Eigentlich sollte dies eine Rezension zu Jimmy Liaos Buch „Der Klang der Farben“ werden, doch der Autor hat mich in Frankfurt total geflash, weshalb dies hier doch ein kleines Portrait geworden ist. Bereits beim diesjährigen Gratis Comic Tag war Herr Liao mit einem Mini-Sammelband seiner Werke mit dabei; daheim wartete dann die „große“ Ausgabe auf mich. Weil mich „Der Klang der Farben“ mit seinen prächtigen Bildern neugierig auf mehr gemacht hat, begann meine Jagd (der ewige Sparfuchs Tina) nach gebrauchten Ausgaben weiterer Werke des Autors.
Jimmy Liao ist Zeit seines Schaffens bisher äußerst fleißig gewesen und hat mehr als 40 (!) Bilderbücher für Erwachsene veröffentlicht. Schnell wurde ich bei der Büchersuche fündig und so zog „Die Ballade von der großen Liebe“ bei mir ein – das Buch, mit dem Jimmy Liao vor mittlerweile 20 Jahren nicht nur in seinem Heimatland Taiwan, sondern weltweit große Erfolge feierte. Das Buch wurde verfilmt, im Theater aufgeführt und es gibt eine Serie dazu. Da mir nun beide Bücher und die kleine Leseprobe des Gratis Comic Tags mit ihrer melancholischen Art sehr gefallen haben, war ich mehr als überrascht, als ich erfuhr, dass Jimmy Liao in der Buchhandlung Weltenleser in Frankfurt eine Lesung abhalten würde. Nichts wie hin!
Jimmy Liao: Eine faszinierende wie tragische Lebensgeschichte
Einmal in der kleinen, aber schönen Buchhandlung angekommen und hingesetzt, ging es auch schon los. Jimmy Liao erzählt so mitreißend von seinem Leben und Schaffen, dass ich mir sofort in den Po beiße, das Interviewangebot abgelehnt zu haben. Bereits als Kind zeichnete er für sein Leben gerne, erfuhr aber erst sehr spät, dass es überhaupt den Beruf des Künstlers und auch dementsprechende Studienangebote gibt. Obwohl er es sich nicht so recht zutraute, schloss er letzten Endes ein Kunststudium an der Chinese Culture University ab und begann, in einer Werbeagentur zu arbeiten. Nach einem schicksalhaften Besuch bei einer Wahrsagerin, die ihm versicherte, er würde es zum großen, kometenhaften Erfolg bringen, schmiss er seinen Job und wollte sich ganz seiner Kunst widmen. Doch das Leben spielt leider nicht immer mit, und so erfuhr er ein Jahr später von seiner Leukämie-Erkrankung. Während seiner Chemotherapie entwickelte Jimmy Liao eine ausgeprägte Angst vor dem Tod und begann einige Zeit später bereits, Zeichnungen für sein erstes Buch anzufertigen. So veröffentlichte er mit 40 Jahren sein erstes Buch. Während er an seinen ersten Werken arbeitete, hoffte er stets, dass er die Fertigstellung des jeweiligen Buches erleben durfte, und ihm fiel ein Stein vom Herzen, als er die magische Fünf-Jahres-Grenze überschritt, nach der seine Überlebenschancen rapide ansteigen würden und er als geheilt gilt. Bis hierher hatte er es geschafft.
20 Jahre später ist Jimmy Liao ein gefeierter, mit zahlreichen Preisen ausgezeichneter Star – in Ostasien kennt ihn jeder. Er veröffentlichte mehr als 40 Bücher und auch, wenn es in Deutschland (noch) keinen wirklichen Markt für Erwachsenen-Bilderbücher gibt, hat sich der Chinabooks Verlag aus der Schweiz seinen Büchern angenommen und sie zu uns gebracht, nachdem „Die Ballade von der großen Liebe“ 2009 bei Jacoby & Stuart sowie einige weitere Bücher bei Coppenrath (2001, 2004) erschienen und von der Leserschaft weitestgehend unentdeckt blieben. Im Chinabooks Verlag sind nun vier weitere seiner Werke auf Deutsch erschienen: „Der Klang der Farben“, „Der blaue Stein“, „Das Kino des Lebens“ sowie „Die Sternennacht“.
