Eine traurige, herzzerreißende Geschichte über zwei einsame und kaputte Seelen, die zueinander gefunden haben.
Ein einsamer Mann Mitte fünfzig kommt ins Tierheim. Ray braucht einen Hund, wegen der Ratten in seinem Haus, und sucht sich den traurigsten Köter von allen aus: Einauge ist sehr schreckhaft, immer hungrig, und wenn andere Hunde in der Nähe sind, wird er aggressiv. Ray, der die von seinem Vater ererbte Bruchbude am Meer bisher kaum verlassen hat, findet in dem Hund einen Gefährten. Die beiden unternehmen lange Spaziergänge am Strand – bis eines Tages ein Kind mit Hund ihren Weg kreuzt. Einauge fällt den Rivalen an, und das Unheil nimmt seinen Lauf. Am nächsten Tag steht eine Polizistin vor der Tür. Ray wimmelt sie ab und flieht mit Einauge in seinem klapprigen Auto. So fahren die beiden, Menschen meidend, die irische Atlantikküste hinab, während es draußen immer kälter und das Geld immer weniger wird. Am Ende, beide essen längst nur noch Trockenfutter, müssen sie umdrehen. Und der Leser erfährt bei Rays Heimkehr dessen ganze traurige Lebensgeschichte, von der er sich nur durch die Verbindung mit seinem Hund hat befreien können. (zur Verlagsseite)
„Die kleinsten, stillsten Dinge“ von Sara Baume hat mich mit dem Klappentext direkt angesprochen, als ich es entdeckt habe. Nachdem ich „Lily und der Oktopus“ von Steven Rowley gelesen habe, hatte ich erst mal ein bisschen Angst, wieder „so ein Hundebuch“ zu lesen, aber ich wurde nicht enttäuscht. Dieses Buch ist so vollgepackt mit wunderschöner Sprache, einem wahnsinnig guten Erzählstil und einer schönen, aber auch traurigen Geschichte. Gegen Ende wurde das Leseerlebnis dann etwas abgeschwächt von meinen Erwartungen an das Buch. Aber fangen wir mal beim Inhalt an:
Ray ist Mitte 50, als er aufgrund einer Rattenplage auf seinem Dachboden beschließt, einen Hund anzuschaffen. Ob er es bewusst beschließt oder ob es vielleicht doch nur eine Eingebung ist, wissen wir nicht. Auf einem Poster vom Tierheim entdeckt er Einauge, der bei einem Kampf mit einem Dachs den Kürzeren gezogen hat, und nimmt das Tier mit nach Hause. Ray ist ein Einsiedler, bevor sein Vater starb (was jetzt gut ein Jahr zurückliegt), hat er niemandem je die Tür geöffnet oder jemals telefoniert. Dass er eigenartig ist, war ihm bewusst, doch was es genau ist, das ihn sonderbar macht, weiß er bis heute nicht. Sein Vater hielt ihn immer unter Verschluss, Ray hat nie andere Kinder kennengelernt und ist auch nie zur Schule gegangen. Nach dem Tod seines Vaters wohnt er alleine in der Bruchbude von Haus, die er geerbt hat, und verbringt seine Tage damit, zu lesen, bunte Glasperlen und andere Kostbarkeiten vom Strand zu sammeln und damit, die Dinge zu beobachten, die sonst niemanden zu kümmern scheinen.
Dein Gang, deine Bewegungen zeugen nicht von Aggressivität oder Bosheit. Nichts deutet auf den Raufbold hin, den ich erwartet habe. Du duckst dich, du kriechst beinahe, als würdest du einen schweren Klumpen Furcht tragen. […] Wie sehe ich wohl durch dein einsames Guckloch aus? Du gehst mir gerade mal bis zur Wade, und ich bin ein großer Kerl. […] Wenn ich stehe, bin ich gebeugt, niedergedrückt von meinem eigenen Klumpen Furcht.
Als Einauge bei Ray einzieht, wird alles anders. Plötzlich hat Ray erstmals einen Kameraden, jemandem, mit dem er reden kann. Und so erzählt er Einauge alles. Alles, was sich vor den Fenstern des Hauses abspielt, bis zu kleinen Dingen, die Ray beim täglichen Strandspaziergang sieht und die Einauge, immer seiner „Madennase“ folgend und Gerüche jagend, übersieht. So sieht Ray auch die Gefahr, die von Einauge ausgeht, wenn dieser auf andere Hunde trifft. Einauge verbeißt sich in zwei Hunden, ehe die Polizei vor der Tür steht und ihn in Gewahrsam nehmen will. Hier beginnt die Flucht der beiden, immer landeinwärts, immer die Menschen meidend, immer auf der Hut. Doch als das Geld schließlich zu Ende geht und die beiden mittlerweile besten Freunde umkehren müssen, stellt sich Ray schließlich seiner Vergangenheit.
