Ein leicht plätschernder Sci-Fi-Roman mit mehr Romanze, als mir lieb ist, und der nervigsten KI seit KVN*.
Emily ist eine KI. Sie wurde designed und programmiert, um den Menschen in allen Lebenslagen zu helfen. Und obwohl das eigentlich gar nicht möglich sein sollte, liebt Emily die Menschen. Aber als die Sonne zu erlöschen droht, hat auch sie kein Programm, um das zu verhindern. Dennoch fasst sie einen Plan, um die Welt zu retten. Doch nicht jeder glaubt an ihre guten Absichten, und so wird Emilys Liebe zu den Menschen auf eine harte Probe gestellt …
Da ich grundsätzlich gerne Science-Fiction lese und mir dieses Buch vom Verlag sehr ans Herz gelegt wurde, habe ich trotz einiger negativer Rezensionen beschlossen, M. G. Wheatons „Emily Eternal“ zu lesen. Und ich sage nur so viel: Hätte ich doch auf mein Bauchgefühl gehört! Die titelgebende KI – oder, wie im Buch erwähnt wird, KB (Künstliches Bewusstsein), Emily – wird auf der Buchrückseite als „beste KI seit HAL 9000“ bezeichnet. Also doch KI? Und was ist der Unterschied zwischen einer KI und einem KB? Den Unterschied erklärt das Buch leider auch nicht so richtig. Soviel dazu. Jedenfalls muss ich diesem Lob von Sci-Fi-Autor Blake Crouch widersprechen, denn Emily ist bei weitem nicht so interessant wie HAL. Wenn überhaupt, ist sie interessanter als deine Durchschnittsgöre aus jeder Teeniekomödie, da sie nun mal eine KI ist und sie das interessant macht, aber darüber hinaus hat sie nicht viel zu bieten. Und es tut mir jetzt schon Leid für das Buch und auch für diesen Beitrag, dass jetzt ein kleiner Rant folgt: Emily wurde nach einer durchschnittlichen, weißen 30-jährigen (heteronormativen) Frau gebaut, benimmt sich aber wie ein 12-jähriger Teenie im Hormonrausch. Sie „lebt“ bei ihrem Erfinder Nathan auf dem Uni-Campus und wird primär als Therapeutin eingesetzt, da sie sich in die Erinnerungen der Patienten hineinbegeben kann und so verstecke Traumata etc. aufspüren kann. So weit, so gut. Doch dann kommt es zu einer Katastrophe, denn anders als bereits 1906 berechnet, beginnt die Sonne nicht erst in ferner Zukunft zu verglühen, sondern in absehbarer Zeit, und die Menschheit muss sich auf ihren baldigen Exitus vorbereiten. Emily, die die Menschen durch ihre Interaktion miteinander mittlerweile sehr gern mag, sucht verzweifelt nach einem Ausweg. Doch viel wichtiger in ihrem Aufmerksamkeitsfeld ist ihr Schwarm Jason, ein muskulöser Typ, der nichts von ihrer Existenz ahnt – bis sie seine Erinnerungen gewissermaßen umschreibt. Doch zurück zur Sonne und der anstehenden Auslöschung aller Erdenbewohner. Als Emily ein Vorschlag unterbreitet wird, wie man die Menschheit doch noch retten könnte, sträubt sie sich zunächst, doch da es keine guten Alternativen gibt, wird Plan A erst einmal umgesetzt. Bis Emily mitten in der Arbeit etwas Hochspannendes entdeckt, was Plan A und alle weiteren Überlegungen zur Evakuierung der Menschheit überflüssig machen könnte…
Geburten sollten gefeiert werden, als Beginn von etwas. Doch nach Bekanntwerden des Helios-Events fühlt es sich eher an, als würden die Eltern ihren Neugeborenen einen grausamen Streich spielen, die nie alt genug sein werden, um die Tragweite dessen zu begreifen, was geschieht.
Zugegeben, das klingt sehr negativ. Und ja, viele Aspekte von „Emily Eternal“ haben mich unheimlich gestört – allem voran die Tatsache, dass der Tod der Menschheit unter dem Titel „Helios-Event“ läuft. Aber einigen Ideen muss ich auch eine gewisse Neuheit zuschreiben. Diese kann ich euch allerdings nicht nennen, da sie erst gegen Mitte des Buchs auftauchen und doch ziemlich überraschend sind. Aber so viel sei verraten: die Liebesgeschichte ist es jedenfalls nicht! Diese verläuft nämlich relativ vorhersehbar, langweilig und eigentlich auch vollkommen unnötig. Dieses Buch hätte wunderbar oder vielleicht sogar noch besser funktioniert, wenn es die Figur des Jason nicht gegeben hätte. Ja, seine Interaktion mit Emily zeigt uns einige ihrer interessanteren Funktionen (und ich spreche nicht von Mensch-zu-KI-Intimitäten), die wir aber auch anderweitig hätten kennenlernen können. Warum eine Lovestory in den spannenden Sci-Fi-Plot hineinwerfen?
