Ein kurzweiliger Roman, der die Themen Tourette, Angststörungen und Selbstliebe mit Charme und Witz angeht.
Harmonies Leben ist alles andere als harmonisch. Die junge Frau hat Tourette, ihre vulgären Ausbrüche machen ihr das Leben schwer. Doch sie hat sich vorgenommen, sich aus der Abhängigkeit von ihrem Freund zu befreien und sich endlich einen Job zu suchen. So begegnet sie der ängstlichen älteren Dame Fleur, die außer ihrem russischen Therapeuten und ihrem übergewichtigen Hündchen jedem misstraut. Nichts spricht dafür, dass aus den beiden Freundinnen werden könnten. Doch als Fleur Harmonie versehentlich den Arm bricht, geschieht genau das. Gemeinsam entdecken sie die Welt, den Stepptanz und ein selbstbestimmtes Leben.
Dieses Büchlein erreichte mich bereits vor einer Weile. Ich hatte mehrmals mit dem ersten Kapitel angefangen, das mich nicht so recht zu packen vermochte, bis ich dann doch endlich die magische Grenze zum nächsten Kapitel überschritten habe und dann mit dem Lesen gar nicht mehr aufhören konnte. Doch obwohl alle Zeichen auf ein tolles Buch hindeuteten, sollte es einfach nichts werden mit uns – schade! Warum, erzähle ich euch später. Jetzt erstmal zurück zum Anfang: In Marie-Sabine Rogers Roman „Wenn das Leben anklopft, mach auf“ geht um zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Fleur, eine ältere Dame mit einer ausgewachsenen Angststörung, die sie mit unzähligen Tabletten und ihrem merkwürdigen Psychiater unter Kontrolle bekommen will. Fleur geht am liebsten gar nicht vor die Tür, sondern verschanzt sich mit ihrem kleinen Fiffi-Hund, den sie unsäglich verwöhnt, sodass er fettleibig ist, in ihrer Wohnung. Im Gegensatz dazu ist Harmonie ein fröhlicher Mensch und genießt das Leben, so gut es geht. Wäre da nur ihr Tourette-Syndrom nicht, das ihr dabei einen ordentlichen Strich durch die Rechnung macht. Denn einer Arbeit nachgehen kann sie so nur eingeschränkt. Ihr sehr fürsorglicher Freund behandelt sie wie ein rohes Ei und droht, sie mit Zuneigung zu ersticken. Harmonie möchte endlich wachsen und heuert deshalb bei Madame Fleur als Haushaltshilfe an. Ob das gut geht?
Ich warte auf den Montag, die Stunden vergehen, und je mehr sie vergehen, desto näher rückt der Termin, desto zappeliger unkontrollierbarer fühle ich mich, und ich denke, das wird nichts nein nein nein das wird nichts. Ganz sicher nicht. Diese Frau wird sehen, dass es nicht läuft, wie es normalerweise laufen sollte. Sie wird es merken, sobald sie die Tür aufmacht Tadaaaa weil in diesem Zustand Wu-Hu. Ich kann mich anstrengen, soviel ich will, um dieses ganze Chaos zurückzuhalten, das in mir anschwillt, es nützt nichts.
Kleiner Spoiler: Ja, es geht sogar sehr gut! Denn obwohl Harmonie mit ihren Tics der scheuen Fleur zunächst ein wenig Angst macht, raufen sich die beiden sehr bald zusammen. Dies ging für meinen Geschmack allerdings etwas schnell. Nach der Hälfte des Buches beginnt zudem ein Abschnitt, mit dem ich mich auch nicht so richtig anfreunden kann, aber hier kann ich nicht viel verraten, ohne euch das Buch vorweg zu nehmen. Deshalb sage ich nur kurz: Das erscheint mir sehr unwahrscheinlich und auch etwas komisch. Aber gut, kommen wir zu etwas Tollem: dem Erzählstil! Ich erwähnte zu Beginn ja, dass ich ins erste Kapitel nicht so richtig reingefunden habe, dass danach aber alles wahnsinnig flüssig lief. Das liegt daran, dass die Geschichte aus zwei wechselnden Perspektiven geschrieben ist: der Fleurs und der Harmonies. Während Fleur sehr viel sinniert, grübelt und gedanklich weit, weit abschweift, kommt Harmonie zur Sache – auch wenn ihre Tics den Gedankenfluss oft unterbrechen. Und genau das ist beides (jedenfalls für die erste Hälfte des Buches): ein großer Stream of Consciousness, ein innerer Monolog, den ich sehr gerne gelesen habe.
Doch „Wenn das Schicksal anklopft, mach auf“ dreht sich nicht nur um Fleur und Harmonie und ihren Weg zur Selbstliebe: Mehrere Nebencharaktere fügen dem Ganzen das gewisse Etwas hinzu, wie etwa der alte Fotograf, der aus seinem Fenster heraus über Jahrzehnte hinweg Fotos der umherspazierenden Menschen gemacht hat. So sind wahnsinnig tolle Momentaufnahmen entstanden, die die Leben der Anwohner oft über einen langen Zeitraum hinweg dokumentieren. Diese Nebengeschichte fand ich sehr interessant und hätte gerne mehr davon gelesen.
Während ich Madame Suzain meinen Fall erkläre, fühle ich mich gedemütigt. Dabei müsste ich mir mit Zeit einen Panzer zugelegt haben, hochsicherheitsverschlossen wie diese Panzertür, ich habe keinen Grund, mich zu schämen, ich bin nicht dafür verantwortlich, ich hätte mit einer viel schlimmeren Behinderung zur Welt kommen können, ohne Beine ohne Herz ohne Ideale oder schlimmer noch, ohne Humor.
Fazit: Ein süßer Roman, der gemütlich vor sich hin plätscherte – bis dann der zweite „Teil“ begonnen hat, der mich leider überhaupt nicht mehr begeistern konnte. Vielleicht liegt es daran, dass ich „diese Art“ von Buch eher selten lese, aber mir hat das Happy End mit „Friede, Freude, Eierkuchen“ leider gar nicht gefallen. Die Ursache findet sich hier in meinen sonstigen Lesegewohnheiten. 😀 Deshalb kann ich das Buch grundsätzlich trotzdem guten Gewissens weiterempfehlen, da mir beide Hauptcharaktere und auch die Geschichte im Allgemeinen sehr gut gefallen haben. Wer also leichte Lektüre für ein gemütliches Wochenende im Lesesessel (oder auf dem Balkon) sucht, kann auf jeden Fall zu „Wenn das Schicksal anklopft, mach auf“ greifen.
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Atlantik Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Marie-Sabine Roger / Wenn das Schicksal anklopft, mach auf / Atlantik Verlag / Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 304 Seiten / ISBN: 978-3-455-00843-2 / Erschienen am 04.02.20 / zur Verlagsseite
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