Jimmy Liao erzählt all dies frei von der Leber weg und geht für asiatische Verhältnisse sehr offen mit seinen Emotionen und seiner großen Angst vor dem Tod um. Das hat mich sehr überrascht, denn lese ich doch sehr viele Bücher aus China, Korea oder auch Japan, aus denen die Kultur spricht und Emotionen hinter Schloss und Riegel und auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gehören. Liao spricht diese Thematik auch selbst an; in Taiwan gehört es nicht dazu, seine Kinder zu umarmen – doch er liebt es, seine Tochter so oft wie nur möglich zu umarmen!
Nicht nur er selbst, sondern auch sein Zeichenstil hat sich während seines Krankheitsverlaufs drastisch verändert – schienen seine Bilder vorher nicht wirklich bei der breiten Menge anzukommen, hat sich dies um 180 Grad gewendet. Seine Bilder drücken eine große Melancholie und Traurigkeit aus, viele seiner Bücher rühren die Menschen zu Tränen. So auch beim nach dem Gespräch folgenden Q&A-Teil der Veranstaltung – eine Frau berichtet davon, wie ihr ein ganz bestimmtes Buch Liaos („When the Moon forgot“) über eine schwere Zeit hindurch geholfen hat – und bricht in Tränen aus. Jimmy Liaos Bilderbücher für Erwachsene bewegen Menschen rund um den Globus und ich habe nun für mich beschlossen, dass ich mehr von ihm lesen möchte, um diesem Phänomen nachzuempfinden. Die beiden Bücher, die ich bisher gelesen habe, waren zwar melancholisch, aber keineswegs tieftraurig, weshalb ich mir unbedingt seine anderen Werke anschauen möchte.
Bei der abschließenden Gelegenheit, sich eine Signatur für sein Lieblingswerk zu holen und einige Worte mit dem Autor auszutauschen ging ich dann mit meinem kleinen Büchlein („Die Ballade der großen Liebe“) nach vorn und dann geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: Der Autor sowie sein Begleiter flippten ein wenig aus, weil sie dieses Buch so lange nicht mehr gesehen haben – und vor allem nicht auf Deutsch! Und so bekam ich zu meiner Signatur auch noch ein Foto mit Jimmy Liao. 🙂
Das war eine Veranstaltung, die ich nicht so schnell vergessen werde. Geführt wurde die Veranstaltung übrigens von seiner Verlegerin beim Chinabooks Verlag, Elisabeth Wolf.
Buchvorstellung: „Der Klang der Farben“ & „Die Ballade von der großen Liebe“
Ein blindes Mädchen entschließt sich an seinem 15. Geburtstag dazu, die Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Mit Furcht und Zittern steigt sie in die U-Bahn und fährt von einer unbekannten Station zu einer anderen. Auf ihrer Reise schwelgt sie in Erinnerungen, tastet sich in ihrer in Dunkelheit gehüllten Welt voran, gleichzeitig findet sie aber auch neue Hoffnung und Orientierung. Als sie sich in den unterirdischen Gewölben verirrt, entdeckt sie neue Ausgänge. Sie bedient sich ihrer Vorstellungskraft, um sich eine bunte, imaginäre Welt um sie herum auszumalen, und findet dadurch Trost in ihrer Einsamkeit zu finden. Auf ihrer Reise findet Sie Antworten für ihr Leben.
