Atwood baut hier eine gruselige Dystopie auf, die leider nicht glaubwürdig erscheint – der vielgelobte Klassiker kann nicht überzeugen.
Die provozierende Vision eines totalitären Staats, in dem Frauen keine Rechte haben: Die Dienerin Desfred besitzt etwas, was ihr alle Machthaber, Wächter und Spione nicht nehmen können, nämlich ihre Hoffnung auf ein Entkommen, auf Liebe, auf Leben … Margaret Atwoods »Report der Magd« wurde zum Kultbuch einer ganzen Generation. (zur Verlagsseite)
Mit dem „Report der Magd“ erschien in den Achtzigerjahren Margaret Atwoods gruselige und dystopische Vorausschau, die mittlerweile zum Klassiker avanciert ist, mehrere Male verfilmt wurde und jetzt auch in Serie läuft. Das Buch hatte ich bisher nie gelesen, wurde aber durch die ersten Folgen der Serie doch ermutigt, es zu tun. Durch eine namenlose Protagonistin erfahren wir, wie sich ein Regime aufbaut, das den Frauen zwar keine „Freiheit zu“ mehr gewährt, sondern vielmehr eine „Freiheit von„. Die Gesellschaft der religiösen Sekte besteht aus mehreren aufeinander aufbauenden Schichten: den Unfrauen, den Ökonofrauen, den Mägden, den Tanten und schlussendlich aus den Kommandanten und ihren Frauen. Unsere Protagonistin, mit dem Namen Desfred (nach „ihrem“ Kommandanten), ist eine Magd. Ihre Aufgabe ist es, für den Kommandanten und seine Frau Nachwuchs zu zeugen – also mit dem Kommandanten – nachdem durch Umweltverschmutzung und Atomabfälle Unfruchtbarkeit weltweit sehr verbreitet ist. Über die Vergangenheit der Protagonistin erfährt der Leser auch einiges: Sie wurde ihrer Familie – bestehend aus ihrer Tochter und ihrem Partner – während einem Fluchtversuch über die Grenze entrissen, und in das „Rote Zentrum“ gebracht. Ihre Freundin Moira, die ebenfalls ins Zentrum gebracht wurde, hat sie aus den Augen verloren, seit diese es geschafft hat, zu fliehen. Lebt sie noch? Könnte auch ihr eine Flucht gelingen? Und leben ihre Tochter und Luke noch? Der Wunsch nach einem Wiedersehen mit ihrer Tochter und ihrem Geliebten bringt sie dazu, durchzuhalten und das für sie zum Alltag gewordene sehr eingeschränkte Leben zu überstehen. Doch wird ihr Durchhaltevermögen am Ende belohnt werden? Gelingt ihr der Ausbruch oder beugt sie sich dem System restlos?
Ich denke an die Waschsalons. An das, was ich anhatte, wenn ich in einen Waschsalon ging: Shorts, Jeans, Jogginghosen. An das, was ich in die Maschinen steckte: meine eigenen Kleider, mein eigenes Waschmittel, mein eigenes Geld, Geld, das ich selbst verdient hatte. Ich stelle mir vor, wie es ist, so viel selbst bestimmen zu können.
Atwood schafft hier eine Welt, in der Frauen nur noch sehr wenige Rechte haben; sie dürfen sich nicht miteinander unterhalten, dürfen nicht arbeiten gehen und auch kein Eigentum besitzen — wozu auch der eigene Körper zählt. Dieser ist je nach Rang der Frau ausschließlich da, um Nachwuchs für den jeweiligen Kommandanten zu zeugen. In Atwoods Dystopie werden Frauen auf ihre Zeugungsfähigkeit reduziert, eine sehr furchterregende Idee, nachdem Frauen jahrhundertelang für ihre Rechte gekämpft haben. Doch innerhalb von kürzester Zeit gelingt es einer Gruppe von religiösen Fanatikern, die Regierung und sogar die Verfassung außer Kraft zu setzen; die Zeitspanne ist sogar so kurz, dass unsere Protagonistin sich noch lebhaft daran erinnert, was sie „vorher“ für Rechte hatte und was Freiheit wirklich bedeutete.