Manchmal sehe ich in dir eine Traurigkeit, dieselbe Traurigkeit, die auch in mir ist. Ich sehe sie, wenn du seufzt oder den Kopf hängen lässt. Ich sehe darin, dass du immer ein bisschen auf der Hut bist und die Welt, die ich dir gegeben habe, nie als gegeben betrachtest. Meine Traurigkeit ist nichts, was ich empfinde, sondern etwas, das in meinem Körper gefangen ist wie ein Smog. Es macht alles matt. Es taucht die Welt in Ruß. Es saugt mir die Kraft aus den Gliedern und beugt meinen Rücken.
„Die kleinsten, stillsten Dinge“ konnte mich durch Schreibstil und Erzählweise komplett überzeugen. Ray ist ein wahnsinnig toller Protagonist, der die Geschichte von sich und Einauge wunderschön aus seiner Perspektive erzählt. Leider hat die anfangs so gefühlvolle und traurigschöne Story am Ende den Wind aus den Segeln gelassen und vom letzten Reiseabschnitt (Richtung Heimat) an bis zur Ankunft am Haus und dem, was danach noch so passiert ist, war ich der Geschichte ein wenig überdrüssig. Vielleicht habe ich etwas anderes erwartet, als das Buch mir suggeriert hat, jedenfalls war ich mit den letzten 30-40 Seiten nicht mehr so glücklich. Vielleicht ist es aber auch das Finale, was den Rückblick auf das Buch im Nachhinein etwas trübt. Diese letzten Seiten haben auch leider den fünften Stern der Bewertung abgezogen, machen das Buch aber im Endeffekt auf keinen Fall zu einem schlechten Buch – im Gegenteil! Sara Baume hat hier ein wahnsinnig ergreifendes, packendes und doch stellenweise unaufgeregtes Werk vorgelegt.
Fazit: „Die kleinsten, stillsten Dinge“ ist ein tolles Buch, das mich von Seite 1 an abgeholt hat. Der leicht seltsame Ray, in den ich mich aber trotzdem sehr gut hineinversetzen konnte, ist ein unglaublich sanfter, nachdenklicher Typ, auch wenn sein Äußeres dagegen zu sprechen scheint. Mit der Ankunft von Einauge beginnt sich eine wunderschöne und tieftraurige Geschichte zu entspinnen, die Ray letzten Endes auch dazu bringt, sich dem „Smog“ seiner Gedanken zu stellen und seine Vergangenheit zu akzeptieren.
Titel: Die kleinsten, stillsten Dinge Autor: Sara Baume Rowohlt Verlag Erschienen: 26.08.2016 Hardcover mit Schutzumschlag, 288 Seiten ISBN: 9783498058111
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Rowohlt Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
„Nachdem ich „Lily und der Oktopus“ von Steven Rowley gelesen habe, hatte ich erst mal ein bisschen Angst, wieder „so ein Hundebuch“ zu lesen“
Ganz genau daran habe ich eben auch denken müssen, als ich die Rezension bei dir entdeckt habe! 🙂 Ich wollte direkt nachfragen, ob es ‚In der Art von…‘ ist. Ich finde solche Geschichten eigentlich grundsätzlich auch immer sofort ansprechend, liegt wohl einfach daran, dass ich Hunde bezaubernd finde. : D. Das Buch merk ich mir mal flott, denn deine Rezension klingt auf das Buch bezogen auch sehr vielversprechend!
Liebe Grüße
Karin
hi karin,
danke für deinen kommentar! 🙂
der vergleich mit lily hinkt womöglich ein bisschen, da die gemeinsamkeit der beiden bücher ja nur darin liegt, das es isch um eine traurigschöne hund-mensch beziehungsgeschichte handelt. aber gefallen haben mir trotzdem beide! 🙂 <3
berichte mal, wie du es findest, falls du es lesen solltest!
viele liebe grüße aus hessen,
tina
Die Geschichte hört sich wundervoll an. Vielen Dank für deine tolle Rezension, die mich nun auf das Buch neugierig gemacht hat. 🙂
freut mich, dass dir die rezi gefallen hat! 🙂 du musst berichten, falls du es lesen solltest! 🙂