Spannendes Jugendbuch, das Hauptthema wird aber leider nur oberflächlich behandelt.
Frankreich 1941: »Gut oder böse?« ist mehr als nur der Name eines Spiels, mit dem sich der zwölfjährige Rolf und sein Vater Ludwig die Zeit auf der Flucht vertreiben. Wie so viele andere deutsche Flüchtlinge, die von der Gestapo gesucht werden, sitzen die beiden in Marseille fest, weil sie keine Ausreisegenehmigung erhalten. Ihr Ziel ist New York, wo Rolfs Mutter auf sie wartet, doch der einzige Weg in die Freiheit ist ein steiler Pfad über die Pyrenäen. Fluchthelfer Manuel, ein Hirtenjunge kaum älter als Rolf, soll sie über die Berge führen. (zur Verlagsseite)
Mit „Der Pfad“ von Rüdiger Bertram zog das erste reine Jugendbuch seit langer Zeit bei mir ein. Ich wurde neugierig auf das Buch, als ich las, dass es um einen Weg quer durch die Berge geht – denn irgendwie zieht mich das Thema „Berge“ in letzter Zeit magisch an. Vielleicht wird es mal Zeit für einen Urlaub? 😉 Die Geschichte spielt zur Zeit des zweiten Weltkrieges, Hitler ist an der Macht und viele Deutsche flüchten aus Deutschland. So auch Rolf und sein Vater Ludwig. Die beiden sind vor einiger Zeit in Frankreich angekommen und warten auf den richtigen Moment und die richtigen Papiere einer Fälscherin, um über die Pyrenäen zu wandern und schließlich per Schiff in die USA zu gelangen, wo Rolfs Mutter bereits auf die beiden wartet. Doch dieses Vorhaben ist leichter gesagt als getan, und so müssen Vater und Sohn sich zahlreichen Herausforderungen stellen, bis sie erst einmal in die Nähe der Berge gelangen. Dort wartet der Hirtenjunge Manuel, der nur gebrochen Deutsch spricht, auf sie, um sie über die Berge zu führen. Ihren Hund Adi, der die Zwei die ganze Zeit begleitet, müssen sie zurücklassen. Doch das kommt für Rolf überhaupt nicht in Frage und so begeht er einen „kapitalen“ (ein Wort, das er gern gebraucht) Fehler, den sein Vater ins Gefängnis bringen wird…
»Trifft Hitler auf Wahrsager, fragt Hitler: Wann werde sterben ich? Sagt Wahrsager: An Feiertag. Will Hitler wissen: An was für Feiertag? Antwortet Wahrsager: Egal, wenn sterben du, wird sein Feiertag.«
Rüdiger Bertram erzählt hier von einer Flucht, wie sie in den 30er- und 40er-Jahren vermutlich unzählige Male vonstatten ging. Die Flucht aus Deutschland, das Wiedersehen mit alten Bekannten, die ebenfalls auf der Flucht sind und die ständige Angst vor Wachen und Polizisten sind starke Themen in „Der Pfad“. Rolf und Ludwig versuchen, mit ihrer Angst zurechtzukommen und spielen zum Zeitvertreib das erfundene Spiel „Gut oder Böse?“, um ihre Mitmenschen einzuschätzen. Dieses Spiel wird später harter Ernst, als die beiden sich Kontrolleuren und Beamten stellen und einschätzen müssen, ob sie ihnen trauen können oder nicht. Als Leser spürt man die ständige Anspannung der beiden am eigenen Leib und hofft inständig, dass sie es schaffen. Doch was ich von den letzten Kinderbüchern, die ich gelesen habe, gelernt habe, ist: Es gibt keine Happy Ends, die happy für jeden sind. Irgendwer zieht immer den Kürzeren und Opfer müssen gebracht werden. Und so ist auch dieses Jugendbuch nur eingeschränkt ein Buch mit einem Happy End – was natürlich auch an der Thematik liegen mag. Diesen Realismus habe ich bei der Lektüre der letzten vier Bücher bemerkt und finde es gut, dass er bereits bei Kinderbüchern Einzug gehalten hat. Tod, Krieg, Krankheit, Trennung — das sind wahnsinnig schwierige Themen, besonders für jüngere Leser. Umso besser, dass diese bereits in Büchern für die Kleinen eingeführt werden.
Fazit: Mit diesem Buch können jüngere Leser nachspüren, wie es den deutschen Flüchtlingen während des zweiten Weltkriegs gegangen ist, obwohl niemals die Grauen, die im Gefängnis oder in den Arbeitslagern auf die Gefangenen warten, auch nur angedeutet werden. Hitler wird stets ins Lächerliche gezogen bzw. Witze über ihn gemacht, zu keinem Zeitpunkt kommt das drückende Gefühl auf, das ich bekomme, wenn ich mir Berichte über den zweiten Weltkrieg durchlese oder ansehe. Die Geschichte ist natürlich für den jugendlichen Leser aufbereitet, am Anfang und Ende des Buchs findet man auch einen kleinen Comic-Strip, der die Handlung anreißt bzw. ausklingen lässt. „Der Pfad“ ist sicherlich gut geeignet, um das Thema „zweiter Weltkrieg“ an Jugendliche anzuführen, bevor diese spätestens im Geschichtsunterricht damit in Berührung kommen. Aber auch für „große Leser“ gibt es in diesem Buch einiges, das einen trotzdem fesselt, so fand ich beispielsweise die langsam wachsende Freundschaft zwischen Rolf und Manuel sehr schön in die Handlung eingeflochten; von zweien, die sich anfangs nur sporadisch unterhalten und wenn doch, dann immer im Streit, zu Freunden, die einander das Leben retten, ist es ein sehr schöner Weg.
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom cbt Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Rüdiger Bertram, Der Pfad. cbt Verlag Gebundenes Buch, 236 Seiten ISBN: 9783570172360 Erschienen: 16.10.2017