Schwacher Abschluss für eine bisher sehr starke Trilogie – Vanderbekes neuer Roman kann leider nicht überzeugen.
Unsere Zukunft speist sich aus unserer Vergangenheit. Die Erzählerin dieses autobiografischen Romans, mittlerweile selbst Großmutter, spürt den Fäden und Verbindungen zwischen den Generationen nach: Was bewog die eigene Großmutter, Ostende zu verlassen und ihrem 14-jährigen Sohn Gaston, der sich der deutschen Wehrmacht angeschlossen hatte, nach Deutschland zu folgen? Wie hielt sie, die nie wieder nach Belgien zurückkehrte, das Leben in der Fremde aus? Und wie können diese Erinnerungen in Zeiten, die erneut von Flucht und Vertreibung geprägt sind, Trost und Hilfe sein? Im abschließenden Teil ihrer beeindruckenden Roman-Trilogie umkreist Birgit Vanderbeke Fragen, die weit zurückführen und doch aktueller nicht sein könnten.
Birgit Vanderbekes „Wer dann noch lachen kann“ habe ich 2017 richtiggehend verschlungen, unwissend, dass es sich um den zweiten Band einer Trilogie handelt. Band eins wurde kurzerhand nachgekauft – und stand ungelesen im Regal. Bis dann der Erscheinungstermin von Teil drei, „Alle, die vor uns da waren“, bekanntgegeben wurde. Und so las ich im Februar die beiden vorangehenden Bücher von Vanderbekes autobiographisch angehauchten Romanen, also „Ich freue mich, dass ich geboren bin“ (1) und „Wer dann noch lachen kann“ (2) – letzteren zum zweiten Mal. Und erneut begeisterte mich Birgit Vanderbeke mit ihrer speziellen Erzählsprache und der emotionalen Geschichte. Band drei konnte kommen! Und obwohl mich der Klappentext dann doch nicht so ansprechen konnte, wollte ich doch diese Trilogie beenden, deren erste zwei Bücher mich so begeistert haben. Doch leider entpuppte sich „Alle, die vor uns da waren“ als Enttäuschung, die nach zwei großartigen Büchern einen faden Nachgeschmack hinterließ.
Eine Sache ist nicht beendet und aus der Welt, bloß weil niemand darüber spricht. Bloß weil die Leute sich selbst Amnestie und Absolution erteilen, bis sie vor Selbstgerechtigkeit kaum mehr laufen können. Es sind immer die, die nach uns kommen, die dafür bezahlen müssen.
Es geht um unsere aus den zwei vorangehenden Bänden bereits bekannte Protagonistin, die bekanntermaßen keine angenehme Kindheit hatte. Und obwohl sie dies stets als „kleines Pech“ abtut, verfolgen sie die Geschehnisse von damals bis in ihr Erwachsenenalter. Wir treffen Karline und ihren Mann Gianni, die einen Sohn haben, der auch bereits eine eigene Familie gegründet hat. Das Ehepaar macht sich auf den Weg nach Irland zum Urlaub, in das Haus der Familie Böll. Dass sich das Dörfchen auf der Insel mitten im Nirgendwo befindet und die beiden komplett abgeschnitten von der Außenwelt sein würden, trifft Karline und Gianni unerwartet. Dennoch versuchen sie, das beste aus der Situation zu machen, indem sie über die Vergangenheit sinnieren, im Böll-Haus herumstöbern und die Ortschaft erkunden. Karline beschäftigt sich mit den Geschichten ihrer Großmutter und der Zeit, bevor sie und ihre Familie vom Auffanglagern im Osten ins „Schlaraffenland“, den Westen umgezogen sind. Hier lockte der Konsum, Lebensmittelknappheit war kein Problem mehr und man konnte sich alles leisten, was man will. Doch so schön es auch gewesen sein mag, litt Karline unter ihrem Vater, der sie häufig windelweich prügelte, da sie ungeschickt war und Dinge öfters mal zu Bruch gingen. So weit die Prämisse.
Dieser Teil des Buchs hat mir sehr gut gefallen, doch mit den Geschichten aus dem Lager und denen der noch weiter zurückliegenden Vergangenheit konnte ich mich nicht so richtig anfreunden. Viel lieber hätte ich noch mehr aus Karlines Leben gehört. Die Szenen in Irland haben sich ein wenig im Kreis gedreht, da Gianni und sie nur begrenzte Möglichkeiten vor Ort hatten. Die Überlegungen Karlines, was die Nachwelt angeht, der Zukunft, in der ihr Sohn und seine Kinder leben müssen, fand ich hingegen sehr spannend. Sie beschäftigt sich mit Gedanken zur Umweltverschmutzung und Nachhaltigkeit, die ihrer Meinung nach viel zu spät die breite Masse erreicht haben:
Inzwischen wissen wir, dass es mit dieser Zukunft vorbei ist und alle Kinder von dieser vergewaltigten und geschundenen Erde von Glück sagen können, wenn sie sie überleben.
Fazit: Mit dem abschließenden Band ihrer Roman-Trilogie legt Birgit Vanderbeke auch zugleich den schwächsten Roman vor. Auch, wenn mir die bekannte Erzählsprache wieder sehr gefallen hat, haben mich die Geschichten der Vergangenheit von Karlines Großmutter wenig berührt. Die Handlung auf der Insel drehte sich im Kreis und lediglich ein Teil des großen Ganzen konnte mich wirklich begeistern. Leider war ich nach der Lektüre sehr enttäuscht; die gesamte Reihe hat dank des letzten Buchs einen faden Nachgeschmack gewonnen.
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Piper Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Birgit Vanderbeke, Alle, die vor uns da waren | Piper Verlag | Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 176 Seiten | ISBN: 978-3-492-05744-8 | Erschienen am 01.02.19 | Zur Verlagsseite