Die Ausbeutung der Natur und der Zynismus von Reality-Shows treffen hier aufeinander und verweben sich zu einem Coming-of-Age-Roman, der nichts erklärt, sondern nur in Frage stellt.
An einem Tag im August beschließt Irma, die Erde zu verlassen, ihren Eltern und Freunden für immer den Rücken zu kehren und eine Heldin zu werden. Gemeinsam mit dem rätselhaften Sam wird sie in einer spektakulären Fernsehshow dafür ausgewählt, einen neuen Planeten zu besiedeln. Doch dann entscheidet sich Sam plötzlich anders. Er, der abgeschirmt von der Welt aufwuchs, ergreift die Flucht. Er will endlich Antworten auf die Fragen nach seiner Herkunft, nach seiner Geschichte. Und so begeben sich Sam und Irma auf eine Reise – nicht ins All, sondern durch abgestorbene Wälder, lebensfeindliche Städte, entlang leerer Straßen. Sie entdecken eine kaputte Welt von surrealer Schönheit, verfolgt – oder doch gelenkt? – von Mächten, die Puppenspielern gleich im Hintergrund die Fäden ziehen. (zur Verlagsseite)
Wir alle hier draußen suchen nach einer Zukunft, die sich lohnt. Ich frage mich, ob das so schlau ist — wer kümmert sich um die Gegenwart? Warum wird Lohnenswertes immer in anderen Zeiten, an anderen Orten vermutet? Ich habe […] irgendwie das Gefühl, wir lassen die Gegenwart im Stich.
Dieser Roman hat es innerhalb der ersten Seiten geschafft, dass ich mich so auf das noch Kommende gefreut habe, es ist unfassbar. Durch Briefe, die allerlei Personen an Irma, als sie schon in der Arena war, gesendet haben, erfährt man zunächst nicht viel. Doch irgendwie auch schon zu viel. Aber man weiß noch nicht alles, man wird neugierig. Sehr neugierig. Wie ist der Alltag in der Arena? Wie sieht das Raumschiff aus? Und wann geht’s denn auf ins All? Das sind alles Fragen, die unbeantwortet bleiben. Über den Alltag in der Arena erfährt man wenig bis kaum etwas, das Schiff wird nur verschwommen beschrieben und wann es ins All geht, weiß ich auch nicht. Nachdem Annika Scheffel von den Briefen nach draußen, außerhalb der Arena, wechselt, fällt der Spannungsbogen rapide ab. Wir erfahren allerhand über Irmas Familie und auch, was aus ihren Freunden geworden ist, wie alle gespannt die Fernsehsendung schauen und in den Aufzeichnungen nach einem Zeichen suchen, dass Irma ihre Briefe gelesen hat. Irmas Eltern fallen immer tiefer in ein schwarzes Loch, und vor allem ihre Mutter kommt mit dem Verlust ihrer Tochter überhaupt nicht zurecht. Die Charaktere von Irmas Mutter und Vater, ja sogar von Sam, sind wunderbar ausgefleischt — im Gegensatz zu Irma selbst: Sie ist die Person, die ich in diesem Roman am wenigsten mag. Sie erscheint trotzig, stur, launisch und nicht besonders freundlich. Da habe ich deutlich mehr mit ihren Eltern mitgefühlt, die darunter leiden, dass ihre Tochter sich gegen ein Leben mit ihnen, auf der Erde, entschieden hat und allen und allem den Rücken kehrt.
Annika Scheffel baut in “Hier ist es schön” ein spannendes Szenario auf, das trotz der vielen äußerst realistischen Charakteristika dennoch gelegentlich Fragen aufwirft und mich nicht hundertprozentig überzeugt. Wie oben bereits erwähnt, hat mich sehr verwundert, warum nur zwei Personen die neue Welt besiedeln sollen. Unerklärt bleibt auch, warum die Welt so ist, wie sie ist. Als Irma nach den zehn Jahren in der Arena in die Welt tritt, ist nichts mehr, wie es war: Das Essen ist rar, es gedeiht nichts mehr, die Menschen müssen so gut wie alles aus Kartoffeln herstellen, da sonst nicht mehr viel wächst. Niemand fährt mehr Auto, Mobilität und Reisen scheinen ein Luxus geworden zu sein. Alles scheint verlassen und neben der Schnellstraße sieht man gelegentlich einen aus dem Zoo ausgebüchsten Elefanten dahintrotten. Doch wie es dazu gekommen ist, bleibt ein Rätsel, niemand spricht darüber. Das hat mich ein wenig gestört. Nur Sam hat während seiner Zeit, als er in der Arena aufgezogen wurde, einen Hinweis erhalten: »Draußen [ist] etwas grundsätzlich aus dem Gleichgewicht geraten […]. Keiner kann das noch stoppen, geschweige denn reparieren.«
Wir wollen uns nur vorstellen, dass es weitergehen kann. Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende lang wollen wir immer so weitermachen. Wenn sich jemand da oben um Plan B kümmert, können wir hier unten alle sorgenfrei tun.
Fazit: “Hier ist es schön” ist ein Buch, das sich ein wenig aus den Genre-Grenzen hervortut, wobei ich es nach der Lektüre weniger als Sci-Fi oder vor allem Jugendbuch einstufen würde. Am ehesten lässt es sich mit Doron Rabinovicis “Außerirdischen” vergleichen — wer es gelesen hat und vielleicht auch schon in Scheffels Roman reingelesen hat, wird verstehen was ich meine. (Spoiler: Vor allem, was das Ende betrifft.) Trotz einiger Schwächen bezüglich Plot und abfallender Spannungskurve hatte ich ein paar schöne Lesestunden. Annika Scheffels Roman geht kritisch mit der Umweltverschmutzung um und wirft einige Fragen auf, die wir alle einmal überdenken sollten. Der Aspekt, dass den Menschen “unten” auf der Erde Hoffnung durch die Mission gegeben werden soll, finde ich wunderbar — und vor allem realistisch (s. Zitat oben)! Dennoch hatte ich das Gefühl, dass ich mit “Hier ist es schön” nicht ganz warm geworden bin; besonders, dass die Protagonistin so unsympathisch ist, hat es mir stellenweise sehr schwer gemacht, der Geschichte zu folgen.
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Suhrkamp Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Annika Scheffel, Hier ist es schön. Suhrkamp Verlag Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 389 Seiten ISBN: 9783518427941 Erschienen: 07.05.18
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