Schonungslos und blutig: Dieser Roman ist nichts für den ungetrübten Fleischfresser.
Marcos verantwortet die Produktion einer Schlachterei. Er kontrolliert die eingehenden Stücke, kümmert sich um den korrekten Schlachtvorgang, überprüft die Qualität, setzt die gesetzlichen Vorgaben um, verhandelt mit den Zulieferern … Alles Routine, Tagesgeschäft, Normalität. Bis auf den Umstand, dass in der Welt, in der Marcos lebt, Menschen als Vieh zum Fleischverzehr gezüchtet werden.
Dieses Buch! Nachdem ich Cover und Klapptentext beäugt habe, war mir sofort klar, dass ich Agustina Bazterricas „Wie die Schweine“ lesen MUSS. Seit Beginn letzten Jahres habe ich Fleisch und viele tierische Produkte mehr und mehr aus meinem Speiseplan gestrichen (klar, Ausnahmen gibt es. Vom Käse bin ich beispielsweise noch nicht weg) und achte nunmehr bewusst auf das, was ich esse. Und da ich die Überbevölkerung kritisch sehe, hat dieser Roman doch wie die Faust aufs Auge gepasst. Zugegeben, ein wenig Soylent Green schwingt hier mit, doch geht es in Bazterricas Roman viel krasser zu. Der Leser bekommt hier allerhand Details serviert, die in der Fleischindustrie keine Seltenheit sind und so manchem vermutlich nicht schmecken werden. Die Autorin zeigt uns schonungslos, was in unserer Welt schief läuft und dreht den Spieß um, indem sie nicht die Tiere, sondern uns Menschen auf die Schlachtbank bringt. Für manch einen mag dies unvorstellbar widerlich sein, denn wenn es plötzlich nicht mehr um Ferkel Freddy vom Bauernhof mit Massentierhaltung geht, sondern um eine junge Frau, die da kopfüber aufgehängt und gehäutet wird, da hört für viele bestimmt der Spaß auf. Ich war selbst davon überrascht, wie magenfest ich bei der Lektüre war.
Rumpfhälfte, Betäubungsapparat, Schlachtstraße. Zeckenbad. Diese Wörter kommen ihm in den Sinn, suchen ihn heim. Zermürben ihn. Denn diese Wörter sind nicht nur Wörter. Sie sind Blut, Gestank, Automatisierung, Gedankenlosigkeit. Hinterrücks fallen sie nachts über ihn her. Dann wacht er schweißgebadet auf, weil er weiß, dass ihn ein weiterer Tag erwartet, an dem er Menschen schlachten muss.
Doch kommen wir einmal zum Inhalt: In Marcos‘ Welt werden nach einer weltweiten Viruserkrankung keine Tiere mehr verzehrt, da diese den tödlichen Virus auf Menschen übertragen. Nachdem also alle Haus- und Nutztiere eliminiert wurden und auch die Bevölkerung auch ein wenig geschrumpft ist, müssen nun andere Mittel her. Denn die Menschen wollen natürlich weiterhin nicht auf Fleisch verzichten. Und was wäre dann schlauer, als das zu nehmen, wovon es sowieso zu viel auf der Erde gibt? Genau. Ab sofort wird Menschenfleisch verarbeitet. Im Gegensatz zu Soylent Green gibt es hier allerdings keine Geheimniskrämerei um die Herkunft des Fleisches; jeder weiß, was er da isst – und ist doch mehr oder minder zufrieden damit. Menschen werden in Massenhaltung gezüchtet, mit Wachstumshormonen vollgepumpt; die Zunge und die Stimmbänder werden ihnen entfernt (man will ja schließlich keine Schreie hören müssen) und sie „leben“ zusammengepfercht auf kleinstem Raum. Kommt uns bekannt vor, oder?
„Wie die Schweine“ widmet sich dem Arbeitsalltag von Marcos, der in einem Schlachthaus arbeitet. Massen“mensch“haltung und blutige Szenen gehören zu seinem Alltag. Doch als er eines Tages ein Weibchen geschenkt bekommt – zur Privathaltung (und -schlachtung) – kommen ihm moralische Bedenken. Denn nachdem er dieses bei sich im Haus aufnimmt und mit ihm ein Bett teilt, wird ihm klar, dass die Fleischgrundlage sich nicht von dir oder mir unterscheidet, sondern auch ein Recht auf Leben hat. Auch, wenn das Weibchen komplett geschoren ist, weder Zunge noch Stimmbänder mehr hat und nicht weiß, was eine Toilette ist, scheint er eine Verbindung zu ihr zu spüren.
Fleisch mit Vor- und Nachnamen. So wird das illegale Fleisch genannt, das nach der Sperrstunde gehandelt wird.
Während des gesamten Romans widmet sich Bazterrica der detaillierten Beschreibung des Schlachtvorgangs – einen Großteil der Story bildet eine Führung durch das Schlachthaus – Charaktere werden hier nur angerissen und sind eigentlich auch nicht relevant für diese Art der Geschichte. Die Details sind blutig, ja, aber dieses Buch soll uns Omnivoren den Spiegel vorhalten. Was tun wir den Tieren damit an? Welches Leid müssen sie durchstehen, nur damit wir ein Schnitzel auf den Teller und Milch ins Glas bekommen? Keine unwichtigen Fragen, besonders in Kombination mit der wachsenden Erdbevölkerung: immer mehr Menschen „brauchen“ immer mehr tierische Produkte. Um diesen Bedarf zu decken, müssen noch mehr Tiere in die Schlachthöfe gelangen, überproportional viel landwirtschaftliche Fläche muss dafür herhalten, um die wenigen Prozent, die tierische Produkte innerhalb unserer Ernährungspyramide ausmachen, zu stellen. Somit steht weniger Land für die wirklich wichtigen Lebensmittel zur Verfügung, wir bekommen die Menschen nicht satt, Hunger entsteht. Ist das nicht skurril?
Fazit: Agustina Bazterrica greift mit ihrem Roman ein Thema auf, das heute wichtiger ist denn je zuvor. Mit ihrer schonungslosen Schreibe saugt sie den Leser völlig in das Geschehen ein und lässt erst wieder los, wenn alles vorbei, wenn der letzte Tropfen Blut vergossen wurde. Wirklich überrascht hat mich zudem die Schlussszene, nach der ich die gesamte Geschichte noch einmal überdenken musste. Eine klare Leseempfehlung!
Agustina Bazterrica / Wie die Schweine / Suhrkamp Verlag / Taschenbuch, 236 Seiten / ISBN: 978-3-518-47023-7 / Erschienen am 20.01.20 / zur Verlagsseite