Ein kurzweiliger Jugendthriller, welcher der typischen Überwachungsdystopie endlich frischen Wind verleiht.
Sie kümmern sich um unsere Gesundheit. Sie sorgen für unsere Sicherheit. Aber der Preis dafür ist unsere Freiheit! Scott ist dieser Preis zu hoch. Mit seinen Freunden hat er die Widerstandsgruppe VRONT gegründet. Sie wollen wieder frei sein. Sie wollen frei sein, sie wollen etwas riskieren, sie wollen LEBEN. Und sie wollen allen zeigen: Es gibt nicht nur eine Wahrheit!
Young-Adult-Dystopien, die sich die totale Überwachung durch Technik zum Thema machen, gibt es viele. Doch seit ich die letzte gelesen habe, ist schon eine Weile vergangen – und außerdem war ich sehr neugierig, wie sich diese hier aus der Feder des französischen Autors Yves Grevet machen würde. Bisher habe ich nämlich nur YA-Dystopien aus englischsprachigen Ländern gelesen. Und „VRONT“ hat mich wirklich positiv überrascht: kein Love Triangle, keine zwanghaft reingeschusterte Liebesgeschichte (nur ein leises Aufflammen, was völlig in Ordnung ist), keine Charakter-Klischees – jedenfalls nicht, dass ich sie bemerkt hätte. Das sind doch schon mal tolle Voraussetzungen für eine Überwachungs-Dystopie, die zudem noch in einem Band abgeschlossen ist (keine Trilogie mit ewig schwachem zweiten Band!). Doch bevor ich mich weiter begeistere, möchte ich noch ein paar Worte zum Inhalt verlieren; der ist nicht super ungewöhnlich, aber aus spannenden Perspektiven erzählt, die dem Buch das gewisse Etwas geben. Und zwar geht es um zwei Brüder – der eine, der sich in der Sicherheit des Überwachungssystems LongLife wiegt, und der andere, der sich gegen diesen Zwang der immerwährenden Kontrolle auflehnt. Der Leser wird mitten in die Story hineingeworfen – Scott, der eine Widerstandsgruppe organisiert haben soll, wandert ins Gefängnis, und sein Bruder Stan bleibt völlig verstört und verwirrt zurück. Als er die Spur dieser Widerstandsorganisation – der titelgebenden VRONT – auf der Spur ist und erfährt, für was sich die Widerständler einsetzen, beginnt sein Gefühl der Sicherheit zu bröckeln – ist die Aufgabe der Freiheit zugunsten von Sicherheit und demzufolge einem längeren Leben wirklich ihren Preis wert?
Wir haben unsere Überzeugungen, wir kämpfen gegen LongLife, diese allmächtige Firma, die unter dem Deckmantel der Sicherheit unsere Freiheiten beschneidet und voll und ganz über uns verfügt. Ihre Technik kann unser Leben verbessern, es aber auch schlimmer machen oder es sogar aussetzen.
Eine spannende, wenn auch (wie bereits erwähnt) nicht wirklich neue Prämisse. Ja, der belesene Dystopie-Fan kennt seine Pappenheimer und wird vielleicht zunächst genervt die Augenbraue heben, doch „VRONT“ tut sich durch seine spannende Erzählweise wirklich hervor. Wir beginnen bei Stan, wechseln nach ca. der Hälfte des Buches aber zu seinem Bruder Scott, wo wir dann endlich mehr darüber erfahren, warum er im Gefängnis gelandet ist und wie er dort zurecht kommt. Dinge, die Stan sich nicht erklären kann, werden aufgelöst und sorgen für eine wirklich zufrieden stellende Lektüre. Später kommen auch noch die einzelnen Mitglieder der VRONT zu Wort, wenn es in Richtung Showdown geht – und dieser ist wirklich spannend! Besonders gut gefallen haben mir (wer hätte es gedacht) die Codes und Chriffren, die Stan und sein bester Freund Sol lösen müssen, um die geheimen Treffpunkte der VRONT zu finden. Diese waren stellenweise sehr clever und ich wäre nie auf die Lösung gekommen.
Jetzt aber mal ein wenig zur Welt, die Yves Grevet hier gebaut hat: Das Buch spielt ein wenig in der Zukunft. Seit knapp 20 Jahren gibt es Mikrochips, die jeder obligatorisch eingesetzt bekommt. Diese Chips analysieren ständig die eigenen Blutströme und erkennen sofort jegliche Auffälligkeiten, etwa Stress, der auf kriminelle Handlungen hinweisen kann. Auch Krankheiten werden unverzüglich erkannt und können so besser behandelt werden. Es gibt somit keine stationären Krankenhäuser mehr, sondern lediglich Ambulanzen. Hat man das 100. Lebensjahr erreicht, wird man in ein Pflegeheim verlegt und die Verwandtschaft darf fortan bestimmen, was mit einem geschieht. In den Heimen wird die Gesundheit der Bewohner nun noch krasser überwacht und einige Entscheidungen, die dort vonstatten gehen, drehen einem schon ein wenig den Magen um. Spannend fand ich allerdings besonders den Bewegungsradius, den die Eltern individuell für ihre Kinder einstellen können. Für Kleinkinder wird so bspw. das eigene Haus und der Garten empfohlen, größeren Kinder wird selbstverständlich der Gang zur Schule „erlaubt“. Jedoch gibt es natürlich auch Helikopter-Eltern, die den Radius ihre Sprösslinge bewusst niedrigen halten und so zusätzlich in ihrer Freiheit beschnitten werden. Wird der festgelegte Radius überschritten, bekommen die Kinder Magenkrämpfe und ihnen wird übel – man überlegt sich also zweimal, ob man den Radius wirklich überschreiten möchte. Aber auch LongLife ist nicht so unschuldig, wie es auf den ersten Blick wirken mag: So werden bei Vergehen jeglicher Art Stromstöße verteilt und auch der Herzschlag kann remote beschleunigt werden…
Mit der Geolokalisierung überwachen wir die Bösen und schützen die Guten.
Fazit: Eine wirklich interessante Standalone-Dystopie! „VRONT“ wartet mit einigen spannenden Ideen (etwa dem Bewegungsradius) auf, die kombiniert mit der Erzählweise sehr gut unterhalten. Der Schreibstil liest sich flüssig weg und die 500 Seiten sind gefühlt schnell „weggesnackt“ – für Freunde von kurzweiliger Spannungsliteratur also perfekt. Jeder, der nach den Dystopien des letzten Jahrzehnts mal etwas frischen Wind braucht, ist mit diesem Buch bestens beraten.
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Mixtvision Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Yves Grevet / VRONT: Was ist die Wahrheit? / Gebundenes Buch, 500 Seiten / ISBN: 978-3-95854-149-8 / Erschienen am 12.02.20 / zur Verlagsseite
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