Wort- und bildgewaltige Erzählungen, die überzeugen!
Titel: Von Verwandlungen: Erzählungen
Autor: Victoria Hohmann
Verlag: VHV Verlag
Klappentext: Ein Mann löst sich in den Überbleibseln seiner verronnenen Liebe auf, eine Frau schlafwandelt durch ihre Vergangenheit, um sich neu zu erfinden, Kinderaugen verändern politische Sichtweisen, Bildschirme befeuern überraschende Transformationen, Gleichschaltung zersetzt Leben – und mündet unverhofft in magischer Metamorphose. Sieben Erzählungen über vielgestaltige Verwandlungen inmitten absurder Alltäglichkeit. (zur Verlagsseite)
Die Stadt vermisste Land. Je größer sie war, desto inniger. Unverhofft keimte in Spalten zwischen Pflastersteinen und Asphaltritzen Sehnsucht nach Ursprünglichkeit. Das Verlangen nach Verwurzelung wurde sich seiner erst in Unwirtlichkeit bewusst. (aus: „Von Bäumen“)
Victoria Hohmann fasst in „Von Verwandlungen“ sieben Erzählungen in einem (ziemlich hübschen) Buch zusammen, die allesamt von, wie der Titel schon verrät, von Verwandlungen und Metamorphosen handeln. Dabei sind nicht nur physische, sondern auch psychische Verwandlungen gemeint. Die einzelnen Kurzgeschichten erzählen alle von unterschiedlichen Personen und ihren Schicksalen. Nicht selten wird mitten in der Erzählung die vierte Wand durchbrochen und man findet sich in einer neuen Realität wieder. Die Erzählungen sind thematisch sehr unterschiedlich, von Sprengkörpern, die in Attentätern wachsen, über eine Frau, die sich nachts in einen Baum verwandelt, bis hin zu zwei Freunden, die das Leben auseinander reißt.
Hohmann schafft hier mit ihrer bildgewaltigen Sprache, was andere von mir gelesene Erzählungen nicht konnten: überzeugen! Innerhalb von kürzester Zeit ist man im Text angekommen, wundert sich über die Geschehnisse und fühlt sich authentisch aus der Immersion getreten, wenn die vierte Wand durchbrochen wird. Poetisch, wortgewandt und teilweise auch sehr herzzerreißend (Beispiel: „Sprengkörper“ und „Von Bäumen“) verwandelt die Autorin schöne Ideen in denkwürdige Kleinode. Obwohl die Erzählweise auch mal verwirren kann, lebt dieses Buch zum großen Teil von seiner Sprache: Hohmanns Stil ist einzigartig und wunderbar. Es wird mit der Erwartung des Lesers gespielt und Sätze enden gerne auch mal einfach so. Witzige Szenen wechseln sich mit zum Heulen traurigen ab, und die Erzählungen sind nicht nur aufgrund ihrer Länge sehr kurzweilig.
Immer hatte das Außen ihre Bewegung diktiert. Stillstand bedeutete Tod, hieß es aus fremden Megaphonen. […] Wortkaskaden voll Hinterlist und Großtuerei hatten ihr die Sinne geraubt. Sie hatte Begreifen aus Lauten geschält wie ein dazu verdonnerter Matrose Kartoffeln in der Kajüte. Silbenkolonien hatten ihre Welt bevölkert, besetzt. Tag für Tag hatte sie Sprachgebirge durchwandert […]. (aus: „Undine“)
„Sprengkörper“, „Hater“ und „Von Bäumen“ gehören zu meinen absoluten Lieblingserzählungen in diesem Band! Die drei haben sich meiner Meinung nach sprachlich am meisten herausgetan und mich lachen, weinen und vor Wunder staunen lassen.
Um euch einmal einen Eindruck von den Geschichten zu vermitteln: „Sprengkörper“ erzählt die Geschichte der kleinen Helen, die durch die Nachrichten von vermehrten Attentaten hört und diese mit einem Blindgänger, der in ihrer Nähe gefunden wurde, verbindet. Die Gefahr, dass sie sich auch in einen Attentäter verwandelt und in ihr einer dieser Sprengkörper wächst, lässt das Mädchen nicht in Ruhe, bis sie eine Möglichkeit findet, die Bombe zu besänftigen. Mit einer kindlichen Stimme, die die Zusammenhänge der Welt noch nicht ganz begreifen kann, erzählt Hohmann hier eine wunderbare kleine Geschichte, die mich stellenweise ins Schmunzeln gebracht hat. Die kindliche Naivität wird hier auf den Punkt dargestellt und ich hätte gerne noch mehr von Helen und ihrer Theorie gelesen.
Ich möchte jetzt gar nicht zu jeder Erzählung etwas verraten, da das Unwissen, das Fehlen von einem umfassenden Klappentext, mich erst richtig neugierig gemacht hat. Mit keinen Erwartungen bin ich in das Buch hineingegangen, und was soll ich sagen? Ich wurde überrumpelt!
Es gilt Beute zu machen, koste es, was es wolle. Der Hass, den er erntet, ist ihm süße Lust. Ein Stillleben ist das Netz dem Mann […]. Vanitasmotive, wohin man auch schaut. Schrill sich überbietende Selfies, künstliches Carpe Diem, mahnendem Memento Mori auf der Flucht. (aus: „Hater“)
Fazit: „Von Verwandlungen“ erzählt sieben spannende, merkwürdige, unerwartete, und schöne Geschichten, die mit ihrer blumigen, poetischen Sprache überzeugen können. Auch die Erzählweise ist grandios umgesetzt; die Struktur, die Form ist nicht mit irgendetwas zu vergleichen, das in meinem literarischen Repertoire zu finden ist. Unerwartete Dinge geschehen, die Immersion wird aufgebrochen und nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Mit diesen Erzählungen habe ich mich auf Neuland begeben, außerhalb meiner Genre-Komfortzone gelesen, und es hat sich gelohnt! „Von Verwandlungen“ kann ich sehr empfehlen, vor allem für jemanden, der Kurzgeschichten und Erzählungen mag. Das Gefühl, das ich von einigen Geschichten gerne mehr gelesen hätte, war aber trotz des wunderbaren Rundum-Pakets ein kleiner Wermutstropfen für mich.
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise von Victoria Hohmann im Rahmen einer Lovelybooks Leserunde zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Victoria Hohmann, "Von Verwandlungen: Erzählungen", VHV Verlag. ISBN: 9783981862119, Zitate: S. 154, 50, 116.