Ein wunderschön gezeichneter Comic, der die Migrationskultur auf den Philippinen thematisiert und dabei richtig ans Herz geht.
Drei Generationen, am selben Ort, zur selben Zeit: »Ferngespräch« ist eine Geschichte vom Altwerden, von Einsamkeit und Fremdsein. Es ist Sommer, und während die Temperaturen draußen Rekordwerte erreichen, nimmt der Alltag in einem Seniorenzentrum einer deutschen Kleinstadt seinen gewohnten Lauf. Da ist die frisch verwitwete alte Dame, die sich mit ihrer Lebenssituation nicht abfinden kann, eine Pflegerin, deren Mutter auf den Philippinen im Sterben liegt, während sie weiterhin ihrer Arbeit nachgeht. Und da ist ihre kleine Tochter, die sie während der Sommerferien mit zur Arbeit nehmen muss. Die Erinnerungen und Träume der drei Protagonistinnen verschmelzen in der Sommerhitze bisweilen mit der unerträglich langweiligen Realität des Seniorenzentrums. Alle, die hier leben oder arbeiten, haben das Gefühl, am falschen Ort zu sein.
Was tun, wenn die eigene Mutter im Sterben liegt und man einfach nicht weg kann? Sheree Domingo erzählt in ihrem Comic „Ferngespräch“ eine Episode aus dem eigenen Leben, damals, als sie über die Sommerferien ins Altenheim mitkommen musste, in dem ihre Mutter arbeitet. Sie wünscht sich an einen schönen Ort – auf die Philippinen, mit denen sie nur gute positive Erinnerungen verbindet. Sherees Mutter wünscht sich auch dorthin – um bei ihrer sterbenden Mutter zu sein. Doch die räumliche Trennung lässt sich nicht überwinden, sie bekommt von ihrem Arbeitgeber keinen Urlaub gewährt. Und so sind die beiden Frauen gefangen in der Hitze, im Altenheim und in ihrer Einsamkeit. Die Thematik, die hinter dieser Episode steckt, ist dabei eine ziemlich aktuelle. Durch soziokulturelle und wirtschaftliche Faktoren werden immer mehr Filipinos dazu bewegt, auszuwandern. Die Philippinen sind, wie Sheree Domingo in einem erläuternden Nachwort schreibt, ein Land der Auswanderer. Das Geld, das im Ausland arbeitende Personen ihrer Familie auf den Philippinen schicken, macht sage und schreibe zehn Prozent des Bruttosozialprodukts aus. Jeder Zehnte Filipino arbeitet mittlerweile im Ausland – die Tendenz stieg innerhalb der letzten 100 Jahre immer weiter. In „Ferngespräch“ verarbeitet Sheree Domingo ihre persönliche Geschichte und beleuchtet die Folgen der Migration – all dies mit traumhaften, aquarelligen Bildern, die den Leser bereits auf Seite eins mit einem Sog in die Story hineinziehen.
Sheree Domingo schafft es, sich auf nur 96 Seiten mit einer sehr wichtigen Frage auseinanderzusetzen: Was ist Heimat? Während sie die Sommerferien notgedrungen im Pflegeheim verbringt, beschäftigt sie sich mehr denn je mit ihren Wurzeln – beziehungsweise versucht sie es. Denn nur noch verschwommene Erinnerungen sind von schönen Tagen auf den Philippinen geblieben; ihre Tante und Mutter haben zwar viele Geschichten zu erzählen, aber das hört sich alles so weit weg an für die kleine Sheree. Ein vages Bild ist ihr jedoch geblieben, das sie in ihrem Herzen trägt und unverwandt mit den Bewohnern des Seniorenheims teilt.
Fazit: Mit diesem kurzen, aber nichtsdestotrotz sehr intensiven Comic arbeitet Sheree Domingo ihre persönliche Familiengeschichte und die Entwicklung der Philippinen zum Migrationsland auf. Dort werden unzählige Menschen für die Krankenpflege ausgebildet, damit sie auswandern und ihren Familien Geld schicken können. Diese Begebenheiten waren mir, hier in meiner Blase, überhaupt nicht bekannt, weshalb ich umso dankbarer bin, dass die Künstlerin die Situation in einem kleinen Nachwort erörtert und die Thematik für Laien verständlich aufbereitet. Einpackt ist diese tiefgehende Geschichte zudem in wirklich wunderschöne Bilder, die seitenweise auch ohne Wörter auskommen und für sich sprechen können. Das Cover finde ich besonders gelungen, da es Sheree, ihre Mutter und die Heimat zeigt – Sheree dabei auf halbem Wege zurück zu ihren Ursprüngen.
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise von Edition Moderne als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Sheree Domingo / Ferngespräch / Edition Moderne / Softcover, 96 Seiten / ISBN: 978-3-03731-191-2 / Erscheint am: 08.08.2019 / zur Verlagsseite
Hallo Tina,
vom Cover her hätte ich niemals zu diesem Comic gegriffen und auch das Thema ist jetzt nicht das erste, wo ich begeistert aufschreie … ABER ich finde die Illustrationen innen einfach sehr ästhetisch gewählt und auch deine Worte machen mich ziemlich neugierig.
Ich scheue mich ja nie, auch mal in Themen reinzuschnuppern, die mich bisher nicht berührt haben und wenn es dann auch noch durch einen Comic mir „leichter“ gemacht wird, greife ich doch gerne dazu.
Es wandert auf jeden Fall auf meine Wunschliste und danke für die Rezension – ich mag deinen Blog so gerne, da du bei mir auf ganz unterschiedliche Weise mit deinen Empfehlungen den richtigen Nerv triffst.
Liebe Grüße,
Antonie