Renommierter Autor, tolle Idee, leider hapert es bei der Umsetzung: Der „Elefant“ kann leider nur leuchten, nicht glänzen.
Titel: Elefant
Autor: Martin Suter
Verlag: Diogenes
Klappentext: Ein Wesen, das die Menschen verzaubert: ein kleiner rosaroter Elefant, der in der Dunkelheit leuchtet. Plötzlich ist er da, in der Höhle des Obdachlosen Schoch, der dort seinen Schlafplatz hat. Wie das seltsame Geschöpf entstanden ist und woher es kommt, weiß nur einer: der Genforscher Roux. Er möchte daraus eine weltweite Sensation machen. Allerdings wurde es ihm entwendet. Denn der burmesische Elefantenflüsterer Kaung, der die Geburt des Tiers begleitet hat, ist der Meinung, etwas so Besonderes müsse versteckt und beschützt werden. (zur Verlagsseite)
„Kaung glaubt, Sabu sei heilig.“ […]
„Sabu ist sehr, sehr, sehr besonders. Vielleicht gibt es ja keinen Unterschied zwischen sehr, sehr, sehr besonders und heilig.“
„Dann glaubst du auch an Wunder?“
„Sabu ist eines.“
„Ich dachte, sie wäre das Resultat einer Genmanipulation.“
„Glaubst du, die wären so hinter ihr her, wenn sie so einfach herzustellen wäre?“
Ein neuer Suter! Und in bester Suter-Manier werden auch hier mehrere unterschiedliche Themen zu einem großen Ganzen verpuzzelt: Die Genforschung und Genmanipulation, die Randständigkeit und das Leben der Obdachlosen in der Schweiz, Zirkusalltag und Elefanten. Was Suter in seinen vorangegangenen Romanen schon mit Bravour geschafft hat (z.B. in „Die dunkle Seite des Mondes“), gelingt ihm hier auf ein Neues, er führt uns an alle seiner Themen heran, ohne zu überfordern, und die zahlreichen Charaktere werden eingeführt, ohne zu verwirren – das können nicht viele! Die Erzählstränge werden aus verschiedenen Perspektiven an verschiedenen Tagen erzählt, und manchmal musste ich zurückblättern, um zu schauen, ob ein anderer Strang vorher oder nachher spielte, aber nach und nach wurde dann alles klar und fügte sich zu einem Gesamtbild zusammen. Suter versteht es, so zu schreiben, dass man jeden seiner Storystränge unbedingt weiterverfolgen will, ob es nun das alltägliche Leben des Obdachlosen Schoch ist, der plötzlich einen rosa Mini-Elefanten sieht, oder die Suche des Wissenschaftlers Roux, der diesen verzweifelt sucht, oder aber vom Oozie Kaung, der für die Pflege der Elefanten des Zirkus Pellegrini verantwortlich ist und den kleinen „heiligen“ Elefanten bloß nicht in Roux‘ Hände fallen lassen will. Die vielen Charaktere haben natürlich ihre eigene Hintergrundgeschichte, die Suter leichthändig erzählt und diese so ausfleischt, dass man durchaus im Glauben ist, man könne einer Valerie oder einem Dr. Reber im wirklichen Leben begegnen.
Das wichtigste Thema, das alle Stränge dieser Geschichte eint, ist natürlich die Genmanipulation, und jeder der Charaktere hat dazu seine eigene, häufig auch konträre, Meinung. Des weiteren wird auch einiges aus dem Forschungsalltag von Roux berichtet. Mit den Mäusen, in die Elefantenovarien eingepflanzt werden, damit es später leuchtende, bunte Tiere gibt, die sich „jedes Kind wünscht“, zeichnet der Autor ein Bild von der Skrupellosigkeit dieser Branche. Gott spielen, nicht um Krankheiten zu besiegen, sondern allein für den kommerziellen Profit, das stellt in Suters „Elefant“ eine weitere, üble Disziplin der Genforschung dar.
Nichtsdestotrotz gibt es auch sehr viele schöne Momente in diesem Buch, zum Beispiel wenn der Obdachlose Schoch alles dafür gibt, dass es seiner kleinen Sabu gut geht, oder wenn Schoch und Valerie, eine Veterinärin, über die Schöpfung philosophieren:
[Valerie erzählt, wie sie die Jagdtrophäen ihres Vaters beerdigt hat.] „Aus Ehrfucht vor dem Leben, wie auch immer es entstanden sein mag.“
„Du meinst, Schöpfung oder Evolution?“
„Manchmal denke ich, es ist dasselbe. Der Unterschied ist nur die Zeitspanne. Sieben Tage oder ein paar Millionen Jahre – Zeit ist relativ. Alles eine Frage der Perspektive. Wie lange kommt der Eintagsfliege ihr Leben vor?“
Die Charaktere mögen alle zwar den einen oder anderen stereotypen, überzogenen Zug haben (Schoch ist Alkoholiker, Roux der skrupellose Wissenschaftler, etc. etc.), dennoch ist ihre Geschichte glaubhaft, gut erzählt und vor allem spannend. Leider hat mich der generelle Plot nicht richtig abgeholt, es gab nie einen wirklich gefährlichen Momenten für den kleinen Elefanten, und mir hat der „bäm!“-Effekt, den ich von anderen Suter-Romanen kenne, hier gefehlt. Dennoch ein sehr zu empfehlender Roman, der es schafft, Kritik an der Genforschung zu üben, ohne mit dem erhobenen Zeigefinger zu wedeln.
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Diogenes Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Martin Suter "Elefant", Diogenes Verlag, ISBN: 9783257863109. Zitate: S. 275 & S. 329.
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