Eine feine Zukunftssatire — oder auch: An diesem Marketing kommst du nicht vorbei, surrender now!
Willkommen in QualityLand! In der Zukunft läuft alles rund: Arbeit, Freizeit und Beziehungen sind von Algorithmen optimiert. QualityPartner weiß, wer am besten zu dir passt. Das selbstfahrende Auto weiß, wo du hinwillst. Und wer bei TheShop angemeldet ist, bekommt alle Produkte, die er bewusst oder unbewusst haben will, automatisch zugeschickt, ganz ohne sie bestellen zu müssen. Superpraktisch! Kein Mensch ist mehr gezwungen, schwierige Entscheidungen zu treffen. Trotzdem beschleicht den Maschinenverschrotter Peter immer mehr das Gefühl, dass mit seinem Leben etwas nicht stimmt. Wenn das System wirklich so perfekt ist, warum gibt es dann Drohnen, die an Flugangst leiden, oder Kampfroboter mit posttraumatischer Belastungsstörung? Warum werden die Maschinen immer menschlicher, aber die Menschen immer maschineller? (zur Verlagsseite)
In QualityLand lautet die Antwort auf alle Fragen: OK
Von Marc-Uwe Klings Werk hatte ich bisher nicht das beste Bild, da ich die Känguru-Chroniken überhaupt nicht lustig finde und auch ein wenig albern. Doch als die Welle des Marketing für sein neuestes Buch „QualityLand“ auch mich erreicht hat, dachte ich „Das musst du haben“. Und zwar nicht nur, weil die Werbung mir suggerierte, dass dies ein Buch für mich ist (Die Wortwahl lautet tatsächlich „Das hier ist ein Buch für dich“). Das Buch handelt von Maschinenverschrotter Peter, der in der nicht allzu weit entfernten Zukunft in Deutschland lebt. Oder, wie es jetzt heißt: QualityLand. Alle Aspekte des täglichen Lebens werden von Algorithmen bestimmt, sei es nun der wöchentliche Einkauf, die Partnersuche oder der Weg zur Arbeit. Weitere Handlungsstränge machen die Zukunft noch realistischer und auch ein wenig Angst: So tritt beispielsweise der erste Roboter zur Kandidatur zum Präsidenten von QualityLand an, John of Us. Parteimitglied Martyn hat Streit mit seiner Frau Denise, weil sie mehr und mehr Zeit mit ihrem computerisierten, perfekten Freund zubringt und Martyn nicht für die Kosten der genetischen Anpassung ihres Babys aufkommen will. Am Rande des Geschehens „poppen“ zwischendurch immer mal Werbeblöcke für den nächsten Kinofilm oder die neusten Produkte Qualitylands auf, in optisch ansprechendem Design:
Nun muss ich aber dem Inhalt einiges vorweg nehmen: Die Optik und Haptik dieses Buchs ist der Wahnsinn. Das Design und auch die Kartonierung des Covers nötigt einen schon fast dazu, es zu berühren. Mit goldener Prägung und in dicken Lettern steht schlicht der Titel auf dem Cover, hinter dem schlicht ein geprägter Mund (dazu später mehr) zu sehen ist, der auch zugleich ein Barcode ist. Der Name des Autors steht direkt neben dem Q, ob das auch eine Anspielung auf den Inhalt ist? Schließlich sollte QualityLand zunächst „EqualityLand“ heißen. Und es wirkt doch ein wenig wie ein ‚E’… purer Zufall? Klappentext gibt es zumindest außen auch keinen, lediglich das „Motto“ QualityLands findet man auf der Buchrückseite vor. Durchgeplant wie die Marketingkampagne erscheint mir dieses Buch. Für echte Fans gibt es sogar zwei verschiedene Ausgaben, die optimistische (graue) und pessimistische (dunkle) Edition. Die Texte der „Werbeblöcke“ unterscheiden sich hier, ansonsten ist alles gleich. Wer jetzt aber nicht gleich beide Ausgaben braucht, aber trotzdem nachlesen möchte, was sich unterscheidet, kann dies auf der Webseite zum Buch tun.
