»Um etwas zu bekommen, muss man auf etwas anderes verzichten.« — Eine emotionale, zum Nachdenken anregende Geschichte, die dennoch nicht ihren Humor vergisst.
Ein junger Briefträger erfährt überraschend, dass er einen unheilbaren Hirntumor hat. Als er nach Hause kommt, wartet auf ihn der Teufel in Gestalt seines Doppelgängers. Er bietet ihm einen Pakt an: Für jeden Tag, den er länger leben möchte, muss eine Sache von der Welt verschwinden. Welche, entscheidet der Teufel. Der Briefträger lässt sich auf dieses Geschäft ein. Am Tag darauf verschwinden alle Telefone. Am zweiten Tag die Filme, am dritten alle Uhren. Als am vierten Tag alle Katzen verschwinden sollen, gebietet der Briefträger dem Teufel Einhalt. Und macht etwas völlig Überraschendes… (zur Verlagsseite)
Im Bloggerportal findet der findige Blogger des öfteren einige Buchperlen, die er sonst womöglich schlicht übersehen hätte — so auch in diesem Fall. An diesem bezaubernden Cover wäre ich im wohl nicht vorbei gekommen, der Klappentext tut hier aber noch sein Übriges und so habe ich direkt erahnt, was sich hier für ein Wahnsinnsbuch zu mir auf die Reise macht. Es geht um einen namenlosen Protagonisten, der schon seit längerem über Kopfschmerzen klagt, diese aber nie von einem Arzt abklären lässt und sich so eines Tages herausstellt, dass er einen Gehirntumor im Endstadium hat. Im Ernst, das ist doch so ziemlich der Alptraum aller ihre Symptome googelnden Menschen, die bei leichten Kopfschmerzen direkt auf Diagnose: baldiger Tod tippen. Aber mal zurück zur Geschichte: Unser Protagonist kommt nach dem erschütternden Arztbesuch nach Hause zu Kater Weißkohl (dem Nachfolger von Kater Eissalat) und fällt erst einmal in Ohnmacht. Als er wieder zu sich kommt, steht der leibhaftige Teufel in seiner Wohnung… in Gestalt eines Doppelgängers in Hawaiihemd, huch! Dieser bietet ihm einen Deal an, den unser Protagonist nicht ablehnen kann: Um sein Leben um jeweils einen Tag zu verlängern, muss er sich täglich für eine Sache entscheiden, die im Gegenzug von der Welt verschwindet. Klingt doch eigentlich ganz komfortabel, oder? Wenn man mal an die ganzen Spinnen, ekligen Käfer, Schimmel oder sogar an den Hass denkt, kommt man doch bestimmt auf einige Dinge, auf die die Welt locker verzichten kann… oder?
Welch Ironie des Schicksals. Jetzt, da nicht nur mein Todesurteil gefällt, sondern auch die Zeit außer Kraft gesetzt war, dachte ich zum ersten Mal bewusst über meine Zukunft nach.
Doch unser Protagonist ist leider nicht so glücklich bei seiner Auswahl. Während er am ersten Tag sämtliche Telefone verschwinden lässt (ohne die er sich nicht mit seiner Jugendliebe verabreden kann oder während dem langen Warten seine Nachrichten überprüfen könnte), wünscht er sich an Tag zwei alle Filme weg. Filme, ohne die er nie leben konnte! Und dabei ist er doch zum Kino verabredet! Der Teufel, den er der Einfachheit halber (wegen des Hawaiihemds) „Aloha“ nennt, verleitet ihn zu ungünstigen Entscheidungen. Den ganzen Tag über grübelt unser Protagonist nun, was er und alle Menschen auf der Welt denn überhaupt brauchen, um glücklich zu sein, und was „Glück“ überhaupt ausmacht. Er ärgert sich im Nachhinein über seine Entscheidungen und überdenkt sein ganzes vergangenes Leben ob des bevorstehenden Todes. Wenn er doch nur genügend Dinge sammeln könnte, um noch eine Weile länger zu leben… Als Aloha dann wenige Tage später beschließt, dass am folgenden Tag alle Katzen von der Welt verschwinden sollen, weigert sich der Ich-Erzähler und überlegt, wie er den Teufel überzeugen kann, dass er ohne Weißkohl, dessen Schnurren und weiches Fell, einfach nicht leben kann.
Aber nicht nur diese wunderbare Geschichte, sondern auch Kawamuras Erzählstil haben mir herausragend gefallen. Auch hier scheint wieder einmal das Asiatische durch, die wunderbar leichte Sprache, die mich komplett gefangen nimmt. Und nicht selten musste ich lachen, besonders, als Weißkohl (was ist das überhaupt für ein Name?) anfängt, zu sprechen: „Statthalter, öffnet die Tore!“, war es mit der Ernsthaftigkeit doch kurzfristig vorbei. Dennoch ist „Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden“ kein rein humoristisches Buch, sondern lässt uns in die (teilweise etwas skurrile und nicht immer nachvollziehbare) Gedankenwelt des jungen Briefträgers eintauchen. Thematisch hat mich Kawamuras Werk etwas an „Arthur und die Farben des Lebens“ erinnert, in dem ja die Farben von der Welt verschwinden und so für Aufruhr sorgen, doch war dieses Buch hier doch um einiges nachdenklicher und man verlässt es mit einem flauen Gefühl und einigen Grübeleien, was man selbst von der Welt verschwinden lassen würde, um einen Tag länger zu leben.
Fazit: Genki Kawamura hat hier ein wunderbares Büchlein vorgelegt, das mir von Anfang bis Ende so sehr gefallen hat, dass ich beinah auf jeder Seite etwas hätte unterstreichen können. Wie mir bei japanischer Literatur jetzt bereits öfters aufgefallen ist, erfüllt jeder Satz einen Zweck, selten wird Unnötiges hinzugefügt, und genauso ist es auch bei „Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden“. Der junge Protagonist sieht sich angesichts des Todes mit der Frage konfrontiert, auf welche Dinge die restliche Welt verzichten kann, damit er einen Tag länger leben kann — und kommt zu einem sehr reifen Entschluss, als es um seinen geliebten Weißkohl geht. Dieses Buch ist eine absolute Leseempfehlung!
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom C. Bertelsmann Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Genki Kawamura, Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden. Bertelsmann Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 180 Seiten ISBN: 9783570103357 Erschienen: 23.04.18
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Ich habe schon einige Rezensionen zu diesem Buch gelesen, die mich jedoch trotz ihrer einstimmigen Leseempfehlung allesamt nur mäßig interessiert zurückließen. Tja, nach diesem wunderbaren Beitrag bin ich gerade zu heiß darauf und werde wohl noch heute in die nächste Buchhandlung rennen. Danke dafür! 😉
Hallo Katharina, das freut mich doch wahnsinnig! Da habe ich ja mit meiner Rezi das erreicht, was ich wollte. <3 Viel Lesevergnügen wünsche ich dir!