„Fische“ bleibt im Kopf — leider aus den falschen Gründen. Gute Idee, zu viel Eskalation
„Fische“ ist ein Roman über eine obsessive Liebe, der Unwirkliches so selbstverständlich in einen Gegenwartskontext einbettet, dass es heutiger nicht sein könnte. Lucy verliebt sich in Theo, den Meermann, dessen Fischschwanz unterhalb der Lenden beginnt. Als Undine 4.0 zwingt er sie, alles, was sie über Liebe, Lust und die Bedeutung des Lebens zu wissen geglaubt hat, neu zu ordnen. (zur Verlagsseite)
Dieses Buch hat mich bereits seit einigen Monaten immer wieder angelacht, das wunderschöne Cover in meiner Lieblingsfarbe (Mint!), der Klappentext und einige positive Rezensionen haben mich dann schlussendlich zur Lektüre verleitet. Denn mal ehrlich, wie viele Bücher über einen Meermann hab ich bisher gelesen? Richtig, zero! Allerdings hätten mir Ausdrücke wie „merman erotica“ eine Warnung sein sollen… Smells fishy! Es geht um Lucy, die ihren Freund nur noch als speckige Masse ansieht, die sich nicht mehr länger um sie bemüht, und kurzerhand mit ihm Schluss macht. Nach der Trennung sieht sie ihn natürlich wieder als den, der er zu Anfang der Beziehung war, und stürzt in eine emotionale Krise. Ihre Dissertation zu Sappho, die sei seit neun Jahren ernährt und an der sie immer mal wieder halbherzig arbeitet, lässt sie nun vollends schleifen. Ihre Halbschwester beordert Lucy nach einigen Wochen Misere zu sich nach Hause, in das Strandhaus in Venice Beach, wo sie auf den Hund, „ihr Baby“ aufpassen soll, während sie und ihr Mann durch die Welt reisen. Einzige Verpflichtung: nicht nur auf den Hund aufpassen, sondern auch zu einer Liebes- und Sextherapiegruppe gehen. Und zwar regelmäßig. Während eines Strandspaziergangs trifft sie „Schwimmer“ Theo, der ihren mittlerweile ganz guten Lauf doch ziemlich ins Wanken bringt…
An die eigenen Lügen zu glauben ist eine Kunst. Manche Leute sagen, man müsse sich erst selbst von der Lüge überzeugen, doch ich konnte mir in dem Moment einfach keine andere Realität vorstellen.
„Fische“ ist kein Roman über die Heilung einer Obsession, nein, Lucy reitet sich immer weiter in ihre eigene Depression hinein, macht sich und ihr Wohlbefinden von einem Mann abhängig und weiß, ganz auf sich allein gestellt, nichts mit sich anzufangen. Über Tinder trifft sie zwei ganz hinreißende Exemplare Mann, und nach zwei unvergesslichen Nächten findet sie sich am Boden der Tatsachen wieder. Ihre Depression wächst und wächst. Immer wieder kehrt sie zu „Theos Felsen“ zurück, an dem er stets mit dem Unterkörper im Wasser vorfindet. Natürlich ist er der Meermann, der auf dem Klappentext erwähnt wird und nein, das ist definitiv kein Spoiler, wenn es sogar zur Marketingkampagne gehört. 😀 Theo ist natürlich wunderschön, sieht sehr jung aus, hat den perfekten Körper und holla, einen ebenso perfekten Penis. Und hier beginnt auch schon der Teil, bei dem mein Interesse an „Fische“ radikal abgeflaut ist. Der Leser bekommt jede Menge „merman erotica“, der Meermann wird mit einer Schubkarre ins Haus geschoben und der Hund der Schwester kurzerhand betäubt, damit er beim Liebesspiel nicht so viel bellt. Unsere Protagonistin verfällt immer mehr in einen für mich unverständlichen Wahnsinn und nicht nur ihre Therapiegruppe oder ihre neue Freundin, die sich umbringen will, leiden darunter, sondern vor allem der Hund ihrer Schwester. Der wird mehr und mehr zum lästigen Übel, um dass Lucy sich immer weniger kümmern will. Es schmerzt, mitzulesen, wie er in seinen eigenen Exkrementen sitzt und darauf wartet, dass sie ihn füttert. Um ihre „Beziehung“ zu Theo aufrechtzuerhalten, muss sie immer mehr Betäubungsmittel heranschaffen und fährt wie ein Junkie dazu zu vielen verschiedenen Tierärzten. Kompletter Wahnsinn. Dass ihre Schwester irgendwann zurück kommt, blendet Lucy vollkommen aus und gibt sich dem Liebesspiel mit dem Meermann hin. Dass das zu keinem guten Ende führen kann, ist keine Überraschung.
