„Tiere für Fortgeschrittene“ oder „Bücher für Fortgeschrittene“? Seltsame Personen mit noch seltsameren Geschichten
Titel: Tiere für Fortgeschrittene
Autor: Eva Menasse
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Klappentext: Raupen, die sich ihr eigenes Grab schaufeln, Enten, die noch im Schlaf nach Fressfeinden Ausschau halten, Schafe, die ihre Wolle von selbst abwerfen. Jede von Eva Menasses Erzählungen geht von einer kuriosen Tiermeldung aus und widmet sich doch ganz der Gattung Mensch.
Ein alter Despot, der sich gegen jede Veränderung wehrt, kann nicht verhindern, dass die Demenz seiner Frau auch die eigene Vergangenheit löscht. Einer engagierten Mutter, die ein muslimisches Kind gegen Anfeindungen in Schutz nimmt, verschwimmen schließlich selbst die Grenzen zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch. Eine Frau realisiert, wie sehr das Schicksal ihres Vaters sie geprägt hat, in ihren Marotten und in ihren tiefsten Ängsten. Und eine Gruppe handverlesener Künstler und Wissenschaftler probt in südländischer Gluthitze eine groteske Revolution.
Jahrelang hat Eva Menasse Tiermeldungen gesammelt, die ihr, wie umgekehrte Fabeln, etwas über menschliche Verhaltensweisen zu verraten schienen. Wer daran Vergnügen hat, kann teilhaben am Gestaltungsprinzip ihrer Erzählungen, indem er Mustern und Motiven nachspürt. Alle anderen werden sich, wie bei Menasses bisherigen Büchern, von ihrem erzählerischen Talent mitreißen lassen, einer Mischung aus pointiertem Witz, Geheimnis und melancholischem Ernst. (zur Verlagsseite)
Sie gingen burschikos miteinander um, neckisch und vertraut. […] Man hätte hier, selbst mit genauesten Messinstrumenten, noch keinen Spalt oder Riss finden können. Die Spalten und Risse entstanden erst später, weil sich alles änderte, die Druckverhältnisse, das Licht. Der Druck wurde größer, das Licht nahm ab.
Eva Menasse erzählt hier acht kleine (Familien-)Geschichten, alle um aktuelle Themen wie Demenz, Integration oder auch Patchworkfamilien gebaut, die mich aber leider nicht überzeugen konnten. Die Idee des Buches, kuriose Tiermeldungen zu Fabeln über das menschliche Verhalten umzuwandeln, war toll und deswegen stand das Buch auch auf meiner Liste, aber die in „Tiere für Fortgeschrittene“ vor jedem Kapitel kurz erzählten Tiermeldungen waren teilweise sehr verwirrend und meistens habe ich diese auch nicht in den Geschichten wiedergefunden. Vielleicht fehlt mir für so etwas einfach das literarische Niveau und Feingefühl, das man offensichtlich benötigt, um sich in die Geschichten hineinzuversetzen zu können. Wobei mir manche der Kurzgeschichten auch mehr zugesagt haben als andere: zum Beispiel fand ich „Schafe“ wunderbar, auch wenn sich mir der genauere Sinn dieser „Sommercamps“ für spezielle Berufsgruppen, die dort zusammentreffen, nicht erschlossen hat. Aber gerade dieses Rätseln über den Sinn dieser Camps und der Gesamtsituation, nicht nur meinerseits, sondern auch seitens der Charaktere, war richtig klasse. Andere Geschichten, die erste, „Schmetterling, Biene, Krokodil“, war für mich verwirrend, was mir vielleicht im Endeffekt den Zugang zum Buch und vor allem zur Erzählsprache der Autorin verwehrt hat. Teilweise sieht die junge Protagonistin hier Dinge, die bei genauerem Betrachten dann doch anders sind, aber dann ist es doch irgendwie wie zuerst gedacht. Ihr merkt, ich kann dies nicht gut in Worte fassen, aber stellenweise waren die Charaktere „abwesend“ oder jedenfalls gedanklich nicht beim Hauptgeschehen, und es sind Dinge aufgetaucht oder passiert, die (mir) unerklärlich sind. Menasse benutzt auch hier ihre eigene, mir ungewohnte Erzählsprache, die auch zahlreiche Fans hat, aber irgendwie hat es bei mir nicht „klick“ gemacht. Der emotionale Aspekt hat mir hier komplett gefehlt, fast alle Charaktere kamen mir kalt und bissig vor.
Jenna fand, dass Überleben nicht ohne weiteres als höchstes Gut anzusehen war. Es war eine Frage individueller Begabung. Die eine konnte ihre Zunge längs rollen, die nächste mit den Ohren wackeln, die dritte sich zwischen Knie und Fersen setzen.
Eine der hier versammelten Geschichten hätte ich aber auch gerne weiterverfolgt, und zwar „Raupen“, eine Geschichte über Demenz und wie Menschen damit umgehen. Konrad versucht hier, seiner Frau Grete ihr Leben zuhause so angenehm wie möglich zu machen, ohne dass er auf die Hilfe von von ihm verschmähten Dienstleistern angewiesen ist. Grete leidet seit geraumer Zeit unter Demenz und Konrad hat ihre „Macken“ gut im Blick, weshalb das Zusammenleben der Beiden auch noch einigermaßen gut funktioniert. Hier erzählt Menasse so anrührend diesen kleinen Ausschnitt einer Familiengeschichte, die bei mir richtig gut ankam und gerne hätte fortgeführt werden dürfen.
„Tiere für Fortgeschrittene“ mag vielleicht etwas für „fortgeschrittene“ Leser sein, aber hier und da hat Menasse doch mit etwas Gefühl in der ganzen Kälte aufwarten können. Nicht alle Charaktere sind gefühlskalt, trotzdem konnte mich die Mehrheit leider nicht überzeugen. Lediglich „Raupen“ hat mich als Leser mitgerissen, ich wollte wissen, wie es weitergeht; die anderen sieben Kurzgeschichten sind eher sang- und klanglos an mir vorbeigezogen, ohne einen Eindruck zu hinterlassen. Dementsprechend ist leider auch meine Bewertung, denn obwohl die Themen aktuell und interessant waren, wurden sie leider meiner Meinung nach nicht für den Normalleser geschrieben. Menasse hat hier wohl eine gewisse Erwartungshaltung an ihre Leser, und da ich sonst noch nichts von ihr gelesen habe, kann ich das absolut nicht einschätzen. Wenn man aber kuriose Geschichten mit Mittelstand-Setting und sehr gewöhnungsbedürftigen Charakteren lesen mag, ist man hiermit doch vermutlich ganz gut bedient.
Eva Menasse, "Tiere für Fortgeschrittene", KiWi Verlag. ISBN: 9783462047912, Zitate S. 255, 302.
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom KiWi Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!