Ein absolut durchgeknallter, charmanter Roman, der einen Androiden im Alltagswahnsinn auf der Suche nach Identität begleitet.
Berlin, in der nahen Zukunft. Die Stadt pulsiert dank der Hubot-Industrie: Robotik-Unternehmen stellen künstliche Partner her, die von realen Menschen nicht zu unterscheiden sind; jede Art von Beziehungswunsch ist erfüllbar, uneingeschränktes privates Glück und die vollständige Abschaffung der Einsamkeit sind kurz davor, Wirklichkeit zu werden. Doch die Zahl der Selbstmorde hat sich verzehnfacht. Immer mehr Menschen gehen an sozialer Entfremdung zugrunde. Deshalb kommt Roberta auf den Markt. Sie soll die Angehörigen der Selbstmörder ausfindig machen, um dem Sozialamt die Bestattungskosten zu ersparen. Versagt sie, wird sie in Einzelteile zerlegt und an die Haushaltsrobotik verscherbelt. Und nicht jeder ist am Erfolg ihrer Ermittlungen interessiert.
„Dieser Roman hat mich nachhaltig verwirrt!“ – das war der gesamte Inhalt meiner Rezension, als ich damit vor einigen Wochen beginnen wollte. Doch Emma Braslavskys neuer Roman „Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten“ hat dann doch noch etwas Zeit eingefordert und ich denke (hoffe), dass ich jetzt ein paar sinnvolle Worte über dieses Werk schreiben kann. In der nahen Zukunft boomt der Handel mit Hubots, Androiden, die nach Wunsch designed werden und absolut menschenähnlich sind. Natürlich wuseln auch noch zahlreiche ältere Modelle durch die Stadt, die dem Buch durch ihre Grobschlächtigkeit seinen ganz eigenen Charme verleihen. Es geht also um Roberta, eine Androidin, die speziell hergestellt wird, um der gestiegenen Selbstmordrate in der Hauptstadt auf den Grund zu gehen. Dem Staat werden durch diese nämlich unverhältnismäßig hohe Bestattungskosten aufgedrückt (wie frech!), da sich in den seltensten Fällen jemand für den Toten verantwortlich fühlt.
»Was darf’s denn sein?« – Den einzigen Durst, den Roberta verspürte, war der nach Identität. Sie war zwar hackedicht von Fremddaten, aber ihr eigener Ordner war noch leer. Sie gehörte nirgendwohin, war sozial nicht vernetzt, sie hatte kein Gesicht. Sie musste noch einüben, Roberta zu sein.
Damit sie als Hubot, die in der Regel als hochentwickeltes Sexspielzeug verwendet werden, nicht für eine solche Gespielin gehalten wird, wurde sie optisch ein wenig angepasst: vom Aussehen her vielleicht Mitte 40, streng, mit einer dicken Brille, verhältnismäßig kleinen Brüsten und ohne sensorisches Empfinden an den üblichen Stellen. Natürlich. Ebenso klar ist es, dass Roberta an ihrem ersten Tag im Dienst erst einmal erforscht, warum sie denn so und nicht anders gestaltet wurde und was ihr fehlt, um wie alle anderen Frauen objektiviert zu werden. Gesagt, getan, und in Stöckelschuhen, knappem Dress und rotem Lippenstift wird sie direkt überfallen. Als es dann schließlich endlich um ihren ersten Fall geht, macht sie sich die Gedanken und Erinnerungen des Verstorbenen Lennard zu eigen und führt lange Gespräche mit seinem Hubot Beata. Roberta verliert sich mehr und mehr in Gedanken, die nicht ihre sind, und die Geschichte wird immer kurioser. Um die Bestattungskosten aufzutreiben, sucht sie schließlich die Eltern des Verstorbenen auf, redet mit seiner Stimme mit ihnen und gegen Ende des Buches geht sie mit dem muskelprotzigen Altmodell Goran in Abendgarderobe auf einen schicken Ball, während Beata daheim ein fremdes Baby bekocht. Skurriler geht es wirklich nicht mehr! Zwischendurch werden wir Zeuge des alltäglichen Bürokratie-Wahnsinns, während Roberta sinnlose Telefonate mit gelangweilten und genervten Beamten führt, die alles lieber machen als ihren Job. Eingestreut sind auch immer wieder Erinnerungsfetzen von Lennard, und wir lernen so ihn und seine Familie kennen und kommen dem Grund, warum er Selbstmord begangen hat, dennoch nicht näher.
Fazit: Emma Braslavskys Buch mag mich zwar nachhaltig verwirrt haben, dennoch wird mir beim Schreiben dieser Zeilen klar, wie gern ich doch die Charaktere hatte, zum Beispiel den Grobian Goran oder auch Robertas Suche nach ihrer Identität, ach, eigentlich alles! Und auch wenn die Erzählweise ab und an etwas zerstreut wirkt und auch die Geschichte an sich etwas durchgeknallt ist, habe ich „Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten“ doch gerne gelesen.
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Suhrkamp Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Emma Braslavsky / Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten / Suhrkamp Verlag / Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 272 Seiten / ISBN: 978-3-518-42883-2 / Erschienen am 12.08.19 / zur Verlagsseite