Eine Ode an die Entschleunigung, die nach ihrem brillanten Auftakt aber mehr und mehr durch immer längere Auszüge aus Fremdwerken ersetzt wird.
Titel: Das Geräusch einer Schnecke beim Essen
Autor: Elisabeth Tova Bailey
Verlag: Piper
Klappentext: Durch eine Krankheit ist die Journalistin Elisabeth Bailey ans Bett gefesselt. Als sie von einer Freundin eine Topfpflanze geschenkt bekommt, unter deren Blättern eine Schnecke sitzt, beginnt sie diese zu beobachten. Nachts wird ihr neues Haustier aktiv, fährt seine Fühler aus, geht auf die Jagd und vollführt seltsame Rituale. Fasziniert beschäftigt sich Bailey mit Biologie und Kulturgeschichte der Schnecke und erfährt Verblüffendes über ein unterschätztes Lebewesen.
Jeden Morgen, bevor ich ganz wach war, gab es einen Moment, in dem mein Geist sich noch mühsam in den Zustand des Bewusstseins vortastete, meinen Körper noch nicht wahrnahm, die Realität noch nicht erfasste. Dieser Moment war von reiner, süßer, unkontrollierbarer Hoffnung erfüllt.
Aww, was für ein schönes Büchlein! Elisabeth Bailey von einer Krankheit, die sie sich auf einer Reise eingefangen hat, und die sie mehrere Jahre lang komplett schwächt und ans Bett fesselt. Dieses Buch handelt von mehreren Monaten, wo sie sich langsam, ganz langsam, auf dem Weg der Besserung befindet. Eine Freundin bringt ihr eines Tages überraschend eine Schnecke in einem Veilchentopf mit und von da an werden Elisabeth und die Schnecke Zimmergenossinnen. Durch ihre Krankheit aus dem Leben gerissen und zwangsweise entschleunigt, konnte Elisabeth eigentlich gar nichts Besseres (ihre Genesung mal ausgeschlossen) passieren, als diese kleine Schnecke zu bekommen. Denn diese, selbst Königin der Langsamkeit, lehrt Elisabeth einiges über die Zeit und das Leben:
Sie dahingleiten zu sehen, war eine willkommene Ablenkung und zugleich eine Art Meditation; meine oft hektischen Gedanken beruhigten sich allmählich und passten sich dem ruhigen, sanften Rhythmus der Schnecke an. Mit ihrer ruhigen, fließenden Bewegung war die Schnecke eine wahre Tai-Chi-Meisterin.
Durch das Buch ziehen sich haufenweise Zitate oder kurze Abschnitte aus Schnecken-Fachliteratur, in die sich Bailey nach ihrer Genesung eingelesen hat, und die sie stückweise immer wieder einfließen lässt. Teilweise fand ich es etwas viel, wenn sich ein Kapitel nur aus vielen Zitaten und nur wenig Eigentext zusammengesetzt hat, aber ich finde, ich habe auch einiges gelernt über diese wunderbaren, kleinen Kriechtiere. 🙂 Zugegeben, es passiert nicht viel in diesem Buch, das sollte man auch bei dem Titel schon wissen, aber es ist einfach wunderbar, zusammen mit Bailey die wunderbare Kreatur Schnecke kennenzulernen. Ganz nebenbei gewinnt man auch Erkenntnisse über das Leben selbst, die Verschwendung der geringen Zeit, die man hat, und, ganz weit oben: über die Entschleunigung. Beim Lesen selbst habe ich gemerkt, dass ich entspannter war als sonst bei einem Buch, vielleicht weil die Beschreibungen der kleinen Schnecke und ihrem Häuschen wahnsinnig beruhigt haben. Immer mal wieder habe ich das Büchlein hervorgeholt, um „mal schnell“ ein oder zwei Kapitel zu lesen, und „ganz gemütlich“ sind es dann ein paar mehr geworden. 🙂
Wir sind alle Geiseln der Zeit. Jeder von uns hat im Laufe eines Tages dieselbe Anzahl von Minuten und Stunden zur Verfügung, und doch hatte ich das Gefühl, sie seien nicht gleich verteilt. Durch meine Krankheit hatte ich unendlich viel Zeit – sie war fast das einzige, was ich hatte. […] Es war verblüffend, dass ich durch meine Krankheit etwas so Begehrtes gewonnen hatte, jedoch so wenig damit anfangen konnte.
Abschließend kann ich sagen, dass ich das Lesen dieses Buchs sehr genossen habe, ich habe die zahlreichen Fakten über unsere Schneckenwelt regelrecht aufgesogen (okay, ich finde Schnecken aber auch generell schon ziemlich cool 🙂 ) und mich der Langsamkeit hingegeben. Ein bisschen viel waren die ganzen Zitate und Abschnitte aus der Fachliteratur ab ca. Mitte des Buches, die dann schon mal die Hälfte des Kapitels oder mehr ausgemacht haben. Ansonsten ein sehr schönes Buch, toll erzählt, ziemlich entspannend und mit einer sehr sympathischen Protagonistin (die Schnecke natürlich!).
Ich hätte viel darum gegeben, jederzeit ein Epiphragma bilden und mich von der Welt abschließen zu können.
Elisabeth Tova Bailey, "Das Geräusch einer Schnecke beim Essen", Piper Verlag. ISBN: 9783492302371. Zitate: S. 30, 35, 45 & 104.
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