Eine Wucht von einem Roman, der einen nicht mehr loslässt, bis die letzte Seite umgeblättert ist.
Thomas weiß, dass es etwas gibt, was er seiner Mutter noch sagen muss, bevor sie stirbt. Aber wird er das rechtzeitig schaffen? Und wird er den Mut haben zu sagen, was er vorher nicht sagen konnte? Sein Telefon brummt, in seinem Kopf dreht sich alles und er kann sich nicht darauf konzentrieren, was gerade passiert und worauf es ankommt. Soll er versuchen, den Familienkonflikt zu lösen, in dem sich sein Freund gerade befindet? Sollte er die Trennung von seiner Frau nochmal überdenken? Warum ist er so ungeheuer verwirrt, ja geradezu paralysiert? (zur Verlagsseite)
Dieses Buch ist mir (wie so viele) aufgrund des Covers aufgefallen, das wirklich sehr außergewöhnlich ist. Spätestens beim Klappentext wurde mir dann klar, dass ich Tim Parks‘ neuestes Buch „In Extremis“ lesen muss. Gesagt, getan. Doch nachdem ich die Lektüre beendet hatte, war ich erst einmal sprachlos. Sprachlos von so einer schriftstellerischen Finesse, sprachlos vom Umgang mit diesem schwierigen Thema – dem Sterben. Denn in extremis bedeutet nichts anderes als „im Sterben liegend“. Und genau darum geht es. Thomas erhält eine Nachricht seiner Schwester, dass es seiner Mutter rapide schlechter geht und diese womöglich im Sterben liegt. Er hastet von einer Tagung über die heilende Wirkung von Analmassagen, auf der er einen Vortrag hält, zum vermeintlichen Sterbebett seiner Mutter, mit dem Gedanken, dass er ihr noch etwas äußerst Wichtiges mitteilen muss – was, weiß er selbst noch nicht genau. Im Hospiz angekommen, erwartet ihn jedoch eine Notfall-Situation seiner Ex-Frau, ein familiäres Chaos und ein nicht aufhörender Strom an Gedanken, Erinnerungen und Schuldgefühlen. Was unspektakulär klingen mag, ist aufgrund Tim Parks‘ Schreibstil allerdings etwas ganz Besonderes.
Plötzlich durchfuhr mich, leider, wie ein Stromschlag die Erkenntnis, dass in den nächsten Tagen schrecklich viele Gedanken auf mich einströmen würden. Angenommen Mutter starb. Und selbst wenn sie nicht starb. Schrecklich viele schwierige Gedanken und schwierige Gefühle, in einem Ausmaß, dass ich mich schon beim Gedanken an die Gedanken, die ich in Kürze würde denken müssen, erschöpft fühlte. Ganz zu schweigen von den Gefühlen, die ich fühlen würde. Vermutlich.
Tim Parks schafft es, seinem Protagonisten so viel Persönlichkeit einzuhauchen, dass es fast scheint, als würde er über sich selbst schreiben – so detailliert sind seine Gedankengänge, Zweifel, Erinnerungen und auch die äußerlichen Umstände wie die Beziehungen zu den einzelnen Familienmitgliedern und deren Kindern. Bereits mit der ersten Seite taucht der Leser komplett ab und treibt mit Thomas‘ Gedanken durch den Roman. Was sich in diesem Roman abspielt, ist alltäglich, ja beinahe trivial, dennoch verpackt Parks diese Handlung in ein so schönes Romankonstrukt. Die Erzählsprache ist einzigartig und konnte mich sofort begeistern; hauptsächlich innere Monologe, Gedanken und Erinnerungen an die Zeit mit seiner Mutter füllen die knapp 430 Seiten. Ehe Thomas zu Beginn die Tagung zur Analmassage verlässt, um zu seiner Mutter zu fliegen, und seiner Ankunft am Sterbebett im Hospiz vergehen gut und gerne 140 Seiten. Doch obwohl während dieser 140 Seiten so gut wie nichts passiert, erfahren wir jede Menge über Tom, seine Familie und vor allem seine Mutter. Die Nachricht, dass seine Mutter sterben wird, rüttelt ihn so sehr auf, dass er keinen klaren Gedanken fassen oder eine Entscheidung treffen kann. Während er beispielsweise zu Beginn auf dem Podium der Tagung steht, kreisen seine Gedanken stets um den Gesundheitszustand seiner Mutter und dass er eigentlich sofort los müsste, um sein Flugzeug nicht zu verpassen. Doch ist er wie starr in diesem Moment, möchte nicht die Gastfreundlichkeit der Veranstalter und Teilnehmer der Tagung zurückweisen, indem er früher als geplant aufbricht. Er hadert mit sich selbst, ist zerrissen und weiß nicht, was er tun soll. Diese Zweifel ziehen sich durch das gesamte Buch und es ist toll zu beobachten, wie Thomas es schafft, nach und nach wieder seinen Gedankenwirrwarr zu bereinigen.
Fazit: Mit seinem Roman „In Extremis“ zeigt Tim Parks uns auf, wie das Sterben eines Elternteils mit dem eigenen Leben kollidiert, es durcheinanderbringt und dafür sorgen kann, dass man in einen Zustand gedanklicher Verwirrung, Erschöpfung und Paralyse gelangt, die uns vor lauter Panik daran hindert, wichtige Entscheidungen zu treffen. Dem Autor gelingt es, zugleich tieftraurig und witzig zu sein, denn trotz dem Tod eines geliebten Menschen sollten wir uns nicht hoffnungslos fühlen, sondern nach vorn schauen – und auch wenn dies unserem Protagonisten sehr schwer fällt, schafft er letzten Endes doch den Spagat zwischen Trauer und Zuversicht. „In Extremis“ möchte ich wirklich jedem ans Herzen legen, der sich für die Themen Tod, Trauer und Krankheit interessiert und ein Buch lesen möchte, in dem der Tod so dargestellt wird, wie er ist.
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Kunstmann Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Tim Parks, In Extremis. Kunstmann Verlag Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 432 Seiten ISBN: 9783956142529 Erschienen: 26.09.18
Das klingt tatsächlich nach einem sehr guten Buch, bei dem es sich lohnt, sich näher damit zu beschäftigen.