In den letzten beiden Monaten habe ich einige Bücher gelesen, zu denen ich eigentlich jeweils eine große Rezension schreiben wollte, aber bei manchen Büchern… geht das irgendwie nicht. Entweder das Buch war gut, aber man hat nichts zu erzählen, oder aber es ist nicht so doll und das Besprechen fällt ebenso schwer. Heute habe ich mal von jeder Sorte eins mitgebracht unter dem Deckmantel „Literatur aus China“.
Cixin Liu, „Kugelblitz“
An seinem vierzehnten Geburtstag muss der junge Chen miterleben, wie seine Eltern vor seinen Augen getötet werden. Ein mehrere Tausend Grad heißer Feuerball fährt in das alte Haus und verwandelt alles in Asche – ein Kugelblitz. Fortan hat Chen nur noch ein Ziel im Leben: Er will diesem rätselhaften Naturphänomen auf den Grund gehen und es erforschen. Der Weg dorthin führt ihn weit weg von seiner Heimat in der Provinz, über sturmgepeitschte Gebirge bis tief hinab in die Geheimlabore des Verteidigungsministeriums. Dort macht Chen schließlich eine atemberaubende Entdeckung, die ihn an die Grenzen der Physik führt und ihn vor eine Entscheidung stellt: Wem gilt seine Loyalität – seiner Obsession mit Kugelblitzen, seinen Auftraggebern im Ministerium oder allein der Wissenschaft?
Hach, ich habe Cixin Lius Kurzgeschichten allesamt geliebt. Ob „Weltenzerstörer“, „Spiegel“ oder auch das ganze Kompendium „Die wandelnde Erde“, ich war jedes Mal richtig euphorisch. Wie kann ein Mann nur eine solch immense Vorstellungsgabe besitzen? Die Trisolaris-Bücher habe ich mich allerdings noch nicht rangetraut – zu dick, zu viel Zeit müsste ich investieren. Gerne wollte ich aber einen richtigen Roman von ihm lesen. Wie passend, dass dann der „Kugelblitz“ um die Ecke kam. Der Plot klang äußerst spannend – ich habe schon öfters Berichte bzw. die Geschichten, die sich um den Mythos Kugelblitz ranken, verfolgt, und war fasziniert. So ein knackiges Thema, eine Geschichte rund um Obsession und dann noch ausgeführt von Cixin Liu, was kann da schon schief gehen? Das waren ungefähr meine Gedanken, doch nachdem die ersten 100 Seiten an mir vorbeizogen, verlor die Geschichte allmählich an Spannung, Liu ging gefühlt die Puste aus. Als das Ganze dann eine zunehmend militärische Richtung einschlug, bei der es hauptsächlich um Waffenforschung ging und wie man den Kugelblitz zur Vernichtung feindlicher Ziele erzeugen und optimieren könnte, bin ich gedanklich bereits ausgestiegen. Lediglich die eingestreuten Kapitel mit merkwürdigen Phänomena fand ich unheimlich faszinierend und wollte allein deshalb bis zum Ende durchhalten. Chen, unser Protagonist, findet beispielsweise ein Gemälde seines Vaters, das aber einen Turm beinhaltet, der erst nach seinem Tod gebaut wurde. Und in den Unterlagen von Chens Doktorvater finden sich Anmerkungen in der Handschrift von dessen Geliebter, die ebenfalls durch einen Kugelblitz umkam. Die Unterlagen wurden wohlgemerkt erst nach ihrem Tod angefertigt. Was passiert mit den Menschen, die durch einen Kugelblitz sterben? Körperlich werden sie zu einem Häufchen Asche, doch was geschieht auf atomarer Ebene? Das war wirklich sehr spannend und des Rätsels Auflösung hat mich angetrieben, doch die gesamten 540 Seiten zu lesen. Rund 80% des Romans habe ich leider aufgrund von Militär, Waffenforschung und strategischer Kriegsführung absolut nicht genießen können. Deshalb empfehle ich „Kugelblitz“ nur wirklich denjenigen, die etwas mit diesen Themen anfangen können. Die Rahmenhandlung und die mysteriösen Ereignisse rechtfertigen die Lektüre von Cixin Lius ursprünglich 2000 erschienenem Werk nicht.
Cixin Liu / Kugelblitz / Heyne Verlag / Taschenbuch, 544 Seiten / ISBN: 978-3-453-32030-7 / Erschienen am 11.05.20 / zur Verlagsseite
Eileen Chang, „Die Klassenkameradinnen“
Zhao Jue lebt in New York, arbeitet als Dolmetscherin für die UN. In einer Zeitschrift entdeckt sie das Foto einer ehemaligen Mitschülerin. Ihre Freundin lebt inzwischen mit ihrem deutschen Mann in Washington, es ist 1975, China und die USA nähern sich nach dem Besuch von Nixon langsam an. Zhao Jue erinnert sich an die Schulzeit im Shanghai der Dreißigerjahre, an das sexuelle Erwachen der Freundinnen. Wie Eileen Chang überwirft sich Zhao Jue mit der Familie, widersetzt sich deren Heiratsplänen und hält sich während der japanischen Besetzung mit Schmuggel über Wasser. In Amerika begegnet sie Vorurteilen, lernt aber auch die Freiheit kennen.
Diese kleine Novelle mit ihren knapp 100 Seiten entdeckte ich rein zufällig im Verlagsprogramm von Ullstein. Die Autorin, die offensichtlich zu den bedeutendsten in China zählt und deren Werke als Klassiker betitelt werden, sagte mir bis dahin noch nichts. Ich erfuhr, dass „Die Klassenkameradinnen“ erst posthum veröffentlicht wurde, da Eileen Chang hier persönliche Erlebnisse verarbeitet. Die Autorin erzählt in diesem knappen Bändchen von zwei Freundinnen, die beide aus China in die USA emigrierten. Doch da beide aus einer vollkommen verschiedenen Gesellschaftsschicht kommen, verläuft ihr Amerika-Aufenthalt ebenso unterschiedlich. Während der Mann der einen mittlerweile ein hohes politisches Amt in den USA bekleidet und sie fortan im Wohlstand lebt, kommt die andere mit ihrem Job als Dolmetscherin gerade so über die Runden. Die beiden, die sich zu Schulzeiten immer gut verstanden haben, besuchen sich in immer größer werdenden Abständen gegenseitig in den USA – und entfremden sich zunehmend. Was hochinteressant klingt, besonders im historischen Rahmen der später 70er, kommt leider viel zu kurz. Hier hätte sich Eileen Chang meiner Meinung nach ein wenig mehr austoben und die Geschichte auf vielleicht die doppelte Länge ausdehnen können. So blieben die beiden Frauen leider etwas unscharf in ihrer Charakterisation und auch das jeweilige Umfeld hätte ich gerne besser kennengelernt. Dennoch war „Die Klassenkameradinnen“ ein guter Einstieg in die anderen Werke von Eileen Chang, von denen bereits einige bei Ullstein erschienen sind und die ich mir auf jeden Fall näher ansehen möchte.
Eileen Chang / Die Klassenkameradinnen / Ullstein Verlag / Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 96 Seiten / ISBN: 9783550050145 / Erschienen am 02.06.20 / zur Verlagsseite