Ein absoluter Klassiker, der aktueller ist denn je, im neuen Gewand.
Schon 1890, lange vor Orwell und Huxley, hat Oskar Panizza sich in Die Menschenfabrik prophetisch, fesselnd und verstörend mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Mensch und Maschine auseinandergesetzt. Seine Erzählung handelt von der Optimierung der Menschheit, von der drohenden Herrschaft der künstlichen Intelligenz – und fragt danach, was den Menschen überhaupt ausmacht.
Bereits 2016 erschien bei Hoffmann & Campe eine äußerst schicke Neuauflage eines echten dystopischen Klassikers: „Die Maschine steht still“ von E. M. Forster. Jetzt ist eine weitere Noelle in dieser schicken Aufmachung erschienen und da wurde ich doch direkt neugierig: Oskar Panizzas „Die Menschenfabrik“ ist bereits vor knapp 130 Jahren erschienen und widmet sich Künstlicher Intelligenz, der (titelgebenden) Herstellung und Zucht von Menschen und den Schrecken der Technisierung, eingebettet in eine leicht gruselige Geschichte: Unser namenloser Protagonist verläuft sich bei einer Wanderung und sucht Unterschlupf für die Nacht, da es unmerklich doch ein wenig spät geworden ist. Glücklicherweise ist da ein großes Fabrikgebäude, er klingelt und wird prompt von einem „kleinen schwarzen Männchen“ in Empfang genommen, das ihm nicht nur Unterschlupf gewährt, sondern ihn auch willig durch die Fabrik führt – bei der es sich seiner Aussage zufolge um eine Menschenfabrik handelt. Unser Protagonist glaubt, er habe sich verhört und überlegt im Geiste, wie das Gesagte verstanden werden könnte. Doch ehe er zu einem Schluss kommt, beginnt die Führung und er kommt aus dem Staunen und Erschrecken gar nicht mehr heraus.
Da ich nun keinen Grund hatte, anzunehmen, daß in diesem merkwürdigen Haus andere grammatikalische Regeln herrschen als in den übrigen deutschen Landen, so verstand ich unter »Menschenfabrik« eine Fabrik, in der Menschen fabriziert werden.
Der namenlose Protagonist versteht nicht, wozu in dieser Fabrik Menschen hergestellt werden sollen, werden diese doch täglich „zu Hunderten“ kostenlos geboren. Dass es dabei tatsächlich einen logischen, wirtschaftlichen Hintergrund geben könnte, widerstrebt ihm sehr. Und dass gar Menschen verschiedener Hautfarben in der Fabrik hergestellt werden, da diese „jetzt sehr beliebt“ sind, empört ihn noch mehr. Unser Protagonist wendet sich in seiner Wut und seinem Zorn dabei oft an den Leser selbst, was ich stilistisch sehr gelungen finde. Auch lässt er sich bei der Führung nicht nur berieseln in Gedanken an einen warmen Platz zum Schlafen, sondern empört sich lautstark über die „Machenschaften“, die in der Fabrik ihren Lauf nehmen.
Panizzas „Menschenfabrik“ wirft dabei verschiedenste Thematiken auf, von Religion über Kapitalismus bis hin zu Kritik am Zeitgeschehen. Besonders die Religion spielt in der Novelle eine wichtige Rolle, denn das „kleine schwarze Männchen“, das zugleich der Direktor der Fabrik ist, backt die Menschen aus Lehm – da ist der Vergleich zur Bibel nicht weit hergeholt. Den so entstandenen Lehmgolems fehlt es an Intelligenz und ihre Daseinsberechtigung liegt nur in der Bespaßung der Menschen, die sie kaufen.
»Tun Ihre Menschen denken?« — »Nein!«
Fazit: Diese Novelle ist aktueller denn je, denn Begriffe wie Gewinnmaximierung sind uns natürlich nicht fremd. Auch künstlich erschaffene Lebewesen, wenn auch nicht unbedingt Menschen, sind heutzutage längst möglich – zumindest in der Theorie! Oskar Panizza hat also bereits 1890 ersonnen, wie es einmal sein könnte, in dieser dunklen Zukunft, und dabei unerwartet ins Ziel getroffen. Ein wunderbar zu lesender Klassiker, der toll gealtert ist und in seiner neuen Aufmachung mächtig was hermacht im Regal.
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Hoffmann und Campe Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Oskar Panizza / Die Menschenfabrik / Gebundenes Buch, 63 Seiten / ISBN: 978-3-455-00583-7 / Erschienen am 05.02.19 / zur Verlagsseite