Was geschieht mit der Menschheit, wenn die Erde unbewohnbar wird? Eine spannende Prämisse, zwei Perspektiven – eine davon leider enttäuschend.
Der junge Robin ist überwältigt, als er aus seiner Raumkapsel steigt. Der warme Sand unter seinen Füßen, der sanfte Wind und das Farbenspiel des Meers sind so viel besser als jede noch so perfekte virtuelle Realität. Er ist auf der Erde, diesem fernen blauen Planeten, den er bislang nur aus Filmen und Erzählungen kannte. Doch seine Mission ist keine leichte: Können die Menschen auf ihren Heimatplaneten zurückkehren, obwohl sie einst dafür gesorgt hatten, dass er unbewohnbar wurde? Wie sollen sie leben, damit Glück für alle möglich ist? Und zählt Liebe noch?
Auf dieses Buch bin ich durch ein Gespräch bei der diesjährigen digitalen Buchmesse aufmerksam geworden und habe doch kurzerhand beschlossen, dass ich es lesen mag. Ohne dieses Interview mit dem Autor Francois Lelord hätte ich wohl nie dazu gegriffen, denn vor einigen Jahren las ich „Hector und die Suche nach dem Glück“, das sich wirklich nachhaltig bei mir im Kopf eingebrannt hat – und das nicht auf gute Weise. Ein junger Mann, der auf der Suche nach dem wahren Glück von einem Seitensprung zum nächsten hüpft und das auch noch als „französische Art“ verkauft wird – nein danke. Doch das ist ja eine ganze Weile her und ich wollte dem Autor noch eine Chance geben, zumal „Es war einmal ein blauer Planet“ so gar nicht nach Hector klingt. Und doch muss ich sagen, dass sich bei der Lektüre einige Parallelen aufgetan haben, die auch dazu führten, dass ich das Buch im Endeffekt auch nicht so gut fand. Doch erst mal zum Anfang! Es geht also um Rob, der mit vielen anderen, mittlerweile genetisch perfektionierten Menschen gemeinsam in einer Kolonie auf dem Mars lebt, nachdem die Erde durch einen massiven Nuklearkrieg beinahe ausgelöscht wurde. Die Marskolonie wird von einer KI geleitet und jeder Mensch bekommt den perfekt zu ihm passenden Beruf zugewiesen. Bis auf Rob, der zu den Neutren zählt – Menschen ohne besondere Begabung, die besser dran sind, wenn sie sich in ihren Hobbys ausleben können. Als ein solches Neutrum wurde Rob von klein auf ein geringer Selbstwert eingeimpft, der ihn auch noch jetzt im Erwachsenenalter teilweise unsicher macht. Unsicher macht ihn übrigens auch die Entscheidung der Militärvorgesetzten, gerade ihn (alleine!) auf die Erde zu entsenden, um nach dem Verbleib der letzten Mission, die zur Erde gesandt wurde, zu sehen. Was kann er als Neutrum schon ausrichten?
Es gibt keinen anderen Gott als die uns umschließende Welt. Die Erde, die uns trägt, die Lebewesen, die sie bevölkern, der Himmel, der uns überwölbt – alles ist Gott!