Was mir vor der Lektüre nicht bekannt war, ist, dass Melissa Broder auf Twitter eine ziemliche Fanbase hat und mit ihrem Humor anscheinend viel Anklang findet. Vielleicht hätte ich mich wirklich einmal informieren sollen. Denn „Fische“ war leider überhaupt nicht nach meinem Geschmack. Mit Lucy als Protagonistin schafft Melissa Broder ein richtiges Monster, ich wurde überhaupt nicht warm mit ihr und ihre Gedankengänge konnte ich auch nicht nachvollziehen. Natürlich steht ihre Dissertation um Sappho und deren Werke auch in einem gewissen Licht und gibt dem Roman etwas Tiefe, da ich aber nie etwas von ihr gelesen habe, konnte ich mit den Analysen nicht wirklich viel anfangen.
Wenn wir uns eine Situation ausmalen und aus tiefstem Herzen wollen, dass sie so eintritt, setzen wir alles daran, die Fantasie in die Realität umzusetzen. Hundegebell kam in meinem Traum nicht vor. Da waren nur Theo und ich, die weichen Laken und ein Universum aus Stille.
Im Vergleich zum relativ aktuellen „Shape of Water“, mit dem ebenfalls eine Liebesbeziehung zwischen Frau und Fischmann erschienen ist, konnte mich Melissa Broders Roman nur müde den Kopf schütteln lassen. Zwar habe ich bisher den Roman zum Film noch nicht gelesen, aber die beiden Protagonistinnen lassen sich auch anhand des Films gut vergleichen: Beide sind ebenfalls vernarrt in ihren Fischmann, aber während Elisa alles an seine Rettung setzt, ist Lucy viel fixierter auf ihr eigenes Wohl. Zudem scheint es bei Broder primär um Sex zu gehen, bei Guillermo del Toro jedoch entspinnt sich eine feine Liebesgeschichte. Ich werde euch jetzt aber keine detailreiche Analyse bieten, der Vergleich der beiden Werke hat sich hier jedoch angeboten.
Fazit: Melissa Broder mag wunderbar schreiben können, das will mal gesagt sein — der Schreibstil hat mir wirklich gut gefallen (bis auf einige Stellen, die sehr im Stil von „Feuchtgebiete“ gehalten waren) — die Handlung ist auch gut komponiert, aber das ganze Drama und die Obsession waren für mich etwas zu viel. Die Geschichte entwickelt sich frei nach „schlimm, schlimmer, am schlimmsten“ und ich hatte die ganze Zeit einfach nur Mitleid mit dem Hund und Lucys Mitmenschen. Die Tatsache, dass sie ihrem Tinder-Date, nachdem sie sich vor Ekel und Scham von ihm abgewandt hat und geflüchtet ist, ein Foto schickt mit „Guck mal, ich bin im Krankenhaus!“, und einen Mann mit einem „nach Muschi“ riechendem Fischschwanz dem ihr anvertrauten Hund vorzieht, sagt eigentlich alles. Ich wurde bis zur Meermann-Eskalation gut unterhalten, habe das Buch jedoch mit einem „Uff“ beendet und muss jetzt erst mal irgendwas ohne diese ganzen Stelldicheins lesen, um von diesem „Feuchtgebiete vs. Porno“-Vibe runterzukommen.
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Ullstein Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Melissa Broder, Fische. Ullstein Verlag Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 350 Seiten ISBN: 9783550050299 Erschienen: 11.05.18
Weitere Rezensionen findet ihr bei:
Ach herrje! Was ist denn das für eine Geschichte?
Das Cover ist wirklich super schön – aber die Geschichte klingt sehr verstörend.. Aber sind Meermänner jetzt die neuen Vampire? Scheinen ja überall aufzutauchen 😉
Liebe Grüße
Juliane
Man muss ein bestimmter Typ Mensch sein, um diesen Roman zu begreifen. Es hilft sehr ihn mit der von der Autorin intendierten Fabelhaftigkeit zu lesen: Theo ist physisch kein Meermann, er ist noch nicht mal existent. Er soll nur das Spiel eines Manisch-Depressiven mit dem Tod literarisch darstellen. Quasi der Sensemann mit Verweis auf Mythologisches. Wenn man Tiefgründiges akzeptiert, ist der Roman großartig.
Wow, so ist das natürlich alles direkt viel sinniger! Danke dir für den Kommentar! Jetzt muss ich doch nochmal reflektieren…