Wie ich oben bereits erwähnt habe, hatte ich bei der Lektüre auch Probleme damit, dass Emily sich wie ein Teenie benimmt. Zu Beginn des Buchs wird ein wenig erläutert, wie sie modelliert wurde und dass sie lernt, wie Zeit funktioniert, indem sie ein eigenes (digitales) Umfeld hat und gewisse menschliche Routinen, wie Haare waschen, schlafen oder essen, ausführt. Okay, da bin ich noch dabei, aber dass Emily eine „Schönheitsoperation“ wegen einem kleinen Fleck an ihrem Bein (ein Fehler im Code o. Ä.) vornehmen lässt, erscheint mir doch etwas fragwürdig. Zumal Emily diese OP selbst dann vornehmen lässt, obwohl die dadurch entstandene Narbe größer sein würde als der eigentliche Fleck. Klingt für mich nach bockigem Teenager. Dass sie sich in verschiedensten Szenarien ausmalt, wie das erste Treffen mit ihrem Schwarm laufen könnte, ist ähnlich nervig.
Die Dinosaurier haben 165 Millionen Jahre lang in einem ziemlich ausbalancierten Ökosystem gelebt. […] Die Menschen entwickelten eine Massenindustrie und schaffen es nach knapp 100 Jahren, fast das gesamte Leben auf diesem Planeten zu vernichten.
Dabei finde ich die Grundidee von „Emily Eternal“ gut – die Sonne, die Milliarden Jahre früher als geplant erlischt, eine Menschheit, die mit extremsten Katastrophen konfrontiert wird, bevor die Erde komplett unbewohnbar wird. Dadurch, dass dieser Roman auch nicht explizit in der Zukunft angesiedelt ist, ist die Technik ähnlich weit entwickelt wie heutzutage und es ist noch komplett undenkbar, Menschen (besonders alle Menschen) in den Weltraum oder auf andere Planeten zu evakuieren. Diese ausweglose Situation fand ich äußerst spannend – und in diesem Aspekt wurde dieses Buch auch seinem Plot gerecht, denn M. G. Wheaton bietet uns ein hochinteressantes Szenario, das plausibel und realistisch aufgebaut und am Ende überraschend „aufgelöst“ wurde, sodass ich mit dem Outcome doch sehr zufrieden war.
Gefallen hat mir auch die „Handhabung“ von Emily selbst – also, wie man in den Genuss kommt, mit ihr zu interagieren. Hierbei kommen nämlich Interfaces zum Einsatz, die man sich an den Hals klebt. So kann man Emily sehen und sogar berühren – indem sie unserem Gehirn vorgaukelt, dass wir etwas fühlen. Ein wenig kompliziert, wenn ich das hier so nacherzähle, aber eigentlich ganz spannend. Als alter K-Drama-Fan musste ich da natürlich auch direkt an „My Holo Love“ denken, wo die KI zwar nicht anfassbar ist, aber durch das Aufsetzen einer Brille sichtbar wird. (Und bevor es Proteste gibt: JA, da mag ich meinen Kitsch!)
Fazit: Dieses Buch ist ein Auf und Ab der Gefühle – mag ich es oder hasse ich es? Eine schwierige Frage. Obwohl ich meine (großen) Probleme mit der Protagonistin hatte, hat mir das Setting und auch die actionreiche Umsetzung sehr gefallen. Die Seiten sind nur so verflogen und ich habe das Buch in kürzester Zeit beendet. „Emily Eternal“ kann niveautechnisch nicht mit Cixin Liu und Konsorten mithalten, ist aber schnelle Unterhaltung für diejenigen, die zu ihrer Lovestory auch mal etwas Spannendes haben wollen. Für hartgesottene Sci-Fi-Fans kann ich diesen Roman nur eingeschränkt empfehlen, da die kitschigen Szenen doch sehr viel Platz einnehmen. Schaut euch im Zweifelsfall einfach die Leseprobe an. 🙂
* KVN aus Final Space – eine Serie, die ich gerne empfehle!
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Heyne Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
M. G. Wheaton / Emily Eternal / Heyne Verlag / Taschenbuch, 382 Seiten / ISBN: 978-3-453-31996-7 / Erschienen am 11.05.20 / zur Verlagsseite
Hach, ich bin so froh, dass ich den richtigen Riecher hatte und einen Bogen um das Buch gemacht habe. Hatte es förmlich schon in den Händen, aber iiirgendetwas hat mich abgehalten und wenn ich jetzt deine Kritik lese *puuuh* weise Entscheidung 😀