Puh. Dieses Buch hat mir entgegen meiner Erwartungen nicht gut gefallen. Teilweise hatte es tolle Aspekte, allerdings auch weniger gute. Vielleicht war eine Rezension, die ich vorm Lesen noch gesichtet habe, ausschlaggebend für meine Skepsis. Dort wurde angeführt, dass Atwoods Szenario nicht plausibel erscheint und innerhalb von so kurzer Zeit nicht so ein starker Gesellschaftswandel vonstatten gehen könnte. Und ich muss gestehen: Ich stimme zu. Die Dinge, die zu dem Umwurf der Gesellschaft, wie wir sie kennen, geführt haben sollen, werden gar nicht oder nur sehr ungenau beschrieben. Erst nach über der Hälfte des Buchs erfährt man einige Details mehr. Wie die religiösen Fanatiker es geschafft haben sollen, eine Kolonie, nämlich die Kolonie Gilead, aufzubauen und die Regierung und alles, was damit zu tun hat, zu stürzen, ist unklar. Der Leser wird vor vollendete Tatsachen gestellt, und auch wenn das in Dystopien eigentlich gang und gäbe ist und in anderen Werken hinreichend erklärt wird, erscheint mir hier alles sehr schwammig. Mein erster Leseeindruck war auch „Hm, vielleicht bin ich nicht feministisch genug für dieses Buch?“ Ein skurriler Gedanke, nicht? Denn dieses Szenario, das Atwood aufbaut, erscheint mir doch sehr unglaubwürdig. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber ich fand die Dystopien von Huxley und Orwell doch um Welten realistischer.
Ich war wie betäubt. Allen ging es so, das weiß ich noch. Es war kaum zu fassen. Die ganze Regierung, einfach so weggefegt. Wie sind die nur reingekommen, wie ist es passiert?
Fazit: Margaret Atwood schafft hier eine Gesellschaft, die fremd erscheint und nicht so ganz nachvollziehbar ist. Wie konnte dieser Wandel so schnell vonstatten gehen? Und wie ist es möglich, dass die Verfassung außer Kraft gesetzt wird? Die Autorin hat es meiner Meinung nach nicht geschafft, auf ihre grundsätzliche Idee ein gutes und glaubwürdiges Plot-Fundament zu bauen. Die Protagonistin erscheint unsympathisch und schien sich vor dem Wandel auch nicht sehr für ihr Umfeld interessiert zu haben, denn als der Wandel langsam vonstatten geht (Frauen ist z.B. relativ am Anfang des Umschwungs bereits schon kein Besitz mehr erlaubt), nimmt sie die Veränderungen zwar wahr, hinterfragt allerdings weder die Hintergründe, sondern sorgt sich viel eher darum, dass ihr Geliebter sie verlassen könnte und sie somit mittellos wäre. Das makaber anmutende Ritual, dass die Mägde einmal im Jahr einen Vergewaltiger töten, ja mit ihren eigenen Händen zerreißen dürfen, hinterfragt Desfred auch nicht. Die Akzeptanz der Protagonistin hat mich immer wieder aus dem Konzept geworfen. Grundsätzlich hat mir der Plot allerdings gut gefallen, die Idee war interessant, nur an der Umsetzung hat es gehapert. Vor allem mit der Protagonistin ist Atwood kein glücklicher Griff gelungen. Dennoch werde ich der TV-Serie noch eine Chance geben, die mich dieses Buch vielleicht doch noch mit anderen Augen sehen lässt.
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Piper Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Margaret Atwood, Der Report der Magd. Piper Verlag. Taschenbuch, 416 Seiten ISBN: 9783492311168 Erschienen: 03.04.2017
Hey!
Schade, dass dich das Buch nicht überzeugen konnte.
Dein Fazit hat mich jetzt aber dennoch sehr neugierig gemacht, sodass ich es ganz bald lesen möchte.
Hoffentlich klappt das, irgendwie drängeln sich ja immer mal andere Bücher vor, hihi.
Dein neuer Blogbanner gefällt mir übrigens richtig gut!
Liebe Grüße,
Nicci
Hallo Tina,
dein Fazit stimmt. Ich konnte es nicht so in Worte fassen, aber ich hab ständig versucht, eine zeitliche Übersicht reinzubringen, wielange das „normale“ Leben her ist. Die Magd ist noch gebärfähig und hatte ja schon eine Tochter. Auch wenn sie diese recht früh bekommen hat, dürfte das „alte Leben“ höchstens fünf Jahre her sein, das alles ist also recht schnell gekommen – und schon sind alle so gehirngewaschen? Mir kam das auch seltsam vor, andererseits bin ich mir nicht sicher, ob es nciht so passieren könnte?
Ich hab dich bei mir verlinkt, hier.
Liebe Grüße
Daniela