Temporeiches Buch mit erfrischend unverbrauchtem Thema – Wiedergeburt. Was würde geschehen, wenn jeder Mensch neun Leben hätte?
Neun Leben zu haben statt einem einzigen ist eine riesige Chance. Vor allem, wenn man durch jede Wiedergeburt ein bisschen schöner und klüger wird. Julians Freunde können es gar nicht erwarten, die Schwelle zu ihrem jeweils nächsten Leben zu überschreiten. Doch Julian hat Angst. Seine eigene Mutter wurde in ihrem neunten Leben sehr merkwürdig und verschwand schließlich. Was, wenn einem in Wahrheit mit jedem Tod ein Stückchen vom alten Leben weggenommen wird? Als Julian doch den Sprung ins zweite Leben wagt, sieht er, dass er mit seinen Zweifeln nur allzu recht hat: Er kommt einer riesigen Verschwörung auf die Spur…
Auf dieses Buch habe ich mich schon lange gefreut! Ich bin immer auf der Suche nach außergewöhnlich klingenden Dystopien, die nicht das Standard-Liebesdreieick oder andere ausgelutschte Young Adult Tropes beinhalten. Natürlich kann man sowas nicht immer anhand des Klappentextes beurteilen, aber dennoch hatte ich bei Zach Hines‘ gerade erschienenem Roman „Neun“ ein gutes Gefühl! Die Prämisse ist, dass alle Menschen nach einer Sonneneruption im Jahre 1808 neun Leben haben. Da sich das natürlich auf lange Sicht natürlich nicht mit dem Problem der Überbevölkerung verträgt, wurden von den Wiedergeburtsbehörden weltweit sogenannte Lebenspläne aufgestellt, nach denen sich jeder Mensch richten muss. Heißt im Klartext: Bist du eine Eins, also befindest dich noch in deinem ersten Leben, nimmt dich keine Uni an. Streng genommen kommen auch Zweien nicht weit im Leben, denn staatliche Förderungen gibt’s erst ab Leben Drei. Die Lebensnummer ist also mittlerweile gleichgestellt mit dem sozialen Status. Die Behörden stellen für schnelle Tode „Tilgungszentren“ auf, wo man sich unkompliziert ein Leben nehmen (lassen) kann. Doch auf Julians Schule treibt sich eine Gruppierung um, „Die Auslöscher“, die es auf möglichst spektakuläre Selbstmorde abgesehen haben und Julian für ihr Team gewinnen und bekehren möchten – denn Julian ist eine Eins und weigert sich standhaft, eines oder gar mehrere seiner Leben zu „verbrennen“. Doch als selbst sein Vater ihn darum bittet, eine Drei zu werden, damit die Familie staatliche Fördergelder beantragen kann, wendet sich das Blatt und Julian muss zu dem werden, was er verachtet.
Franklin wusste, wie wichtig es war, den Glamour des Todes nicht zu zerstören. Von dem Blut und der Gallenflüssigkeit, von dem Geruch und von dem Schleim […] Von solchen Details wollte niemand etwas hören.
Fast in einem Rutsch habe ich „Neun“ ausgelesen, so unfassbar spannend war es! Was dem Klappentext (und zugegeben auch meiner Zusammenfassung) nach wie ein beliebiges Jugendbuch klingt, ist in Wahrheit so viel besser, denn hinter den hoch angesehenen Wiedergeburten und dem Glamour des Todes steckt mehr als nur die Erfüllung des Lebensplans: Umweltschutz ist eine wichtige Thematik, denn alle Charaktere in diesem Buch nehmen ausschließlich Soja-Produkte zu sich. Auch, dass die Überbevölkerung eine zentrale Rolle spielt, finde ich sehr interessant. Jedoch gibt es eine Sache, die mir sauer aufstößt: Alle Menschen, die eines ihrer Leben auslöschen, sich also umbringen, wachen inmitten eines Sees auf – in einem verbesserten Körper. Das ist nicht das Problem, sondern dass die Leichen der „alten“ Körper immer noch an Ort und Stelle liegen. Die Erde hat also nicht nur die Überbevölkerung zum Problem, sondern auch ein extrem gesteigertes Aufkommen an Leichen. Diese werden entweder fachmännisch „verschwinden gelassen“ oder eben verbrannt. Man sollte meinen, dass dieser Aspekt auch ein wenig Beachtung vom Autor erhält, doch dem ist leider nicht so. Der Autor betont jedes Mal, wenn die Kids einen Kakao trinken, dass es sich um einen Soja-Kakao handelt, und auch alle Mahlzeiten werden auf diese Weise betont, doch dass die unfassbar angewachsene Leichenmenge bzw. deren „Entsorgung“ ein Umweltproblem darstellt, findet sich leider in keiner Erwähnung.
Doch Rant beiseite, denn ich habe „Neun“ wirklich genossen. Denn nicht nur wurde der Prozess der Wiedergeburt detailliert erläutert, sondern es treten nach und nach auch mehr Fakten zutage, die diesen Prozess und das Ansehen einer hohen Lebenszahl infrage stellen. Denn immer mehr und besonders immer mehr junge Menschen leiden an immer stärker auftretenden Wiedergeburtsfehlern. Bei manchen äußert sich das durch ein Muttermal oder einen ähnlichen optischen „Makel“, wieder andere haben Herzrhythmusstörungen, werden farbenblind, haben Erinnerungslücken oder leiden an einer schlimmeren Form, der Retrogression. Dass die Zahl und Schwere der Wiedergeburtsfehler ansteigt, scheint die Behörden nicht zu interessieren bzw. – was passiert hier wirklich? Dieser spannenden Frage geht Julian mithilfe seiner Freunde Cody und Glen nach. Temporeich und mit einer einfachen, schnörkellosen Sprache geht es hier rund. Die Charaktere sind zwar nicht immer ausgefleischt und einige Mitschüler Julians wirken fast wie Karikaturen ihrer Selbst, doch das hat mir den Spaß an „Neun“ nicht verdorben.
Fazit: Ein hochspannendes und kurzweiliges Buch! Wer Lust auf eine Dystopie hat, die ein wenig anders ist, kann hier beherzt zugreifen.
Zach Hines / Neun / Heyne fliegt / Taschenbuch, 368 Seiten / ISBN: 978-3-453-27235-4 / Erschienen am 16.09.19 / zur Verlagsseite
Hallöchen,
von „Neun“ habe ich bisher noch gar nichts gehört. Aber das Buch klingt ja wirklich interessant. Und dass du es so gut fandest, dass du über diese kleinen Kritikpunkte hinwegsehen konntest, sagen einiges darüber aus.
Ich werde mir das Buch auf jeden Fall mal auf die Wunschliste setzen, danke für deine Rezension!
Liebste Grüße, Kate
Ich kenne das Buch auch noch nicht. Spannend klingt es durchaus!