Nun reist du also zum ersten Mal in deinem Leben nach QualityLand. Bist du schon aufgeregt? Ja? Aus gutem Grund! Denn bald betrittst du das Land, das so wichtig ist, das mit seiner Gründung eine neue Zeitrechnung begann: die QualityTime.
Nun zum eigentlichen Zweck dieses Posts: Meiner Rezension! Bei all der Optik und der PR-Kampfstrategie kann man nämlich schnell den Inhalt vergessen. Jedoch sticht „QualityLand“ wie ich finde aufgrund seiner Geschichte aus den Unmengen der Neuerscheinungen hervor. Klar, eine „schöne neue Welt“ ist nichts Neues, und Satiren sind heutzutage auch weit gestreut, aber irgendwas macht Kling hier richtig. Erzählt wird in einer nüchternen, gut lesbaren und manchmal vor „typisch deutschem“ Humor strotzenden Sprache erzählt, die uns alle auf die sehr lustige Reise durch die Zukunft mitnimmt. Ob es nun der Haupterzählstrang ist oder eine der Nebenhandlungen, Kling legt sehr viel Wert auf Details und bemisst jedem Teil denselben erzählerischen Wert. Keine der Teilhandlungen wurde meiner Meinung nach „abgefrühstückt“, sondern passt hervorragend zum großen Ganzen und macht dieses Zukunftsland noch greifbarer für den Leser. Zahlreiche Anspielungen auf aktuelle Ereignisse und Trends (Stichwort Unboxing) oder auch schlichte Vorurteile („alle Straftaten werden von Ausländern begangen“) nehmen diese humorvoll auf die Schippe und haben mich doch das eine oder andere Mal zum Schmunzeln gebracht. Sogar das Känguru aus seinen vorigen Werken nimmt der Autor mit auf, Fans werden aber bestimmt mehr Anspielungen und Andeutungen erkennen als ich.
Marc-Uwe Kling treibt es mit seiner Zukunftssatire nicht zu weit, er nimmt lediglich bereits existente Elemente und führt diese ein paar Schritte weiter. Beispielsweise der Großkonzern-Versandhändler, der noch vor dir weiß, was du willst, und dir per Drohne den gewünschten Artikel an die Haustür, oder wo auch immer du dich gerade aufhältst, liefert. Die Drohne bietet dir auch an, das Unboxing-Video hochzuladen, damit du es mit all deinen Freunden teilen kannst. Ein wenig absurd, aber keineswegs unrealistisch. Was anfangs ebenso absurd erscheint, ist die Bestätigungsform. Der Fingerabdruck wurde nämlich abgeschafft und stattdessen werden nun die fälschungssicheren Lippen verwendet. Heißt: jegliche Bestätigung erfolgt durch einen Kuss auf das jeweilige Gerät. Ebenso neu sind die genetischen Methoden, die Menschen in QualityLand „genießen“ können, wie beispielsweise der prognostizierte Lebenslauf eines ungeborenen Babys, der anhand alles verfügbarer Daten errechnet wird:
„Also, was wird es werden?“, fragt Denise.
Der Arzt räuspert sich. Dann sagt er: „Es wird wahrscheinlich eine drogensüchtige Sexarbeiterin ohne Kontakt zu ihrer Familie, mit gelegentlich wiederkehrenden Depressionen und einer besonders ausgeprägten Freude an alten romantischen Komödien mit Jennifer Aniston.“
Ein weiterer zentraler Aspekt in Klings Buch ist die Abstumpfung der Menschen. Überdeutlich durch den Leitspruch oder vielmehr das „Motto“ von „QualityLand“: In QualityLand lautet die Antwort auf alle Fragen: OK. Der Blick über den Tellerrand erscheint nunmehr unmöglich, den Menschen werden alle für sie als relevant eingestuften Neuigkeiten angezeigt (was auch die zwei Ausgaben dieses Buchs erklärt..) und nichts außerhalb. Peter erfährt beispielsweise nur durch Zufall von der Wahl des Präsidenten oder anderen wichtigen politischen News, aber nicht durch die Nachrichten selbst.
