Unglaublich schöne Geschichte von einem, der in den Wald zog, um das Vatersein zu lernen.
Es gibt Dinge im Leben, auf die kann man sich nicht vorbereiten. Vater werden ist so etwas. Was braucht es, um ein guter Vater sein zu können? Wo lernt man das, Vatersein? Um Antworten zu finden, macht unser Protagonist sich eines Nachts, Hals über Kopf und ohne seinen Liebsten Bescheid zu geben, auf den Weg in einen riesigen, mythischen Wald. In diesem soll der sagenumwobene »Reuber« leben. Ihn, den keiner kennt und den seit Jahren niemand mehr gesehen hat, will er ausfindig machen und von ihm lernen. Bei ihm will er die vielleicht wichtigste Ausbildung absolvieren – nicht im Leuteausrauben natürlich, sondern darin, wie man ein Vater wird, der sein Kind in jeder Lebenslage zu beschützen weiß. (zur Verlagsseite)
Finn-Ole Heinrich und Illustratorin Rán Flygenring nehmen sich mit „Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes“ ein durchaus knackiges Thema zur Brust: Vaterschaft. Was, wenn der kleine Spross schon unterwegs ist und du, ein Schriftsteller mit zwei linken Händen und einer Vorliebe für Gummibärchen, es so richtig mit der Angst zu tun bekommt? Wenn nichts, was du in deinem bisherigen Leben gelernt hast, dir geeignet zu sein scheint, für deinen Nachwuchs zu sorgen? Unser namenloser Protagonist packt ein paar Sachen (unter anderem mehrere Tüten Gummizeug) zusammen und macht sich, von blanker Panik getrieben, auf den Weg zum Wald. Und zwar nicht nur irgendein Wald, sondern der Wald, in dem der Reuber leben soll. Viele Touristen sind nie wieder aufgetaucht, nachdem sie diesen Wald betreten haben und man hört nur gruselige Lagerfeuergeschichten über den Reuber. Dennoch ist unser Protagonist tief entschlossen, nur beim Besten zu lernen, wie man lebt und überlebt. Und so betritt der Vater in spe den Wald und macht sich auf die Suche nach seinem Yoda, seinem Muten-Roshi, seinem Meister. Als er nach seiner ersten Nacht im Wald schließlich vom Reuber aufgegabelt wird, spürt unser Protagonist keine Furcht, sondern nur wilde Entschlossenheit, diese Gelegenheit beim Schopfe zu packen und Unterweisung in die Künste des Survivals zu erbitten.
»Ich bins Reuber. Hatterschon als Kind jeen Tag ein Mensch gefress. Unheute isser größer noch, stärker noch, unhat mehr Hungernoch. Bewegsu dich, schlachter dich. Kommsu auffes Feuer rauf, aufgespieß. Reuber dreh dich, würz dich, friss dich auf. Jetz gibsu, wassu has und machs keinton, sons stirbsu hierundjetz. Machsu, was Reuber sag, kommsu mit dein Leben von. Vielleicht. Wenn Reuber will.«
Mit diesen Worten begrüßt der Reuber den Eindringling. Ein nettes Hallo gibt’s nicht, denn unser Protagonist wollte immerhin gerade an den Lieblingsbaum des Reubers pinkeln und hätte sich es so beinah verscherzt. Doch jetzt ist nicht die Zeit für Angst, und unser Protagonist überzeugt den Reuber, ihn zu unterrichten, und so lernt er schließlich alles, was er zum Überleben braucht: Wie man einen Unterschlupf errichtet, was man im Wald essen kann und was nicht, wie man Feuer macht und letztendlich auch, wie man Kaninchen erlegt. Doch die Lehren des Reubers hören nicht bei Dingen, die durchaus Standard im Survival-Gebiet sind, auf, sondern fängt da erst an: Durch die Ausbildung beim Reuber lernt der Vater in spe, wie man richtig atmet, wie man „luffuddert“ (Luft futtert) und so zu einer meditativen Ruhe findet, und auch, wie man über seinen eigenen Schatten springt. Und so gut es unserem Protagonisten auch nachher beim Reuber gefällt, umso wichtiger ist es, dass er stark genug ist, den Wald mit seinem neu gewonnenen Wissen wieder zu verlassen und sich seinem Leben zu stellen.
Wunderbar erzählt und mit vielen Stellen zum Kichern, ist „Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes“ mit seinen zahlreichen Illustrationen vielleicht eines der schönsten Bücher, die ich dieses Jahr lesen durfte. Ob der Reuber grüllt, mufft oder knörrt, es ist herrlich, den beiden so verschiedenen Charakteren dabei „zuzulesen“, wie sie doch etwas wie Freunde, eine Einheit, werden. Den Reuber, der zu Beginn des Buches noch abweisend und unsympathisch wirkt, schließt man als Leser spätestens gegen Ende tief ins Herz. Und auch unser Protagonist, anfangs noch verweichlicht und auf Süßkram aus, wächst heran zu einem Mann, der alles schaffen kann — auch Vater sein!
Du sollst das alles sehen, erleben, fühlen, du sollst alles lernen, beschützt von mir, deinem Vater. Der Wald, der Wald, Krümelchen, hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin für dich.
Fazit: Eine tolle Geschichte, verpackt in einem wundervoll illustrierten Buch! Die Story um unseren Protagonisten, der ohne Vater aufwuchs, nun selbst Vater wird und sich Unterstützung (und vielleicht auch eine eigene Vaterfigur) sucht beim gefährlichsten Waldbewohner, ist perfekt zum Vorlesen, für alle „Selbstleser“ ab zwölf Jahren und natürlich auch für die „Großen“ geeignet, die sich im Protagonisten vielleicht selbst ein kleines bisschen wiederfinden.
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom mairisch Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Finn-Ole Heinrich & Rán Flygenring, Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes. mairisch Verlag Gebundenes Buch, 180 Seiten ISBN: 9783938539514 Erschienen: 17.09.18
Hallo liebe Tina
Was für ein toller Buchtipp, vielen Dank dafür 🙂 Und dir sind wundervolle Bilder gelungen und du hast so schöne Worte gefunden… Das Buch kommt auf jeden Fall auf meine Liste und wenn ich es nicht für mich selber kaufe, dann für ein Kind in meinem Umfeld.
Alles Liebe
Livia