Die namenlose Protagonistin ist nach und nach erblindet und begibt sich an ihrem Geburtstag auf eine Reise quer durch die die U-Bahnhöfe ihrer Umgebung. Furchtlos und neugierig schlägt sie sich durch die kuriosesten Gegenden, wobei sie nur auf ihre anderen Sinne angewiesen ist. Dabei stellt sie sich selbst vor, wie sich die Welt verändert haben mag, seit sie nichts mehr sieht. Sehen die Wolken am Himmel immer noch so wundervoll aus? Wo bin ich? Wo will ich überhaupt hin? „Der Klang der Farben“ hat Jimmy Liao in dem fünften Jahr nach der Chemotherapie geschrieben, wo er noch um seine Gesundheit bangen musste, weshalb sich eine recht düstere, aber auch hoffnungsvolle Atmosphäre durch das Buch zieht. Dies war mein allererstes Bilderbuch für Erwachsene und ich muss sagen, hier ist man sehr auf seine Interpretationskünste angewiesen! Denn während der Autor eines Romans viele Seiten hat, um Dinge zu erklären, sind Wörter in einem Bilderbuch bekanntlich Mangelware. Die poetische Sprache Jimmy Liaos nimmt uns mit auf die Reise des Mädchens, die nicht nur eine physische, sondern auch eine Reise zur Sinnsuche ist. Mir haben die prächtigen, knallbunten und fantasievollen Zeichnungen des Autors wahnsinnig gut gefallen – überall gab es so viel zu entdecken! Dazu noch der philosophische Text, der den Leser nahezu durch die Bilder zieht – toll!
Noch bevor wir Zeit haben, uns kennenzulernen, gehen wir schon wieder hastig auseinander. Unaufhörlich trennen sich unsere Wege in der U-Bahn.
Jimmy Liao / Der Klang der Farben / Softcover, 128 Seiten / ISBN: 978-3905816846 / Erschienen am 13.03.19 / zur Verlagsseite
Sie sehnen sich beide nach Liebe, und sie sind Nachbarn. Aber er wendet sich jedes Mal nach rechts, wenn er aus dem Haus tritt, und sie nach links. Tag und Nacht träumen beide von der großen Liebe, die doch irgendwo auf sie warten muss, aber sie gehen aneinander vorüber, sie kennen sich ja nicht. Und dann geschieht es doch: Sie sehen sich und es ist Liebe auf den ersten Blick. Es ist nichts als Glück. Aber am Himmel drohen dunkle Wolken. Sie sind völlig durchnässt, als sie, jeder für sich, zu Hause ankommen. Durchnässt sind allerdings auch die Zettel, auf denen sie sich ihre Telefonnummer aufgeschrieben haben, und die Tinte ist verlaufen. Es beginnt eine lange, lange Suche nacheinander…
In diesem Buch verfolgt der Leser zwei unglückliche Seelen, die Wand an Wand wohnen, sich allerdings partout nicht begegnen. Als es dann doch endlich geschieht und sie sich sehen, verbringen sie einen Tag zusammen, den sie nie vergessen werden. Doch wird ihnen die Chance auf ein Wiedersehen wortwörtlich verhagelt und fortan halten sie immer Ausschau nach dem anderen. Doch in der großen Stadt gestaltet sich das Wiederfinden einer nahezu unbekannten Person unmöglich, und anstatt ihre Gewohnheiten zu ändern und auf Wegen abseits ihres Alltags nach dem anderen zu schauen, halten sie an ihrem Trott fest und trauern still und leise. Dieses Buch ist sehr emotional; als Leser verfolgt man das Geschehen verzweifelt und rauft sich die Haare, man möchte den beiden zurufen „Dreh dich um!“ oder „Geh‘ doch den anderen Weg!“, doch man selbst würde in einer solchen Situation vermutlich genauso handeln und einfach nichts ändern, sondern stur nach geradeaus schauen und dort suchen. „Die Ballade von der großen Liebe“ hat mich also ein wenig frustriert, dennoch ist die Geschichte wahnsinnig schön. Das haben auch bereits die asiatischen Filmstudios gemerkt und vor Jahren bereits Verfilmungen und Serien zu „Turn left, turn right“, wie das Buch im Englischen heißt, herausgebracht.
In der vertrauten und doch so fremden Stadt sucht jeder von ihnen hilflos nach der einen fremden und doch so vertrauten Gestalt.
Jimmy Liao / Die Ballade von der großen Liebe / Gebundenes Buch, 132 Seiten / ISBN: 978-3941087361 / Erschienen am: 05.02.09 / zur Verlagsseite
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