»Only bad news is good news. If it bleeds, it leads.«
Seit einer ganzen Weile konsumiere ich aktiv keine Nachrichten mehr. Dieser permanent laufende Katastrophenfilm zieht mich einfach jedes Mal runter, macht mich hoffnungslos und ängstlich hinsichtlich der Zukunft. In allen Nachrichten-Medien gibt es für mich gefühlt nur 99% Bad News, und da mache ich nicht mit. Natürlich ist diese Verweigerung eine unglaublich privilegierte Handlung – dessen bin ich mir sehr bewusst. Doch finde ich, dass Nachrichten mehr bieten sollten als Hilflosigkeit und Verzweiflung. Genau diese Problematik greift Ronja von Wurmb-Seibel mit ihrem Buch „Wie wir die Welt sehen“ auf. Sie plädiert für einen konstruktiven, lösungsorientierten Journalismus, der uns Krisen aufzeigt – UND, wie wir mit ihnen umgehen können, wir wir helfen oder was bereits getan wird. Denn in den meisten Fällen sind Nachrichten nur einseitig, auf Konflikte gebürstet und stellen vor allem nur eine Vignette dar – also einen winzig kleinen Punkt, eine Momentaufnahme, von einem lang andauernden Prozess. Ruft euch mal die Berichterstattung zur Klimakatastrophe auf (Wortwahl intended) – wie oft habt ihr gehört, dass wir in den letzten Jahren so viel dagegen tun wie die letzten 20 Jahre nicht? Und dass es, wenn diese Entwicklung fortbesteht, gar nicht so schlimm kommen wird, wie uns die Bilder in den Nachrichten uns glauben lassen? Und was ist eigentlich mit von uns weit entfernten Ländern?
»Geografisch und kulturell weit entfernte Länder tauchen auf unserem Nachrichtenradar nur dann auf, wenn dort etwas besonders Tragisches passiert: Kriege, Naturkatastrophen, Anschläge, Flugzeugabstürze. Was macht das mit unserem Bild von den Menschen, die dort leben?«
This. Das so ausformuliert und weitergedacht von der Autorin serviert zu bekommen, hat bei mir einige Gedanken in Gang gesetzt. Wie oft habe ich schon gehört „In die Türkei/Korea/… möchte ich aber nicht in Urlaub“? Und jedes Mal ist mir das ein wenig aufgestoßen. Als Mensch, der sich vom täglichen Bad News Bombardement fern hält, war das wenig verständlich, und endlich verstehe ich die Hintergründe hinter solchen Gedanken. Denn durch die permanente Beschallung schlimmer Nachrichten aus diesen und anderen Ländern bekommen Nachrichtenkonsument*innen natürlich ein gänzlich falsches Bild vom Leben der Menschen dort – Krieg möchte ich hier aber natürlich aus dem Vergleich rausnehmen.
Ebenso präsent in unseren Nachrichten ist das Phänomen der „False Balance“ – wenn Personen mit einem sehr untschiedlichen Level an Fachexpertise gleich viel zu einem Thema zitiert werden. Hier zieht Wurmb-Seibel unter anderem das Beispiel der Querdenker heran – diese haben durch die Medienausschlachtung („Ist konfrontativ, macht gute Nachrichten!“) viel mehr Präsenz bekommen und so denkt vermutlich die Mehrheit der Deutschen immer noch, dass die Querdenker eine riesige Gruppe sein müssen – obwohl dies nur eine Splittergruppe ist.
Die Nachrichtenlandschaft ist auch verantwortlich dafür, dass wir Fakten im Weltgeschehen anders einschätzen – so bspw. gibt es in unseren Köpfen 10-mal so viele Geflüchtete, wie dies tatsächlich der Fall ist. Auch in anderen Themen liegen wir mit unseren Schätzungen völlig daneben, etwa wenn es um Kriminalitätsraten oder Zugang zu Bildung für Mädchen geht. „Dies heißt nicht, dass wir etwas nicht gelernt haben. Sondern dass wir es falsch gelernt haben.“ Und dagegen hilft es, bewusster Nachrichten zu konsumieren und darauf zu achten, ob die Berichterstattung das X enthält – also eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema, die idealerweise auch bereits Lösungsansätze enthält:
»Wir können uns schon jetzt die Nachrichten und Berichterstatter*innen rauspicken, die uns guttun. Die es schaffen, die ganze Scheiße da draußen nicht ohne X zu präsentieren. Wir können wählen, was wir konsumieren.«
Die Autorin legt mit diesem Buch den Finger in eine Wunde, die uns alle irgendwie betrifft und zeigt, wie wir achtsamer und bewusster mit Nachrichten umgehen und diese besser einordnen können. Wird nur einseitig berichtet, kommen keine verschiedenen Sichtweisen zur Sprache, wird nur aufgezeigt, wie schlimm alles ist und wie hilflos wir doch sind? Dann besser die Finger von dieser Berichterstattung lassen. Denn diese uns mittlerweile antrainierte Hilflosigkeit und der Teufelskreis, der mit ihr kommt („Was kann ich denn schon ausrichten?“) gehört ein für alle mal unterbrochen.
Nach der Lektüre bin ich motiviert, Berichterstattungen zum Weltgeschehen wieder zu konsumieren – von guten, konstruktiven Quellen, die sich nicht nur auf das, was schief läuft fokussieren. Die Autorin gibt im Buch bereits einige Beispiele für Podcasts und andere Formate. Lasst mir aber gerne Tipps da, was ihr bereits hört/seht/lest!
Ronja von Wurmb-Seibel / Wie wir die Welt sehen / Kösel Verlag / Taschenbuch, 238 Seiten / ISBN: 978-3-466-34780-3 / Erschienen am 28.02.22 / zur Verlagsseite