Jedem Bewohner von QualityLand steht es zudem offen, sich selbst zu optimieren und dafür wertvolle Level-Ups und Punkte zu kassieren. In 42 verschiedenen Bereichen kann ein Jeder sich zum Supermensch optimieren, sei es nun Pünktlichkeit, Teamfähigkeit, Sex-Appeal oder Humor. Durch dieses Rating-System ist es nicht nur leichter, einen passenden Partner zu finden, nein, sondern besonders privilegierten Menschen mit hohen Leveln steht es zu, beispielsweise eine Ampel durch ein Fingerschnippen auf Grün zu setzen oder den Aufzug sofort in die gewünschte Etage fahren zu lassen (beschränkt auf eine bestimmte Anzahl am Tag). Durch Steigerung der Punkte verbessern sich aber auch nach und nach Faktoren wie Gehalt, Kontostand oder die Arbeitsstelle stetig.
Unser Protagonist mag am Anfang des Buchs ein wenig einfältig wirken, jedoch tritt dieser nach den ersten paar Kapiteln aus seinem Schatten heraus und offenbart der Roboterdame Kalliope sein wirkliches Ich: Ein mitfühlender Maschinenverschrotter mit Herz, der die ihm gelieferten Maschinen nicht verschrottet, sondern bei sich im Keller leben lässt; der das System anzweifelt und spätestens nach der Zusendung eines pinken Delfinvibrators sein Geld zurück will – ganz im Stile von Wir sind Helden: „Guten Tag, ich will mein Leben zurück“.
„Ist dir schon aufgefallen, dass sich das sogenannte binäre System, bei dem man nur die Wahl zwischen den Werten 0 und 1 hatte, schleichend verwandelt hat? In ein, wie ich es nennen möchte, singuläres System?“
Fazit: Mit einer gehörigen Prise Humor und Ironie baut Kling hier ein kleines Mini-Universum auf, das nicht nur erschreckt, sondern auch sehr viel Spaß macht. Zwar ist die Ausführung stellenweise sehr albern und allein die Tatsache, dass Kinder als Nachnamen den Beruf ihrer Eltern zum Zeugungszeitpunkt tragen, stört mich doch ein wenig. Andererseits ist dies nur ein weiterer Aspekt, der es Menschen ermöglicht, über andere zu urteilen. Wenn dein Name nämlich „Peter Arbeitsloser“, wie unser sympathischer Protagonist, lautet, kann man doch direkt davon ausgehen, dass du zu nichts nutze bist. Oder? 😉 „QualityLand“ kann ich jedem empfehlen, der Spaß an absurdem und vor allem deutschen Humor hat, auf verrückte Geschichten steht und tendenziell gesellschaftskritisch ist. Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“ trifft auf Horst Evers „Alles außer irdisch“ — nur ohne Aliens und UFOs, aber mit demselben abgedrehten Humor.
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Ullstein Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Marc-Uwe Kling, QualityLand. Ullstein Verlag Gebundenes Buch, 381 Seiten ISBN: 9783550050152 (dunkel), 9783550050237 (hell) Erschienen: 22.09.2017
Hey!
Bin direkt zum Fazit gehüpft, weil ich am liebsten kaum etwas über das Buch wissen mag, bevor ich es lese.
Dein Fazit macht mich aber sehr neugierig, ich denke ich werde es mal probieren und schauen, ob mich der Humor anspricht. Die Känguru Chroniken kenne ich nicht.
Liebe Grüße,Nicci
Hihi, dabei habe ich kaum etwas vom Inhalt verraten – mein Korrekturleser war ganz verwundert. 🙂
Viel Spaß dir dabei! Ich habe auch nichts ovm Känguru gelesen (vielleicht ganz gut so) und hatte trotzdem meinen Spaß mit „Qualityland“ 🙂
LG, Tina
Vielen Dank
Wow, eine klasse Rezension!
Nicci hat mir dich bei der Suche nach anderen Rezis zum Verlinken empfohlen und das mache ich in dem Fall wirklich super gerne (wobei ich mich gerade für meine Rezension sehr schäme, im Vergleich zu deiner!)
Ich lasse auf jeden Fall ein Abo da 😉
VG Jennifer
Oooh, vielen lieben Dank! Da wird man ja rot Ich hab direkt mal bei dir reingeschaut und Zack, du hast auch einen neuen Leser! Eine schöne Woche dir noch!