Es ist schon wieder eine ganze Weile her, dass ich zu einem Manga gegriffen habe. Als ich dann durch die Vorschau vom Reprodukt Verlag geblättert habe, sind mir aber gleich zwei der Titel direkt ins Auge gefallen: „Rote Blüten“ von Yoshiharu Tsuge und „Tante NonNon“ von Shigeru Mizuki – beide offenbar Urgesteine der Manga-Kunst und in Japan natürlich längst Kult. Grund genug, euch diese beiden (doch sehr dicken) Manga einmal vorzustellen!
Shigeru Mizuki, Tante NonNon
Die japanische Kultur ist reich an Legenden über Geister, Dämonen und andere übernatürliche Wesen. Längst sind diese Wesen, genannt Yôkai, auch außerhalb Japans bekannt und beliebt, sei es durch Kulturexporte wie Pokémon oder Hayao Miyazakis Meisterwerke „Prinzessinin Mononoke“ und „Chihiros Reise ins Zauberland“. Zu verdanken ist dies auch Shigeru Mizuki, der bereits in den 1960er-Jahren Yôkai-Geschichten veröffentlichte. In „Tante NonNon“ erzählt Shigeru Mizuki, wie er als Kind die Welt der Yôkai entdeckte: Seine Eltern hatten die Witwe eines buddhistischen Mönchs bei sich aufgenommen, die liebevoll Tante NonNon genannt wurde. Die alte Dame weckte das Interesse des kleinen Shigeru für die Yôkai, die ihn und sein Werk so nachhaltig beeinflussen sollten.
Dieses Buch ist der erste autobiographische Teil von dreien, die der Reprodukt Verlag herausgibt, um das Lebenswerk von Shigeru Mizuki an die heutigen Leser zu bringen. Mizukis Werke zählen in Japan zu den Klassikern, hier ist er vermutlich noch relativ unbekannt. Mit „Tante NonNon“ nimmt der Künstler uns mit in seine Kindheitstage, und wir begleiten ihn durch zahlreiche Abenteuer, die stark durch die titelgebende Tante NonNon und ihren (wenn man so will) Aberglauben bzw. ihre starke Verwurzelung mit alten Mythen und Märchen geprägt wurden. Kaum ist Tante NonNon im Hause der Mizukis angekommen, sprudelt ihr gebündeltes Wissen über Yôkai auch schon hervor. Shigeru und sein kleiner Bruder sind aufgrund ihres Alters sehr empfänglich für die Weisheiten der alten Dame, und ehe sie sich versehen, verfolgen Yôkai verschiedenster Arten die Brüder auf Schritt und Tritt. Und immer ist Tante NonNon in der Nähe, um mit Rettungs- bzw. Gegenmaßnahmen auszuhelfen und die beiden vor so manch einem Unglück zu bewahren.
Die Episoden aus dem Leben des Künstlers sind witzig und geben uns Einblick in das Japan vergangener Tage. Wir erleben Shigerus Alltag, erleben mit ihm die Schlachten, die er gegen seine Klassenkameraden führt und lernen nebenbei noch etwas über japanische Tradition. Leider sind die Erläuterungen zu den einzelnen Yôkai etwas knapp gehalten, da hätte ich gerne mehr erfahren! Dafür gibt es im Anhang eine kleine Liste mit Erläuterungen von Japan-spezifischen Wörtern, die die Yôkai immerhin noch einmal aufgreift – allerdings auch hier in relativ kurzer Form.
Im Sommer erscheint im Reprodukt Verlag der nächste Band der insgesamt ca. 1.200 Seiten umfassenden Autobiographie Mizukis und ich bin schon gespannt!
Shigeru Mizuki / Tante NonNon / Reprodukt Verlag / Taschenbuch, 416 Seiten / ISBN: 978-3-95640-192-3/ Erschienen am 13.11.19 / zur Verlagsseite
Yoshiharu Tsuge, Rote Blüten
Sayako führt den Teestand ihres Vaters, eines Trinkers, in den Bergen. Ein Sommertag, viel zu heiß, um die mageren Einnahmen des Vormittags zu zählen. Sayako ist erschöpft und gleichgültig gegenüber den Streichen ihres Klassenkameraden Masaji, dessen Listigkeit sich anbetrachts eines Schwächeanfalls von Sayako in Zuwendung und Fürsorge verwandelt. Yoshiharu Tsuge erweckt die Szenen der titelgebenden Geschichte mit einer Leichtigkeit zum Leben, die einen die Hitze und die Geräusche des Waldes unmittelbar spüren lassen. „Rote Blüten“ enthält zwanzig Geschichten, mit denen Yoshiharu Tsuge eine neue Art des Erzählens geschaffen hat. In seinen Geschichten, die von skurrilen Figuren, Außenseitern, sprechenden Salamandern, Vagabunden oder stummen Familien bevölkert werden, erzeugt er eine einzigartige Atmosphäre.
Dieser Manga hat sich als schwere Kost herausgestellt. Denn obwohl Cover und Klappentext sehr mystisch klingen, fand ich die kurzen Geschichten mitunter etwas unzugänglich – wobei ich allerdings glaube, dass das durchaus beabsichtigt ist! Wir verfolgen diverse unzusammenhängende Charaktere in Japan, die allesamt eine schwierige Lebensphase durchmachen oder deren Schicksal sich zum Schlechten wendet. Yoshiharu Tsuge porträtiert deutlich das Elend, aber stellt auch einige alltägliche Szenen dar, beispielsweise einen introvertierten Mann, der bei seinem Aufenthalt in einem Badehaus von einigen lärmenden Rowdys gestört wird und deshalb keine Entspannung finden kann. Ein anderer Mann kommt auf der Durchreise an einem Lokal vorbei, in dem sich das viel zu junge Mädchen den männlichen Gästen aufdrängt bzw. ihnen „etwas bieten“ will – und die dadurch durchaus ausgenutzt wird. Doch anstatt dass der Gast sich in ihr Leben einmischt und sie versucht, vom falschen Weg abzubringen, zieht er einfach seines Weges. Und so sind die meisten, wenn nicht sogar alle Geschichten Tsuges: Er „vergönnt“ seinen Charakteren kein Happy End und auch keine Besserung ihrer Situation – eine gewisse Auswegslosigkeit macht sich breit. Deshalb entsteht im Verlauf des Buchs trotz der stellenweise etwas heitereren Storys eine deprimierende Stimmung, die mir als Leser auch noch eine Weile nach der Lektüre noch nachgehangen ist.
Im Anhang an diese Geschichtensammlung findet sich noch ein Essay zum Künstler und der Leser erfährt, dass Yoshiharu Tsuge seiner Zeit (seine Manga erschienen in den 60er und 70er Jahren) ein komplett neues Genre entstehen ließ. Seine Werke haben sich bis heute zum Kult entwickelt, auch wenn er damals keine großen Erfolge einfuhr.
Im Sommer erscheint ein weiterer Manga Tsuges, „Der nutzlose Mann“, dessen 400 Seiten eine einzelne Geschichte umspannen. Auch hier bin ich sehr neugierig!
Yoshiharu Tsuge / Rote Blüten / Reprodukt Verlag / Taschenbuch, 400 Seiten / ISBN: 978-3-95640-191-6 / Erschienen am 13.11.19 / zur Verlagsseite