Ein Genre-Mix, der einerseits tieftraurig und deprimierend, andererseits hoffnungsvoll ist — toll!
Japan 1987: Yasuko, eine junge Musikerin, wird mit ihrem Mann Jake von einem einsamen Strand entführt. Sie finden sich im Bauch eines Schiffes wieder, das sie an einen Ort bringt, der völlig von der Außenwelt abgeschottet ist und wo Recht und Gesetz nicht gelten. Nordkorea. Dort wird Yasuko gefangen gehalten und gezwungen, nordkoreanischen Spionen zu einer falschen, japanischen Identität zu verhelfen, während Jake spurlos verschwindet. Mit der Zeit muss Yasuko erkennen, dass Jake mit dem Regime kooperiert und ihr früheres Leben eine Lüge war. Ihre Hoffnung auf eine Flucht schwindet, bis sie einem geheimnisvollen Pianisten begegnet, der ihrem Schicksal eine völlig neue Wendung gibt.
Kalifornien 2016: 28 Jahre nach den Ereignissen sucht eine junge Frau, die nach ihrer Geburt adoptiert wurde, nach ihren Wurzeln. Mit nichts, außer einem verblassten Stück Papier, auf dem der Name eines unbekannten Arztes und ein Datum vermerkt sind. Ihre Suche führt sie auf eine Reise, an deren Ende ihr Leben in größte Gefahr gerät. (zur Seite der Autorin)
Hin und wieder bekomme ich Angebote von Autoren, ihr Buch zu lesen und zu rezensieren. Leider sind die meisten dieser Bücher überhaupt nicht „meins“, von seichten Romanzen, Fantasy bis hin zu Comedy ist alles dabei. Doch neulich erreichte mich eine Anfrage, die so spannend klang, dass ich nicht nein sagen konnte: Es geht um das Buch von Lilian Kim, „Die Tochter des Pianisten“. Zwar beinhaltet dies eine nicht geringe Portion Lovestory, doch in den für mich super interessanten Kontext „Leben in Nordkorea“ eingeflochten. Es geht um Yasuko, eine junge Frau, die mit ihrem Mann eigentlich über den gemeinsamen Umzug aus Yasuko in die Vereinigten Staaten sprechen wollte, fernab von ihrer Tochter Hiromi. Doch als Yasuko und Jake am Strand spazieren gehen, werden sie von mehreren Männern entführt — nach Nordkorea. Während Jake sich bereits mit der Situation abgefunden zu haben scheint und irgendwie selbstzufrieden wirkt, steht Yasuko die schlimmste Panik durch. Der Gedanke an die zurückgelassene Tochter und die Angst davor, was sie in Nordkorea erwartet, macht aus ihr ein Wrack. In Nordkorea angekommen, sollen Yasuko und Jake an einem seltsamen Schauspiel teilnehmen: Als Botschafter und seine Frau sollen sie einen Empfang geben, in der feinsten Abendgarderobe flanieren und leichte Konversation mit den Anwesenden führen. Yasuko spürt, dass hier etwas gewaltig nicht stimmt. Und als ein kleines Mädchen sie auf Japanisch anspricht und um Fluchthilfe bittet, kurzerhand abgeführt wird und die Mutter leugnet, jemals ein Kind gehabt zu haben, ist sie sich sicher, dass hier etwas faul ist. Auch die folgende Zeit in Nordkorea ist für Yasuko befremdlich und von Heimweh geprägt, bis sich Seung-Jin, eigentlich ihr Aufpasser, beginnt, sich heimlich mit ihr zu treffen und ihr seine Geschichte zu erzählen.
[Hier wird] von der Kleidung bis zum Reiskorn alles durch die Regierung verteilt […]. Es gibt staatliche Verteilungsstellen, die die Menschen mit allem Lebensnotwendigen versorgen. Geschäfte gibt es kaum. Wer sollte auch etwas kaufen?
„Die Tochter des Pianisten“ erzählt von den sogenannten Rachi Mondai, den Entführungen von japanischen Bürgern durch Nordkorea in den 80er Jahren, und flechtet dabei gekonnt eine emotionale Liebesgeschichte ein. Von den Rachi Mondai hatte ich bis dato noch nichts gehört und fand das Thema bedrückend wie spannend. Dass Nordkorea sich Fachkräfte und Gelehrte entführen muss, damit das eigene Lang weiter bestehen kann und Menschen ausgebildet werden, eine japanische Identität anzunehmen, um Terroranschläge auszuüben, ist purer Wahnsinn, aber die Verschottung des Landes lässt nichts anderes zu. Yasuko und Seung-Jin zählen ebenfalls zu den Rachi Mondai: Yasuko soll eine Gruppe junger Nordkoreanerinnen in der japanischen Lebensweise unterrichten, damit diese als vermeintliche Japanerinnen Aufträge ausführen können, ohne, dass Nordkorea in Verdacht gerät. Seung-Jin ist im Gegensatz zu Yasuko schon seit langer Zeit in Nordkorea. Er wurde ebenfalls aus seiner Heimat gelockt und nun verwendet Nordkorea seine Mutter als Druckmittel, damit er weiterhin tut, was ihm befohlen wird. Als die beiden sich im Zuge ihrer engen Zusammenarbeit ineinander verlieben, planen sie die gemeinsame Flucht. Ob das gelingen wird?
