Zwei Expeditionen in die Antarktis, zwei Forscherteams und zwei langatmige Geschichten — „Everland“ kann durch Sprache und Atmosphäre überzeugen, der Spannungsboden bleibt jedoch flach.
Rebecca Hunts zweiter Roman ist Abenteuergeschichte, spannender Thriller und psychologisches Drama in einem. Die Insel Everland wird von zwei Antarktisexpeditionen erforscht, zwischen denen hundert Jahre liegen. Doch die Einsamkeit, die harten Wetterbedingungen und die feindseligen Kräfte der Natur sind heute wie damals bestimmend, und bei beiden Expeditionen zeigt sich: Die Antarktis enhüllt den wahren Charakter der Menschen, die sich ihr aussetzen. (zur Verlagsseite)
Vom Cover und Klappentext gelockt, wurden bei mir bei dem Titel „Everland“ direkt Assoziationen an fantastische Geschichten und Bücher ausgelöst und in Erwartung eines fantastischen Abenteuerromans (oder zumindest einem, in dem es zur Sache geht!) zu Rebecca Hunts Roman gegriffen. Leider wartete hier eine herbe Enttäuschung auf mich, denn Spannung kam hier keine auf. Doch zunächst einmal zum Inhalt:
Im Jahr 1913 entdeckt das Forschungsteam der „Kismet“ bei einer Antarktis-Mission eine unbekannte Insel, die sie „Everland“ taufen. Klirrende Kälte und eine Landschaft der des Mondes gleich, schicken die Forscher zunächst drei Männer los, um die Insel zu erkunden. Doch was für Dinners, Napps und Millet-Bass anfangs wie der Jackpot aussah, da diese unbetretenes Land auskundschaften sollten und womöglich Erkenntnisse von unschätzbarem Wert für die Wissenschaft mitbringen, entpuppt sich schon bald als Alptraum. Mit ihren komplett gegensätzlichen Persönlichkeiten geraten die Männer immer wieder in Streitigkeiten und Unstimmigkeiten. Keine gute Voraussetzung, um zwei Wochen lang in der eisigen Kälte zu überleben…
2012, knapp hundert Jahre später, bricht das zweite Forschungsteam nach Everland auf, und wieder einmal sind drei Personen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, gezwungen, auf kleinstem Raum zusammenzuleben und Feldforschung zu betreiben. Das Schicksal der Männer von 1913 ist Brix, Decker und Jess bekannt: In den 1960er Jahren wurde die Geschichte um Millet-Bass, Napps und Dinners verfilmt, sodass die Crew-Mitglieder der zweiten Mission bereits wissen, was auf sie zukommt. Doch leider haben sie sich und ihre Fähigkeiten überschätzt…
Lawrence erlebte das Desaster von Everland wie einen glühenden Schmerz im Magen. Er brannte den ganzen Tag Löcher in sein Inneres, die es ihm unmöglich machten, sich zu konzentrieren, und nachts zog es Schwärme von fleischfressenden Gedanken an, die ihm den Schlaf raubten.
Rebecca Hunt erzählt abwechselnd von den Ereignissen der „Kismet“ und des zweiten Teams, was leider dazu führt, dass die Geschichte langatmig wirkt. In kurzen Kapiteln erfährt man stückchenweise, wie sich die Handlung 1913 entwickelt (was den Charakteren aus der 2012-er Mission natürlich bereits alles bekannt ist) und wie die Mission knapp 100 Jahre später mit neuster Technologie abläuft. Beide Expeditionen führen zum Aneinandergeraten der Crew-Mitglieder, vor allem wegen ihrer doch sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten. Bei den Teammitgliedern von 1913 und 2012 kann man auch Parallelen ziehen: Dinners, der oft mit Hundewelpen und dergleichen verglichen und von allen Mitreisenden in Schutz genommen wird, ähnelt doch der sehr tollpatschigen Trix, und beide werden auf Dauer zur Belastung des Teams. Die frostigen Temperaturen und das mangelnde Voranschreiten der Forschung führen immer mehr dazu, dass die Mitglieder bald nicht mehr miteinander klarkommen, obwohl es in Situationen wie der eines Schneesturms wichtiger denn je ist, sich zusammenzuraufen. Dies gelingt beiden Teams allerdings nicht so gut. Die Crew-Mitglieder geraten jeder für sich in einen Strudel aus Depression und Wut, aus dem sie nicht mehr so leicht heraus gelangen. Die Charaktere, die für mich von Anfang an unsympathisch und unzugänglich erschienen (mit Ausnahme von Brix), wurden durch den enormen psychologischen Druck nach und nach noch unsympathischer, und einige Entscheidungen waren letzten Endes nicht mehr gänzlich nachvollziehbar.
Der Schreibstil war eigentlich relativ flüssig und angenehm zu lesen, allerdings habe ich überhaupt keinen Zugang zum Buch gefunden, weshalb es für mich doch um einiges anstrengender war, sich den Seiten hinzugeben, im Vergleich zu jemandem, der in der Story drin ist und sich in die Charaktere einfühlen kann. Doch Mitgefühl und Mitfiebern – das war leider Fehlanzeige. Der Klappentext, der Titel sowie einige Andeutungen im Text haben mich auch darauf hoffen lassen, dass es vielleicht doch noch spannend wird und auch fantastisch (im Sinne von Fantasy), aber auch hier leider – nichts.
„Es gibt nichts, was ich nicht tun würde, um zurückzukehren, nichts, womit ich nicht leben könnte, wenn es mich nur nach Hause bringt.“
Fazit: Ich kann mir gut vorstellen, dass Abenteuerfans hier voll auf ihre Kosten kommen können. Doch für mich, die ein wenig Fantasy oder Grusel- und Spannungsmomente erwartet hat, war „Everland“ leider ein gewaltiger Flop. Unsympathische Charaktere, in die man sich überhaupt nicht einfühlen kann und eine Handlung, die nur vor sich hin plätschert, haben das große Antaktisabenteuer ausbleiben lassen.
Titel: Everland Autor: Rebecca Hunt Luchtherhand Verlag Gebundenen mit Schutzumschlag, 411 Seiten ISBN: 9783630874630 Erschienen: 13.06.2017
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Luchterhand Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!