Ein kurzer Ausflug in die Schweiz, in eine andere Sprache und eine andere Generation
Titel: Lanz
Autor: Flurin Jecker
Verlag: Nagel & Kimche im Hanser Verlag
Klappentext: In einer Projektwoche soll der 14-jährige Lanz einen Blog schreiben. Erst sträubt er sich, doch dann breitet er rückhaltlos sein Leben aus: die seit der Trennung der Eltern gespaltene Familie, die Kompliziertheit zweier Zuhause, die Ödnis seiner Kindheit in einem Dorf in der Schweiz, seine Probleme mit dem Erwachsenwerden … Und dann sind da noch die misslungenen Annäherungsversuche an Lynn, derentwegen er sich überhaupt erst für den Blogger-Kurs angemeldet hat. Mit einem unwiderstehlichen Sog erzählt Flurin Jecker in seinem Debütroman von einem Jungen, der die Zumutungen der Welt kommentiert, und das in einer eigenwilligen und wuchtigen, restlos glaubwürdigen Sprache. (zur Verlagsseite)
Als ich da heute zur Tür reinkam, konnte ich gar nicht glauben, wie dumm ich bin. Oder alles ist.
Flurin Jecker veröffentlicht hier mit seiner Abschlussarbeit ein sprachgewaltiges Werk, das sich mit der Gedankenwelt eines typischen Teenies in der heutigen Zeit beschäftigt. Der 14-jährige Lanz wählt in der Projektwoche seiner Schule das Thema „Ich schreibe einen Blog“, weil er sich erhofft, dort endlich das Mädchen kennenzulernen, in das er heimlich verliebt ist. „ICH WOLLTE LYNN UND KEINEN SCHEISS BLOG“, der Titel des ersten Kapitels, trifft die Stimmung eigentlich ziemlich gut: es läuft nämlich alles ein wenig anders als gedacht, und nach drei Tagen, die er damit zugebracht hat, über seine Familie nachzudenken, Lynn anzusprechen und seinen „scheiß Blog“ zu schreiben, aus dem er aber unter keinen Umständen laut vorlesen will, wie der Lehrer es verlangt, packt er einfach seinen Rucksack und „zügelt“ los zu Bekannten und verbringt dort den Rest der Projektwoche mit seinen langjährigen Freunden Gian und Ciara, meist draußen im Freien, wo sie Maulwurfshügel zerstören oder Steine auf Bahngleise stapeln.
Ich war bekifft. Und wegen dem Plätschern hinter mir kam ich auf die Idee, von dem Wasser zu trinken. Ich lehnte mich nach hinten und verdrehte mich so, dass ich an den Strahl kam. Es kam so viel Wasser, dass es mir überall hinspritzte und ich mich verschluckte, dass ich aufhocken musste und fast noch gekotzt hätte, weil ich so hustete. Und vielleicht findet ihr jetzt, dass etwas gar nicht mehr normal war mit mir, aber als ich mich beruhigt hatte und so mit nassem Gesicht, nasser Jacke und halbnassen Haaren dastand, musste ich lachen. Und zwar, weil ich es wirklich schön fand, da oben.
Lanz grübelt während der gesamten Einträge des Blogs über seine Familie und spricht dabei Themen und Probleme an, die in dem Alter bei Scheidungskindern vielleicht gar nicht mal so unüblich sind: Angst, Zugehörigkeit, Zweifel. Er macht sich Gedanken über seine eigenen Ängste und nimmt den Leser mit in seine Gedankenwelt, die für einen 14-Jährigen doch auch mal komplex sein kann. Jecker verwendet in „Lanz“ eine Sprache, die ich so noch nicht erlebt habe, ich habe mich beim Lesen auf jeden Fall sehr alt gefühlt. 😀 Direkt, umgangssprachlich und offen schreibt Lanz einfach nieder, was ihm in den Sinn kommt, wobei er dann auch gerne mal in der Retrospektive merkt, wie dumm ihm sein Verhalten vorkommt:
Das Lustigste am Blog ist, dass ich immer erst merke, wie dumm ich bin, wenn ich lese, was ich mir so überlegt habe, die ganze Zeit.
Fazit: „Lanz“ bietet einen kurzen Einblick in das Leben eines Jugendlichen in der Schweiz, der nicht so recht weiß, wo er hingehört. Seine Mutter bemerkt nicht einmal nach zwei Tagen, dass er verschwunden ist, und die Zeit bei seinem Vater ist nur noch langweilig, zudem nervt ihn die Schule. Zwischen den Stühlen versucht er, trotzdem klarzukommen und entdeckt über den Blog-Kurs, dass in ihm vielleicht doch mehr steckt als er zunächst glauben mag.
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise von Nagel & Kimche / Hanser Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Flurin Jecker, "Lanz", Hanser Verlag. ISBN: 9783312010226.
Weitere Rezensionen findet ihr bei: