Erzählungen, die überraschen, zum Denken anregen und im Gedächtnis bleiben!
Eine junge Frau in der Fremde, ein Maler in der Schaffenskrise, ein Mädchen, das sich zu seiner Homosexualität bekennt, ein Hasskommentare-Schreiber, eine Frau im Griff einer Angsterkrankung, eine andere im Griff ihres Smartphones, ein frustrierter Familienvater, ein angetrunkener Existenzialist, sogar eine Unbekannte in einer Wand. Getragen von einer assoziativen, bildreichen Sprache, entfaltet sich in zwölf Geschichten ein Mikrokosmos von Schicksalen mit oftmals unverhofften Wendungen. (zur Verlagsseite)
Nachdem ich fast genau vor einem Jahr bereits Victoria Hohmanns erstes Werk „Von Verwandlungen“ im Zuge einer Lovelybooks Leserunde lesen durfte, wurde ich neulich gefragt, ob ich nicht auch ihr aktuelles Buch lesen möchte — was für eine Frage! „Von Verwandlungen“ hat mich letztes Jahr der Kurzprosa näher gebracht, nachdem ich mich bisher mit Kurzgeschichten und Erzählungen schwer getan hatte. „Vom Dazwischen“ liefert uns nun 12 neue Erzählungen, von der eine sogar eine Fortsetzung ist – nämlich vom wütenden Hater aus „Von Verwandlungen“. Während die einzelnen Stücke alle ein anderes Thema kritisch behandeln, habe ich mich doch gefreut, etwas wiederzuerkennen. Hohmanns neues Buch nimmt uns mit auf eine Reise in verschiedene Thematiken, zu verschiedenen Menschen und an diverse Orte. Die Erzählungen sind wahnsinnig vielseitig und Langeweile ist diesem Büchlein ein Fremdwort. Ob es Thematisch um das Coming-out, die permanente Vernetzung oder eine Angststörung geht, Victoria Hohmann schafft es wieder einmal, mich in die Geschichten hineinzuziehen.
Die Vögel sangen: Amsel, Drossel, Fink und. Starr stand die Frau. Wachsfigur. Schmolz. Bei nur 22 Grad Außentemperatur.
Die Themenwelt ist in „Vom Dazwischen“ breit gefächert. In Schwarzwäldersahnetorte, der ersten Erzählung, tauchen wir beispielsweise in das Leben einer jungen Frau ein, die sich bei einem Klassentreffen einige Jahre nach ihrer Schulzeit mit ihrer Homosexualität befassen muss bzw. sich den ehemaligen Klassenkameraden dazu bekennen möchte. Die Straße lässt uns in die Gedankenwelt einer Frau mit Angststörung springen, die jeden Tag zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt ihre angsthemmenden Medikamtente nehmen muss und sich jetzt in einem Experiment ihrer Angst stellen will: Die Straße zur Bahn ohne Tablette hinuntergehen, vielleicht sogar auf der anderen Straßenseite. Dass sich die Gedanken da überschlagen und die Angst ihr hässliches Haupt reckt, ist unausweichlich. Wie Geschosse schlagen Gedankenfetzen in den Kopf der Frau ein, es wird zur Zerreißprobe — nicht nur für sie, sondern auch für uns, den Leser. Die Erzählung Balanceakte führt uns in eine Büro-Umgebung zur Mittagspausenzeit. Ein Mann und eine Frau unterhalten sich. Dass der Mann vielleicht mehr an der Frau interessiert ist, als er sich eingestehen mag, davon merkt sie nichts. Und überhaupt macht ihm die überraschende Qualitätssicherung Sorgen. Der Stress, der uns Arbeitnehmer täglich umgibt, die Anforderung, auch ja mehr als genug zu leisten, all das spiegelt sich in dieser Kurzgeschichte wider. Zum Schluss möchte ich noch kurz auf die Erzählung Die Frau in der Wand eingehen. Hier bemerkt eine Frau in ihrem Büro von einem Moment auf den anderen eine scheinbar im Mauerwerk eingeschlossene Frau. Ist ihr Mund zu einem stummen Schrei geöffnet oder wollte sie noch etwas sagen? Ist sie lebendig? Hängt sie im Dimensionsschaum fest? Oder bildet sich unsere Protagonistin das alles nur ein?
Jedes Gefühl, im Lebenslexikon verzeichnet, nummeriert, von A bis Z. Wie es in China ist, weiß ich nicht. Vielleicht gibt es dort mehr Gefühle als sechsundzwanzig. Ich habe keins. Nicht eins.
In „Vom Dazwischen“ verwischt Victoria Hohmann wieder gekonnt die Grenze zwischen Leser und Figur, die 4. Wand wird ebenso wie im Vorgänger „Von Verwandlungen“ gebrochen, aber der Schreibstil hat sich ganz klar auf einen Stil eingependelt, während im ersten Buch gefühlt mehr ausprobiert wurde. Das Wortgewandte, Wortspielerische scheint nun eindeutig zu Hohmanns Stil zu gehören – und das ist toll! Die oft kurzen, stakkatoartigen Sätze, aus denen die Kreativität nur so heraussprudelt, sind wunderbar zu lesen, auch wenn sie die Immersion etwas abschwächen, dafür aber das kritische Denken stark anregen. Hohmanns Stil ist einzigartig, der Leser wird direkt von den Worten festgehalten, eingesogen, nicht mehr gehen gelassen. Und das ist auch gut so, denn wer diesen Erzählband nicht liest, verpasst etwas. Was genau? Schwurbelige, aber auch knallharte Formulierungen, interessante und wichtige Thematiken, einen Schreibstil, den man so schnell nicht mehr vergisst. „Vom Dazwischen“ will immer wieder in die Hand genommen, will beendet werden, bloß um dann nochmal von Vorne anzufangen, man könnte ja etwas verpasst haben. Und so schließt sich der Kreis.
Hat man einmal einen Faden im Leben gefunden, braucht es ein ganzes, um jenen zu entwirren.
Fazit: In diesem Erzählband hat es Victoria Hohmann wieder geschafft, mich mit Kurzprosa zu ködern, die ich sonst eigentlich eher meide. Aber diese hier nicht! Auf wunderbare Weise werden hier verschiedenste Themen aufgegriffen und der Leser geht mit einer erhöhten Sensibilität für wichtige Themen wie Homosexualität und Coming-out, Smartphone- und Selbstdarstellungswahn sowie ständiger Leistungsdruck auf der Arbeit aus der Lektüre heraus. Doch nicht nur die längeren Erzählungen überzeugen, sondern auch die kurzen, knackigen, die bestimmte Themen direkt auf den Punkt bringen. Zusammengefasst kann ich diesen Erzählband jedem ans Herz legen, der sich aus seiner Komfortzone herauswagen und etwas Neues, Tolles kennenlernen möchte. Absolute Leseempfehlung! ♥
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise von der Autorin zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Victoria Hohmann, Vom Dazwischen. VHV Verlag Taschenbuch, 198 Seiten ISBN: 9783981862133 Erschienen: 12.02.18