Spannender Essay-Band über brandaktuelle und hochwichtige Themen, der mich im Endeffekt jedoch nicht komplett begeistern konnte.
Jia Tolentino setzt sich schonungslos mit den Konflikten, Widersprüchen und Veränderungen auseinander, die uns und unsere Zeit prägen. In ihrer rasanten Essaysammlung, die von Schärfe, Witz und Furchtlosigkeit getragen wird, geht sie den Kräften nach, die unseren Blick verzerren. Ein unvergesslicher Trip durch die Selbsttäuschungen des Internetzeitalters und die Schwierigkeiten, sich in einer Kultur, die sich um das »Ich« dreht, klar zu sehen. Tolentino schreibt über den Albtraum des sozialen Internets, über den Betrug als Ethos der Millennials, über den bittersüßen Traum von der Selbstoptimierung. Ein intellektuell ungezügelter Ritt durch den Zeitgeist und schon jetzt ein Klassiker des bisher furchtbarsten Jahrzehnts.
Von diesem Buch hatte ich bereits so viel Gutes gehört, dass ich schon ganz neugierig war auf die Essays von Jia Tolentino. Doch leider habe ich „Trick Mirror“ dann sogar abgebrochen. Warum das so war, lest ihr jetzt.
Jia Tolentino beginnt mit einem kurzen Abriss über den Aufstieg des Internets, wie sie sich damals bereits erste Websites bastelte und die Entstehung von Social Media live miterlebte. Und JA, das habe ich so gefühlt. Ich konnte im ersten Essay alles wirklich so unterschreiben – auch ich habe bei meinen ersten Gehversuchen im Internet damals zahlreiche Websites gebastelt und war unheimlich stolz auf mich. Und auch ich habe mich riesig gefreut, als ich schließlich einen Weg fand, mit meinen Freunden (und Fremden) in Echtzeit chatten konnte. Und natürlich sehe ich mittlerweile auch die Probleme, die unser Web x.0 mit sich bringt – und hier setzt Tolentino an. Auf das very relatable ersten Essay folgte jedoch eins, das keinerlei Bezug zu mir hatte („Mein Reality-TV-Ich“) und sofort war die Verbindung zur Autorin, die ich im ersten Essay noch so stark gespürt habe, weg.
Es [gibt] keine Begrenzung der Menge an Unglück, die man über das Internet aufnehmen könne […] und keine Möglichkeit, diese Informationen richtig zu kalibrieren – keine Anleitung dafür, wie wir unser Herz weiter öffnen könnten, um diese simultanen Dimensionen menschlicher Erfahrungen darin unterzubringen, keinen Weg, uns selbst beizubringen, das Banale vom Wichtigen zu trennen. Das Internet hat unsere Fähigkeit, über Dinge Bescheid zu wissen, drastisch gesteigert, während unsere Fähigkeit, die Dinge zu ändern, unverändert geblieben oder womöglich noch vor unseren Augen geschrumpft ist.
Die anderen Essays (ich habe 5/10 gelesen und die restlichen quergelesen) haben mir dann ehrlich gesagt nicht so viel gegeben – bis auf das wunderbare Essay „Pure Heldinnen“, in dem Tolentino über Stereotypen und Rollenbilder von Mädchen und Frauen in der Literatur spricht – wie (und ob) sich die weiblichen Charaktere in Büchern über die Jahrhunderte und Jahrzehnte entwickelt haben. Und es hat mich doch erschrocken zu sehen, wie rückständig das Frauenbild in der Literatur doch ist – und am schlimmsten: dass es mir nicht aufgefallen ist! Tolentino erwähnt viele Werke, von denen ich auch einige gelesen habe, und was deren Protagonistinnen ausmacht. Das war unheimlich spannend und augenöffnend!
Alles in allem würde ich das Buch durchaus empfehlen – auch, wenn es mich mit der Ausnahme von 2, 3 Essays nicht abgeholt hat. Die Themen sind viel zu wichtig, um sie zu ignorieren, und ich glaube, dass man aus „Trick Mirror“ doch einige wertvolle Dinge mitnehmen kann.
Im echten Leben schätze ich die Möglichkeiten des Erwachsen seins und würde um nichts in der Welt zu meiner (wunderbaren) Kind heit zurückkehren wollen. In der Literatur sind Kinder hingegen die einzigen Charaktere, mit denen ich mich jemals identifizieren konnte. […] Männliche literarische Figuren werden traditionell als Beispiele des menschlichen, nicht des männlichen, Daseins verfasst und verstanden.
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom S. Fischer Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Jia Tolentino / Trick Mirror / S. Fischer Verlag / Gebundenes Buch, 368 Seiten / ISBN: 978-3-10-397056-2 / Erschienen am 24.02.21 / zur Verlagsseite