»Der Tod kommt wie ein Wind. Er trägt dich fort.« — Eindringlich, melancholisch, leise lauschen wir mit Seethaler den Geschichten der Toten.
Wenn die Toten auf ihr Leben zurückblicken könnten, wovon würden sie erzählen? Einer wurde geboren, verfiel dem Glücksspiel und starb. Ein anderer hat nun endlich verstanden, in welchem Moment sich sein Leben entschied. Eine erinnert sich daran, dass ihr Mann ein Leben lang ihre Hand in seiner gehalten hat. Eine andere hatte siebenundsechzig Männer, doch nur einen hat sie geliebt. Und einer dachte: Man müsste mal raus hier. Doch dann blieb er. In Robert Seethalers neuem Roman geht es um das, was sich nicht fassen lässt. Es ist ein Buch der Menschenleben, jedes ganz anders, jedes mit anderen verbunden. Sie fügen sich zum Roman einer kleinen Stadt und zu einem Bild menschlicher Koexistenz. (zur Verlagsseite)
Robert Seethaler konnte mich letztes Jahr mit seinem Roman „Ein ganzes Leben“ so dermaßen überzeugen, dass ich richtiggehend gehyped war, als ich gesehen habe, dass ein neuer Roman von ihm erscheint. Als ich dann noch den Klappentext gelesen hatte, war alles klar. „Das Feld“ und ich, wir mussten und auf ein Stelldichein treffen. Als es dann endlich soweit war, habe ich dieses Buch verschlungen, wie ich lange keines mehr verschlungen habe. Trotzdem bleibt irgendwie ein leichter, fahler Nachgeschmack. Doch erstmal zum Anfang: Ein alter Mann setzt sich auf „seine“ Bank, eine Bank auf dem Friedhof Paulstadts. Es schien ihm stets so, als würden die Toten ihm seine Geschichten zuflüstern — und genau das geschieht auch. Also, ob sie wirklich flüstern, wissen wir natürlich nicht, dafür tauchen wir ein in die Gedankenwelt vieler ehemaliger Dorfbewohner und erfahren, was sie wohl nach ihrem Ableben so denken würden. Philosophieren sie, sinnieren sie über ihr gelebtes Leben? Bereuen sie Dinge? Sind sie wütend, traurig, sehnen sie sich nach dem Leben zurück? Nach und nach lernen wir einiges über Paulstadt — einem kleinen, verschlafenen Städtchen — und seinen Bewohnern. All die kleinen Portraits verweben sich zu einem großen Ganzen und stellen dem Leser wichtige Fragen: Was macht ein Leben aus? Wann hast du wirklich „gut gelebt“, gibt es so etwas überhaupt?
Im Grunde genommen verstehe ich ja nichts von der Liebe, und vom Leben weiß ich nur, dass man es zu leben hat. Aber immerhin habe ich jetzt vom Sterben eine Ahnung: Es beendet die Sehnsucht, und wenn man stillhält, tut es gar nicht weh.
Ich liebe Robert Seethalers Sprache. So viel sei schon mal gesagt. Bereits letztes Jahr erfuhr ich, wie gut Literatur sein kann (Stichwort Ein ganzes Leben). Sein neuer Roman könnte glatt eine Fortsetzung zum „ganzen Leben“ sein, vielleicht gar im selben Örtchen spielen. Die Atmosphäre ist so leise und gefühlvoll, aber dennoch eindringlich. Auf dem Friedhof von Paulstadt scheinen so viele herrliche Geschichten verborgen zu sein, denen man einfach nur lauschen möchte. Vom langjährigen Bürgermeister, der treuen Ehefrau, dem Pfarrer, der die Kirche in Brand gesteckt hat, über den Ehemann, den man sowieso stets verachtet hat — alle liegen sie hier Seite an Seite, und Seethaler gewährt uns einen Einblick in die Rückschau einiger ausgewählter Paulstädter. Diese Gedankenfetzen geben uns in den meisten Fällen trotz ihrer Kürze einen prägnanten Eindruck der Personen und auch wenn man gerade erst ein neues Kapitel begonnen hat, kann man sich sofort einfühlen.
Das gesamte Buch hindurch hatte ich auf fast jeder Seite den Wunsch, Sätze oder auch ganze Abschnitte dick zu unterstreichen oder einzukringeln. Das schafft glaube ich auch nur Seethaler. Obwohl es sich nicht immer um wunderbare Lebensgeschichten handelt, sondern durchaus auch bereut wird oder das Leben von Streitigkeiten und Feindseligkeit geprägt wurde, ist „Das Feld“ jedoch nie bedrückend oder deprimierend, denn eines macht Seethaler klar: Was vergangen ist, ist vergangen. Es ist schön, in Erinnerungen zu schwelgen, doch Überlegungen, „was wäre wenn…“ füllen vielleicht ein Buch, führen aber zu nichts. Und so lässt Seethaler seine Figuren nicht das „was wäre wenn“-Spiel spielen, sondern schenkt ihnen einige letzte Momente aus ihrer vergangenen Zeit.
Als junger Mann wollte er die Zeit vertreiben, später wollte er sie anhalten, und nun, da er alt war, wünschte er sich nichts sehnlicher, als sie zurückzugewinnen.
Fazit: Der Wunsch, ich könnte die Geschichten der Toten hören, überkam mich schon des Öfteren, und da scheint es mir anscheinend nicht alleine so zu gehen, denn Robert Seethaler wurde für „Das Feld“ bereits mit dem Rheingau Literaturpreis prämiert. Und das auch zu Recht: Dieser Roman ist wunderbar harmonisch und verknüpft die Schicksale und Leben der ehemaligen Bewohner Paulstadts gekonnt und atmosphärisch. Der Autor konnte mich mit „Das Feld“ rundum begeistern — dennoch, wie eingangs erwähnt, blieb ein seltsamer Nachgeschmack. War das Buch zu kurz? Keineswegs. Waren die Charaktere unausgegoren? Auf keinen Fall! Trotz der Kürze der Kapitel wurde jede Person sorgfältig gezeichnet. Woran lag es dann, dass ich mit keinem rundum zufriedenen Gefühl herausgegangen bin? Ich weiß es nicht. Und nun, zwei Wochen nachdem ich dieses Buch gelesen habe, finde ich es immer noch ziemlich toll und weiß nun noch viel weniger, was war. Deshalb erhält Seethalers Werk von mir wohlverdiente 4 ½ Sterne.
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Hanser Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Robert Seethaler, Das Feld. Hanser Verlag Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 235 Seiten ISBN: 9783446260382 Erschienen: 04.06.18
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Danke für die Verlinkung. Ich bin gespannt, ob du irgendwann noch benennen kannst, was dir an dem Buch gefehlt hat.
Mir war es einfach nur zu kurz…
Liebe Grüße
Silvia
Ich kann da leider irgendwie den Finger gar nicht drauf legen.. vielleicht hat mir die Rahmenhandlung nicht „genügt“