Ich muss zugeben, die Prämisse klingt spannend. Ein wenig Sci-Fi, ein wenig Abenteuerroman, vielleicht auch ein bisschen Dystopie? Nach den ersten Kapiteln, nachdem ich mich mit den Charakteren angefreundet hatte, war ich wirklich sehr neugierig, wie sich dieses Buch entwickeln würde. Doch nachdem Rob die Erde erreicht hat und sich einem kleinen Stamm Eingeborener anschließt und sich dort dann Gedanken darum macht, was ‚Glück‘ bedeutet, schrillten meine Alarmglocken. Denn nicht nur waren die Szenen aus Robins Perspektive sehr kindlich erzählt, sondern er notierte sich seine Erkenntnisse ebenso wie damals Hector: „Glück = freie Liebe“. Und da komme ich schon zum nächsten Punkt: Die Bewohner der Insel, auf der er gelandet ist, sind sehr promiskuitiv. Es gibt allerdings eine Paar, das sich diesem sozialen Druck nicht beugen möchte und für sich allein bleibt. Robin liebt seine Ex-Freundin auch eigentlich immer noch, erliegt aber wenig später dem Charme einer jungen, hübschen Frau. Es geht also in diesem Roman auch um Beziehungen, Treue und Vertrauen. Und das nicht zu wenig. Erst ab der Hälfte von „Es war einmal ein blauer Planet“ geht es richtig los, wenn man das so sagen möchte. Rob setzt seine Reise fort und begibt sich auf eine andere Insel. Damit haben mir die Erzählung rund um die Insel „Eros“, wie er sie nennt, und die Weisheiten, die er von dort mitnimmt, viel zu viel Platz eingenommen. Der spannende Teil, der sich nämlich in der Kolonie auf dem Mars abspielt, wird parallel aus der Perspektive seiner Ex-Freundin erzählt und erinnert an einen Thriller. Sie hackt sich durch das gesamte System und trickst die KI aus, um herauszufinden, warum gerade Rob für diese Mission ausgewählt wurde. Und dieser Teil hat mir wirklich wahnsinnig gut gefallen – so gut, dass ich es fast schon schade fand, wenn die Story wieder zu Rob gewechselt hat.
Fazit: Dieser Roman ist eine gemischte Tüte. Alles, was sich auf der Marskolonie abgespielt hat, wird sehr spannend dargestellt und ich habe auch gerne alles über die neuen Technologien gelesen, die die Menschheit dort gemeinsam mit der KI entwickelt hat – auch, wenn ich ganz klar sagen muss, dass manche etwas bei den Haaren herbeigezogen waren (Therapie gegen Liebeskummer – okay! – aber das Ganze auch reversibel, sodass man sich bei Bedarf wieder vor Sehnsucht seufzend vorfindet? Hm.)… Alles, was sich auf der Erde abspielt, ist ein kindlich erzählter, leichter Abenteuerroman mit einigen Möchtegern-philosophischen Ansätzen, die mir wie gesagt auch bekannt vorkamen. Ich fand es schade, dass einige interessante Konzepte nicht ganz durchdacht schienen und es für andere Dinge viel zu einfache Lösungen gab. Insofern reicht „Es war einmal ein blauer Planet“ vielleicht als Sofa-Geschmöker, aber hat es leider nicht geschafft, sich einen dauerhaften Platz in meinem Regal zu verdienen. Doppelt schade, denn dieses Buch ist wirklich wundervoll gestaltet!
Weitere Meinungen:
Lauschige Lesezeit • Literatur im Fenster
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Penguin Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Francois Lelord / Es war einmal ein blauer Planet / Penguin Verlag / Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 288 Seiten / ISBN: 978-3-328-60106-7 / Erschienen am 10.08.20 / zur Verlagsseite
Danke für die tolle Rezension, ich war schon sehr gespannt drauf, was du davon hältst. Ich muss jetzt leider mal gestehen, ich finde die Aufmachung zwar wunderschön, aber nach „Hectors Reise“ habe ich mir geschworen, kein Buch von Francois Lelord mehr anzurühren. Ich komme einfach mit seinen kindlichen Schreibstil (der irgendwie so im Kontrast mit den Inhalten steht) und den ganzen Logikfehlern nicht klar. Ich habe mich damals wirklich so geärgert und ich gestehe, ein bisschen finde ich es direkt schade, dass der Verlag ein so schönes, toll aufgemachtes Buch an Lelord „verschwendet“.
Danke für deinen Kommentar! 🙂 Wieso höre ich nur von so vielen, dass sie nichts von dem Autor lesen wollen? Dabei ist Hector doch offenbar ein riesiger Bestseller! 😀 Aber ja, die Aufmachung ist richtig gelungen und – da stimme ich dir zu – an dieses Buch ein wenig verschwendet.