Alle meine Probleme, meine Sorgen, mein Leid, drehen sich um die eine Frage: Wer bin ich? Ich kann nur zu mir selbst finden, wenn ich meine Vergangenheit kenne.
Lilian Kim schafft es, uns mit ihrem Roman einen Einblick in das Regime Nordkoreas zu gewähren. Die Erzählsprache ist leicht, flüssig und bei manchen Charakteren auch mit dem ein oder anderen spitzzüngigen Kommentar gespickt (Jayden, I’m looking at you!). Allerdings tauchen immer mal wieder Situationen auf, bei denen ich nicht weiß, wieso die Personen jetzt plötzlich da und dort sind oder wann sie ins Auto gestiegen sind. Gelegentlich geschehen die Ereignisse so holterdipolter, dass ich einen Absatz kurz noch einmal lesen musste, um der Geschichte folgen zu können. Nichtsdestotrotz ist das rasante Tempo ausschlaggebend für Action und Spannung der Story, seichte Passagen, die sich ziehen, gibt es keine. Die Sprache ist direkt, wenig verschnörkelt und kommt direkt zum Punkt — das mag ich! Da ich mich generell für Nordkorea und das Leben dort interessiere, war ich auch super fasziniert, wenn es um die Beschreibung von Abläufen, Festen oder die Verehrung der Diktatoren ging. Die Kombination aus Lovestory, diktatorischem Regime und Entführungsgeschichte finde ich sehr ausgeglichen und die für mich zu schmalzigen Szenen bekommen keinen allzu großen Raum zugesprochen — das finde ich super. 🙂 Zudem wurde die Geschichte aus mehreren Perspektiven (und zu verschiedenen Zeitpunkten) erzählt, sodass man als Leser in das Leben eines jedes Charakters eintauchen kann und auch alle Hintergründe versteht. Das Buch ist in zwei Teile aufgeteilt, die 18 Jahre voneinander entfernt spielen, und wer wie ich nach Teil 1 erst einmal eine Lesepause einlegen wollte, auf den wartet der Cliffhanger des Jahrhunderts — mehr verrate ich allerdings nicht!
Es ist nicht möglich, aus freiem Willen zu sterben. Der Überlebenswille ist stärker. Wenn der Verstand aussetzt, möchte jeder Mensch umkehren. Im Angesicht des Todes, wenn wir vor der letzten Stufe stehen, schreien wir nach dem Leben. Wir strecken die Hände nach dem Leben aus, auch wenn wir zuvor den Feind gewählt haben.
Fazit: Lilian Kim zaubert hier nicht nur eine spannende Entführungsgeschichte mit Lovestory aufs Papier, sondern baut ebenfalls historische Ereignisse (Rachi Mondai) und das nordkoreanische Regime in ihren Roman ein. „Die Tochter des Pianisten“ ist ein abwechslungsreicher Roman, der sich nicht an einem Genre orientiert, sondern vieles gekonnt verflechtet. Man fiebert mit den Charakteren mit und wünscht sich ein Happy End für fast jeden. Während die Zustände in Nordkorea einfach nur bedrückend sind, die Erzählungen über Arbeitslager und die Lügen, die die Regierung den Bewohnern Nordkoreas auftischt, umso erfrischender und befreiender ist die aufkeimende Liebe zwischen Yasuko und Seung-Jin, umso mehr feiert man als Leser jede kleine positive Wendung der Geschichte. Die Tage habe ich noch erfahren, dass es bald einen zweiten Teil geben wird und ich muss sagen, ich bin gespannt!
Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom der Autorin zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Lilian Kim, Die Tochter des Pianisten. Self-Published/BOD Taschenbuch, 401 Seiten ISBN: 9781983370304 Erschienen: 04.07.18
Ein Buch mit diesem Cover würde ich nicht in die Hand nehmen. Nach deiner Beschriebung passen Verpackung und Inhalt hier nicht zusammen.
Hört sich vielversprechend an!
Grüße
Silvia
Ja, da hast du Recht! Obwohl das Cover an sich ja super schön ist, entspricht die Erwartungshaltung nicht dem Inhalt. Wie oft sehe ich wunderschön gestaltete Bücher, werde dann aber beim Klappentext abgeschreckt. Hier habe ich auch zuerst gedacht „nicht meins“, aber der Klappentext klang dann wirklich so gut, dass ich dem Buch zum Glück eine Chance gegeben habe. 🙂