Ein wunderbares kleines Buch, das den Leser völlig in seinen Bann zieht und erst wieder loslässt, wenn die letzte Seite umgeblättert ist.
Martine führt mit Ende zwanzig ein glückliches Leben. Sie hat studiert, mit André den Richtigen gefunden, ihn geheiratet und einen Sohn zur Welt gebracht. Die Zukunft ist für sie ein großes Versprechen. Doch als sie mit dreißig plötzlich aufhört zu altern, gerät alles ins Wanken. Was nach dem unerreichbaren Traum so vieler Frauen klingt, wird für Martine Wirklichkeit – und zu einer ungeahnten Zerreißprobe, auch für ihre Familie. Denn wer will für immer jung sein, wenn die Liebsten, die Freunde, die Verwandten altern?
Der Titel mag auf den ersten Blick aussehen, als würde er bereits alles verraten – doch dem war glücklicherweise nicht so! Von Grégoire Delacourt hatte ich bisher weder etwas gehört noch etwas gelesen, doch als die Pressemitteilung zu seinem neuen Roman „Die Frau, die nicht alterte“, in mein Postfach trudelte, konnte ich nicht widerstehen. In dieser herrlichen französischen Tonalität, die ich z. B. von Amelié Nothomb kenne, erzählt der Autor genau diese Geschichte: von der Frau, die nicht altert. Martine führt ein glückliches Leben, sieht gut aus, heiratet den Mann ihrer Träume und hat zwei bezaubernde Kinder. Ihre Kindheit ist jedoch gezeichnet von dem Tod ihrer Mutter, die überfahren wurde, nachdem sie lachend und tanzend ein Kino verlässt. Das Foto, das ihre Mutter kurz vor dem Zusammenprall mit dem Auto zeigt, brannte sich in ihre Netzhaut ein. Wunderschön sah ihre Maman darauf aus. Und sieht es immer noch, wenn Martine das Foto viele Jahre später erneut betrachtet. Unsterblich schön. Als ein bekannter Fotograf sie bittet, für ihn Modell zu stehen, willigt Martine deshalb gern ein. Sie wird Teil seiner Foto-Serie, bei der er Personen über viele Jahre hinweg in gleicher Pose und gleicher Kleidung fotografiert. Ihr ahnt, worauf das hinausläuft: Martines Bild bleibt nach ihrem 30. Geburtstag stets gleich. Keine Falten verraten von ihrem Leben – sie zeigt äußerlich keine Alterserscheinungen.
Ich betrachte mein Gesicht im Badezimmerspiegel und lächele. Hier bin ich also. Hier ist mein Gesicht, über das die Zeit hinwegrauscht wie klares Wasser. Mein Gesicht, wie das der Schönen Gärtnerin im Louvre, die Maman so überwältigt hatte, weil sie seit fünfhundert Jahren zwanzig ist, dieses ewig weiche, freundliche, faltenlose Gesicht. Hier bin ich, ein Wunder, ein Ungeheuer. Der Traum aller Frauen.
Zuerst ist Martine geschmeichelt, dass ihre Schönheit so lange frisch bleibt, und erst nach einigen Jahren lässt sie sich ärztlich untersuchen. Dabei kommt heraus, dass sie innerlich ihrem tatsächlichen Alter entspricht, äußerlich jedoch bleibt sie strahlende 30 Jahre alt. Was zunächst traumhaft klingt – denn wer möchte nicht ewig jung aussehen? Doch als die Jahre an ihr vorbeiziehen, beginnt ihr Mann und auch ihr Freundeskreis, ihre Veränderung – bzw. eben ihren Stillstand – zu bemerken und auch ihre Kinder wachsen heran und wundern sich, dass ihre Mutter nicht mehr altert. Ihr Mann entfremdet sich immer mehr von Martine, die nach 20 vergangenen Jahren vielmehr wie seine Tochter und die Geschwister ihrer Kinder wirkt als alles andere. Ihre Ehe zerbricht und die Beziehung zu ihren Kindern steht auf dem Spiel. Denn mittlerweile hält man sie für die gut aussehende (jüngere) Freundin ihres Sohnes.
Fazit: Auch, wenn „Die Frau, die nicht alterte“ ein ziemlich kurzes Buch ist (knapp 200 Seiten), hat es mich auch nach der Lektüre noch lange beschäftigt. Die Erzählsprache ist ganz wunderbar und der Schreibstil einfach, klar, und doch irgendwie besonders. Die Kapitel sind ganz interessant aufgeteilt, nämlich nach Lebensjahren, wobei ab 30 die Kapitel ein wenig anders betitelt sind, etwa „30 (45)“. Das finde ich sehr erfrischend und neu und habe mich im Nachhinein wirklich riesig darüber gefreut, dass ich dieses Buch entdeckt und gelesen habe.
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Atlantik Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Grégoire Delacourt / Die Frau, die nicht alterte / Atlantik Verlag / Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 176 Seiten / ISBN: 978-3-455-00651-3 / Erschienen am 07.10.19 / zur Verlagsseite