Leise, gewaltig, rührend und einfach nur wunderbar erzählt der Autor von einer Vater-Sohn-Beziehung, die sich erst noch entwickeln muss.
Seit dem Tod seiner Mutter vor zwei Jahren hat der 12-jährige Domenico ein hartes Leben: Sein Vater, ein Tischler, ist schweigsam und ungesellig geworden. An einem Herbstmorgen im Jahr 1963 eröffnet Pietro seinem Sohn, dass er heute nicht zur Schule gehen soll: Sie werden für einige Tage in die Berge gehen – mit Proviant und zwei alten Gewehren. Pietro hat den Männern im Dorf versprochen, den Bären zu erlegen, der in dieser Gegend seit einigen Wochen Bienenstöcke zermalmt, Hirsche und Rehe reißt. Auf ein solches Abenteuer hat Domenico schon lange gewartet. Und er spürt im Laufe der abenteuerlichen Jagd eine wundersame Wandlung seines Vaters: Unter dessen rauer Schale bricht ein zugänglicherer, viel emotionaler Mensch hervor, als Domenico je für möglich gehalten hätte. (zur Verlagsseite)
Auf einer längeren Busfahrt habe ich mir dieses kleine Schätzchen von Buch zu Gemüte geführt. Bereits nach den ersten Seiten ahnte ich, dass dieses Buch ein kleines Highlight wird, ganz in der Art wie Seethalers „Ein ganzes Leben“ oder Cognettis „Acht Berge“. Und ich sollte Recht behalten, denn auf nur knapp 160 Seiten schafft der Autor es, eine wahnsinnig rührende, wunderbare Geschichte zu erzählen: Domenico leidet seit dem Tod seiner Mutter unter den immer schlimmer werdenden Launen seines Vaters Pietro. Dieser ist stets schlecht gelaunt, schreit viel und wird des öfteren auch gewalttätig. Obwohl Domenico nur die besten Schulnoten nach Hause bringt, interessiert sich sein Vater herzlich wenig für seinen Sohn; alles was für ihn zählt ist die freie Natur vor der Tür: die Dolomiten. Als immer mehr Gerüchte von einem gigantischen Bären aufkommen, der Wild reißt, einen ekelerregenden Gestank und übel zugerichtete Kadaver hinterlässt, trauen die Dorfbewohner in den Bergen ihren Ohren kaum. Doch leider gibt es immer wieder Fälle, wo Anwohner ihre Herde verlieren oder nachts von grauenerregendem Geschrei aufgeschreckt werden. Während die Männer des Dorfs sich in der örtlichen Kneipe treffen, um die neusten Bären-Berichte auszutauschen, legt Pietro, der Außenseiter des Dorfs, es darauf an, eine Wette mit einem der Männer abzuschließen: Er würde diesen Bären eigenhändig töten! Ungläubig bietet im der Wettpartner dafür nicht weniger als eine Million Lire. Kurzerhand bricht Pietro am nächsten Tag mit seinem Sohn im Schlepptau auf in den Wald, um sich dem Monster zu stellen. Es wird eine anstrengende Reise, und nach und nach gelingt es Pietro, sich für seinen Sohn zu öffnen…
Nirgendwo fühlte Domenico sich so wohl wie am Wasser. Das Angeln bot ihm Gelegenheit, für sich zu sein, weit weg vom Zorn und den schwieligen, harten Händen seines Vaters Pietro. Dann warf er die Angelschnur aus, lauschte dem Rauschen des Flusses und ließ sich von den Bildern forttragen, die ihm durch den Kopf gingen und sein Herz bewegten.
Hach, was für ein leises und doch gewaltiges Buch! Matteo Righetto hat es mit „Das Fell des Bären“ geschafft, mich aus der Reserve zu locken. Innerhalb weniger Seiten habe ich mich auf die Geschichte eingelassen und mit dem jungen Domenico mitfühlen können – aber auch mit seinem Vater. Zugegeben, dieses Buch ist nicht unbedingt außerhalb meiner Komfortzone, sondern genau ein solches, wo ich bereits vorher wusste, dass es toll wird. Zudem habe ich noch erfahren, dass es verfilmt wurde, da steht mir noch ein Leckerli bevor! 🙂 Dieses Buch ist jedenfalls zwischen den übrigen Büchern, die ich die letzte Zeit gelesen habe, herausgestochen und konnte mich komplett überzeugen. Man erfährt nicht allzu viel von den Charakteren, gerade genug, dass es für die Länge des Buches genügt, aber das tut der wunderbaren Geschichte keinen Abbruch. Die Erzählsprache ist wunderbar, leicht und schnörkellos; man hat das Gefühl, dass kein Satz überflüssig ist. Die Charaktere wurden vom Autor liebevoll gestaltet, sodass man als Leser „mittendrin statt nur dabei“ ist. Pietro leidet auch nach zwei Jahren noch an dem Tod seiner Frau und zieht sich immer weiter in sein Schneckenhaus zurück. Für seinen Sohn hat er nicht mehr übrig als ein paar kalte Worte. Doch als er mit seinem Sohn den schwierigsten Weg seines Lebens antritt, um den Riesenbär niederzustrecken, taut er doch langsam auf und vertraut seinem Sohn allerhand Dinge an; über seine Mutter Claudia, über diese Hütte im Wald, über Dinge, die wichtig sind.
Über die nächtliche Ruhe und Erholung hinaus war es aber noch etwas anderes, das in besonderem Maße Körper und Seele des Jungen kräftigte. Und das war die Beziehung zu seinem Vater, die er jetzt neu erlebte. […] Es war, als wären beide noch einmal zur Welt gekommen, als habe dieses gemeinsame Abenteuer ein kleines Wunder geschehen lassen. Das Wunder einer Blume nach langem Schnee.
Fazit: Ein kurzweiliges, stilles und einfach nur wunderbares Buch. Bis zum Zeitpunkt, wo Vater und Sohn dem Bären gegenüberstehen, ist eine leise Anspannung zu spüren, und man freut sich als Leser von Herzen über die aufblühende Verbindung der Beiden. Doch im Angesicht des Wild reißenden Monsters ist plötzlich nichts mehr wichtig, auch nicht Domenicos Klassenkameradin, die er mit dem erlegten Bären für sich gewinnen oder auch seine Lehrerin, der er mit seinem Wissen imponieren möchte, sondern einzig allein er und sein Vater und die beiden Gewehre. Eine klare Leseempfehlung für Fans „bergiger“ Romane, deren Charaktere oft eigenwillig oder eigenbrötlerisch sind; ob Seethaler oder Cognetti. (Wenn ihr ähnliche Bücher zu empfehlen habt, her damit!)
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Blessing Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Matteo Righetto, Das Fell des Bären. Blessing Verlag Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 159 Seiten ISBN: 9783896675996 Erschienen: 13.11.2017