Kurzweilig und mit einem interessanten Konzept, aber leider auch mit einem faden Beigeschmack.
Kelly ist neunundzwanzig, Roboteringenieurin, brillant, ehrgeizig – und Dauersingle. Als die Hochzeit ihrer Schwester bevorsteht und Kelly wieder einmal am Katzentisch zu enden droht, schreitet sie zur Tat und baut sich ihren Traummann einfach selbst! Ethan ist groß, gut aussehend, charmant und witzig. Und er versteht Kelly wie kein Zweiter auf dieser Welt. Kein Wunder, schließlich hat sie ihn ja höchstpersönlich programmiert. Doch dann passiert etwas, das Kelly nie für möglich gehalten hätte: Sie verliebt sich in Ethan, den Roboter …
Dieses Buch hat irgendwie direkt zu mir gesprochen – und das, obwohl ich kein besonderes großer Fan von Liebesgeschichten bin. Allerdings bin ich in einigen Büchern bereits tollen verschrobenen Charakteren begegnet, etwa Eleanor Oliphant oder auch Don vom „Rosie Projekt“. Während der Klappentext nichts von alledem andeutet, fand ich Kelly in der Leseprobe sofort sympathisch, ein wenig sonderlich und – nun ja – verschroben. Und in Kombination mit Künstlicher Intelligenz versprach Sarah Archers „The Plus One“ doch, ein tolles Buch zu werden! Ich erinnere mich gerne tolle an Filme wie „Her“ oder auch Paul Reizins Roman „Wahrscheinlich ist es Liebe“, die sich auch mit Künstlicher Intelligenz und unserer Beziehung zu ihr befassen. Doch kommen wir zurück zu „The Plus One“. Der Ansatz versprach ein leichtes Buch für zwischendurch (was es auch war), das ich nach der Lektüre zu meinen anderen gern gelesenen Büchern ins Regal stelle (nicht ganz). Während die Thematik echt spannend war (wenn auch nicht ganz neu), so gab es doch einige Aspekte, die mich bei der Lektüre und auch danach richtig gestört haben.
Wir steigen ein mit einer Vorführung von Kellys letztem Roboter und lernen sie, ihre Arbeit und bald auch ihren Alltag kennen. Der besteht aus sehr viel Netflix, Take-Away-Gerichten und möglichst wenig sozialen Kontakten. Und obwohl sie ihre Familie bzw. deren Vorstellungen von einem perfekten Leben nicht so richtig leiden kann, fährt sie regelmäßig zum gemeinsamen Essen dorthin und lässt einiges über sich ergehen. Das beginnt damit, dass ihre Mutter der festen Überzeugung ist, dass man mit 30 ja wohl schon unter die Haube gehört, man sich über seine Kinderplanung einig sein sollte und dass eine Single-Frau, wie Kelly eine ist, doch gar nicht glücklich sein kann. Und da Kellys Schwester bald heiratet, pressiert es natürlich umso mehr, dass sie jemanden findet, denn ohne Begleitung auf die Hochzeit kommen, das geht gar nicht. Ok, so weit, so gut. Das ist ja gar nicht schlimm, denn Kelly ist ja gegen diese Ansichten, wie wir uns ja erinnern – nicht wahr? Doch leider gibt es seitens Kelly abseits einiger gedanklicher Aufreger und einem „Aber Mom…“ leider kein großes Sträuben gegen diese Idealvorstellung ihrer Mutter.
Für Kelly bedeuteten soziale Interaktionen mt unsicheren Faktoren mehr Stress als Spaß. Sie gehörte zu den Leuten, die sich fragten, was sie falsch gemacht hatten, wenn der Kassierer ihr nicht noch einen schönen Tag wünschte.
Auch auf die Gefahr hin, dass ich einiges vorweg nehme: Das gesamte Buch beschäftigt sich damit, dass Kelly unbedingt einen Mann für die Hochzeit braucht, sich letztendlich selbst einen baut und sich erfolgreich nicht gegen diese Erwartungshaltungen wehrt. Es ist gut erzählt, ohne Zweifel, Kelly ist eine interessante (wenn auch unsympathische) Protagonistin und Ethan ist… nun ja, ein Roboter, doch in der heutigen Zeit sollte ein Buch mit dieser Thematik mehr tun, als zu demonstrieren, wie Frauen sich Vorstellungen unterwerfen, die sie selbst anzweifeln. Kelly wächst auf emotionaler Ebene im Laufe des Buchs über sich hinaus und wird zunehmend sympathischer, doch die Erkenntnis, dass sie keinen Mann braucht, um glücklich zu sein oder auf einer Hochzeit zu erscheinen, bleibt aus. Hier hätte ich mir einen viel feministischeren Ansatz gewünscht, der in Kombination mit KI und der Kellys Eigenheiten mit Sicherheit toll gewesen wäre. Zu sehen, wie Kelly sich gegen ihre Familie und den eingestaubten Ansichten entgegenstellt, hätte mir gut gefallen.
Kelly an sich war jedoch leider auch keine besonders liebenswerte Protagonistin. Sie lebt sozial zurückgezogen, bis auf gelegentliche Ausgeh-Abende mit ihrer besten Freundin unternimmt sie nichts, und doch urteilt sie hochnäsig über andere „Weirdos“ auf ihrer Arbeit, die ebenso soziophob sind wie sie. Zugleich sehnt sie sich nach dem Zuspruch ihrer Mutter, einem „Ich bin stolz auf dich und mag dich so wie du bist“. Sie ist neidisch auf den Draht, den ihre Schwester ganz natürlich mit ihrer Mutter hat und fühlt sich außen vor. Aber das auszusprechen, was sie jahrelang fühlt und sich dem Dialog zu öffnen, tut sie leider auch nicht. Das ist sehr schade, denn im Gegensatz zu den oben erwähnten Positivbeispielen wie Don oder Theodore fällt Kelly überwiegend negativ auf. Als Leser habe ich irgendwie keine Verbindung zu ihr aufbauen können.
Ein weiterer Aspekt, der mich noch gestört hat, war der Bau Ethans. Während Kelly an ihrem Projekt auf der Arbeit (ein viel simplerer Roboter) monatelang herumschraubt, ohne zu einem Ergebnis zu kommen, baut sie Ethan innerhalb von einem Wochenende zusammen. Mit Teilen, die sowieso bereits im Labor herumlagen. Mir war nicht bewusst, dass Robotik-Unternehmen Ersatzpenisse für den Notfall bereitliegen haben. 😉
Fazit: Damit ich nicht nur Schlechtes erzähle, muss ich erwähnen, wie gut mir der Schreibstil von Sarah Archer gefallen hat. Das Buch las sich flüssig, hatte keine Längen und war schneller zu Ende, als mir bewusst war. Gut, gegen Ende stieg das Frustrationslevel, aber bis ca. zur Hälfte habe ich „The Plus One“ sehr gerne gelesen. Wer den Kopf ausschalten kann und sich an einer leichten Romanze erfreuen kann, wird mit diesem Buch vermutlich gut bedient sein.
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Heyne Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Sarah Archer / The Plus One / Heyne Verlag / Taschenbuch, Seiten / ISBN: 978-3-453-32033-8 / Erschienen am 13.01.20 / zur Verlagsseite
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