Besonders, fesselnd und atemberaubend: Dieses Buch mischt verschiedenste Elemente der Science Fiction zu einem wunderbaren Potpourri.
Nevada, in naher Zukunft: Colt ist der clevere Sohn einer Wissenschaftlerin und eines Geheimdienstlers. Als er heimlich die bahnbrechende Forschung seiner Mutter bei einer Biotech-Konferenz einreicht, wird die Studie vom Geheimdienst sofort unter Verschluss genommen. Mutter und Sohn sind gezwungen zu flüchten. Jetzt muss Colt alles daran setzen, Daten zu manipulieren, um ihr Leben zu retten. Und er ist gezwungen, die virtuelle Realität, seinen Rückzugsort, zu verlassen.
Julian Goughs „Connect“ fiel mir bei der Durchsicht der Vorschauen im Frühjahr gar nicht auf. Umso überraschter war ich dann, als die ersten Besprechungen zu diesem Buch erschienen – das klingt ja toll! Und schwupps, zog dieser etwas dicke Wälzer (knapp 620 Seiten) bei mir ein und wurde auch direkt gelesen. Es geht um Colt, ein Wunderkind, das mit seiner Mutter, der Wissenschaftlerin Naomi, gemeinsam in Nevada lebt. Der Alltag der beiden ist von Angststörungen gezeichnet, mit denen sie mal mehr, mal weniger zu kämpfen haben. Da Colt sich die meiste Zeit in seinem VR-Game abschottet, bekommen wir von seiner mentalen Gesundheit weniger mit als bei Naomi, die besonders ungewohnten Situationen nicht gewachsen scheint. Der Einstieg ins Buch war allerdings etwas schwierig, weil ich mich erst an den ungewöhnlichen Schreibstil gewöhnen musste, aber als ich dann einmal drin war, habe ich dann Kapitel um Kapitel inhaliert.
Colts Mutter arbeitet in einem Labor und hat nun eine bahnbrechende Entdeckung gemacht: Mittels einer „Scheibe“, die im vorderen Teil des Gehirns eingesetzt wird, ist es möglich, die Kapazitäten des Gehirns zu erweitern. Dennoch ist sie sich nicht sicher, ob sie damit an die Öffentlichkeit will. Ihr Ex-Mann, Colts Vater, sieht das ähnlich. Denn er arbeitet für die NSA und ist der Meinung, dass es sich bei der Entdeckung um Militärmedizin handelt, die dem „Feind“ keinesfalls in die Hände fallen darf. Colt hingegen geht eine andere Richtung – er, der 24/7 seiner Zeit mit einem Helm in seinem selbst programmierten Online-Game verbringt und mit der Realität und Menschen allgemein überhaupt nicht zurecht kommt, implantiert sich selbst eine solche Scheibe. So will er seine Mitmenschen endlich verstehen können – und vielleicht auch seine Skills in anderen Bereichen weiterentwickeln.
Dieser Planet ist fünf Milliarden Jahre alt – fünftausend Millionen Jahre. Dieses Jahr wird er sich mehr verändern als jemals zuvor in seiner Geschichte und nächstes Jahr noch mehr: in seiner Technologie, den gesellschaftlichen Regeln, im Klima, in allem. Und du bist hier, jetzt. Das ist kein Zufall. Warum hat dieser Planet mit einem Mal sechs, sieben, acht Milliarden Menschen generiert – bamm, bamm, bamm – fast so schnell, wie es biologisch überhaupt möglich ist? Die Schaffung der ersten Milliarde Menschen dauerte von der Geburt des Universums bis zum Jahr 1804. Für die zweite Milliarde waren 123 Jahre nötig. Für die dritte 33 Jahre. Für die vierte nur 14… Warum braucht die Erde plötzlich so viele Menschen? Warum hat sie euch alle plötzlich angeknipst? – Nun, das wirst du bald sehen. Deshalb erzähle ich dir diese Geschichte.
So viel zum eigentlichen Plot. Also, dieser Abschnitt umfasst vielleicht die ersten 200 Seiten – mehr will ich natürlich auch nicht spoilern. Julian Gough hat hier meiner Meinung nach ein Werk geschaffen, das jegliche Genre-Grenzen verwischt – von SciFi, Thriller und Romance ist hier alles dabei. Die Erzählsprache ist klar, wenn auch anfangs etwas abgehackt und ungewöhnlich. Da die Geschichte aus mehreren Perspektiven erzählt wird, tauchen wir nicht nur in Colts Gedankenwelt ein, sondern auch (unter anderem) die seiner Mutter. Ebendiese hat mich zu Beginn etwas verwirrt, denn sie stellt jeden ihrer Gedanken auf die Probe, möchte nichts sagen, um ihren Sohn zu verärgern, geht also ständig auf Zehenspitzen. Für eine erwachsene Frau fand ich das erst ziemlich befremdlich, doch als später ihre Angststörung mehr beleuchtet wird (und auch Colts), lichtet sich der Nebel.
Im Verlauf des Buches kommt noch eine weitere Erzählperspektive dazu, die ich sehr interessant finde und gerne mehr von ihr gelesen hätte, da sie so ziemlich alles auf den Kopf stellt, was bisher geschah und auch eine spannende Parallelhandlung darstellt. Und auch die durchaus mal längeren Zitate zu Beginn eines jeden Kapitels wirken auf den ersten Blick wild zusammengewürfelt, doch wer genauer schaut, erkennt eine Verbindung unter ihnen untereinander und auch besonders zum jeweiligen Kapitel. Das finde ich äußerst gelungen, besonders wenn ein Zitat von Plato neben einem von Steve Jobs steht und man so den Gedankengang dieser Personen zu einem bestimmten Thema mit einem Abstand von vielen, vielen Jahren sieht und es irgendwie „Klick“ macht, man den Zeitgeist dieser Periode spüren kann. Großartig.
So funktioniert das Universum auf jeder Ebene. Die Befehle der übergeordneten Ebene gehen raus, und das System eine Ebene darunter verrichtet die Arbeit, ohne überhaupt mitbekommen, dass es einen Befehl gegeben hat. Das läuft schlampig ab und ist auf dieser Ebene mit vielen Fehlern behaftet. Wenn du den Befehl ausgibst, die Kaffeetasse zu ergreifen, gibt es immer Neuronen, die nicht feuern. […] Versagen auf der Ebene der einzelnen Zelle ist eingeplant.
Fazit: Wer gerne abgedrehte Literatur liest, die sich nicht klar einem Genre zuordnen lässt und viel Neues probiert, ist mit Julian Goughs „Connect“ bestens bedient. Trotz seiner 620 Seiten hat das Buch keine Längen, ist stets spannend und mischt immer wieder neue Ideen zu dem wunderbaren Potpourri dieser Geschichte hinzu. Toll!
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom C. Bertelsmann Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Julian Gough / Connect / C. Bertelsmann Verlag / Gebundenes Buch, 624 Seiten / ISBN: 978-3-570-10297-8 / Erschienen: 16.09.19 / zur Verlagsseite