Während hier Neuerscheinung um Neuerscheinung eintrudelt, musste ich doch erschrocken feststellen, dass ich euch versehentlich zwei tolle Bücher aus 2020 vorenthalten habe! Damit diese noch ein bisschen verdientes Rampenlicht bekommen, stelle ich sie euch hier kurz & knackig vor.
Stephan Roiss, Triceratops
„Triceratops“ ist absolut verdient auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2020 gelandet. Ein wunderbar rohes Buch über einen namenlosen Protagonisten, der aus der „Wir“-Perspektive vom Aufwachsen in einer zerrütteten Familie erzählt. Als kleiner Junge wird ihm aufgebürdet, sich doch bitte um seine Mutter zu kümmern, auf diese zu achten, damit sie nicht erneut in die Psychiatrie muss. Dass das keine Aufgabe für einen Heranwachsenden ist, der selbst noch auf seine Mutter angewiesen ist, wird im Verlauf des Buches klar, denn als Leser werden wir Zeuge seiner Verrohung. Vater und Schwester hegen keinerlei Interesse an unserem Protagonisten und seinen Schwierigkeiten, und so ist er vollkommen auf sich allein gestellt. Dies liefert möglicherweise auch eine Erklärung für das „Wir“, das er verwendet, um über sich zu erzählen.
Wir sagten Mutter, dass wir sie lieben. Es war nicht wahr. Wir wollten nichts sagen, sie nicht berühren, nicht alleine mit ihr sein.
Fragmentarisch und sprachlich einfach nur großartig reißt „Triceratops“ von Stephan Roiss den Leser mit – in eine Kindheit, die keine mehr ist und in eine immer größere familiäre Abgrenzung.
Besonders hervorheben möchte ich auch die umwerfende Ausstattung mit Fingerdatschen-/Schallplattengefühl, die ihr hier genauer anschauen könnt:
Triceratops / Stephan Roiss / Kremayr & Scheriau Verlag / Gebundenes Buch, 208 Seiten / ISBN: 978-3-218-01229-4 / Erschienen am 17.08.20 / zur Verlagsseite
Amélie Nothomb, Die Passion
Wie ihr wisst, lese ich jeden Roman von Amélie Nothomb, der erscheint, und so musste ich mir natürlich auch „Die Passion“ zur Brust nehmen. Laut Klappentext wusste ich, dass es um die Kreuzigung Jesu geht – als Atheist musste ich kurz überlegen, ob das ein Thema für mich ist (nein), beschloss dann aber, es trotzdem zu versuchen. Und das hat sich ausgezahlt! Schon auf der ersten Seite – ach was, dem ersten Satz! – fesselt mich Nothombs Erzählstil vollkommen, weshalb ich auch nicht aufhören konnte zu lesen, bevor das Buch ausgelesen war. Und ja, es geht um die Kreuzigung – aber auch um so viel mehr! Wir verfolgen Jesus‘ Gedanken aus der Ich-Perspektive und lernen daraus allerhand. Zum Beispiel, dass er viele Dinge, die seine Jünger später behaupten, so nie passiert sind oder er vieles nie so gesagt hat. Auch, dass Jesus gewissermaßen in die Zukunft schauen kann, ist ein spannender Kniff, der für viele Schmunzel-, aber auch Aha!-Momente gesorgt hat. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Durst (wie auch der französische Titel verrät): Jesus erkannte, dass erst der Durst dazu führt, dass wir Dinge im Leben wertschätzen können – bspw. sehen wir erst unter Schlafentzug, was uns fehlt. Das lässt sich aber natürlich auch auf alle anderen Lebensbereiche übertragen.
Johannes 4,14: Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben. Warum verbreitet mein Lieblingsjünger so einen Unsinn? Die Liebe Gottes ist das Wasser, das den Durst niemals löscht. Je mehr man trinkt, desto durstiger wird man. Endlich eine Lust, die das Begehren nicht mindert! Gönnt euch diese Erfahrung! Was immer euch körperlich oder geistig beschäftigt, verquickt es mit echtem Durst! Dadurch wird eure Suche vertieft, präzisiert, verherrlicht. Ich fordere nicht dazu auf, nicht zu trinken, ich schlage nur vor, damit ein wenig zu warten. Am Durst gibt es so viel zu entdecken!
Mit ihrer humoristischen, bissigen und charmanten Art schenkt uns Amélie Nothomb wieder ein gewohnt kurzes und kurzweiliges Lesevergnügen. Absolute Leseempfehlung!
Die Passion / Amélie Nothomb / Diogenes Verlag / Gebundenes Buch, 128 Seiten / ISBN: 978-3-257-07141-2 / Erschienen am 28.10.20 / zur Verlagsseite
Hey liebe Tina
Die Bücher stehen seit ihrem Erscheinungstermin auf meiner Wunschliste (und zu meiner Schande muss ich sagen, dass ich immer noch nichts von Amélie Nothomb gelesen habe) und nun hast du mir gleich wieder Lust auf die Bücher gemacht… Ich werde meine Augen auf jeden Fall nach den Büchern offen halten, vielleicht finde ich sie sogar gebraucht irgendwo 😉
Ganz liebe Grüsse
Livia