lichter im Berg. Hoffmann und Campe Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 221 Seiten ISBN: 9783455002980 Erschienen: 20.02.18