Sehr persönliches Memoir, das uns die Welt der Pilze näherbringt und Pilzhasser konvertiert.
Mit 19 zog Long Litt Woon als Austauschstudentin von Malaysia nach Norwegen. Kurz nach ihrer Ankunft begegnet sie dort der Liebe ihres Lebens, Eiolf Olsen. Als sie nach 32 gemeinsamen Jahren ihren Ehemann und Seelenverwandten völlig unerwartet durch plötzliches Herzversagen verliert, bricht ihre Welt zusammen. Nur mühsam findet sie aus ihrer Erstarrung. Als sie sich zu einem Pilzkurs für Anfänger anmeldet, ahnt sie noch nicht, dass dies einen Wendepunkt für sie bedeutet: Ihre Reise in die wundersame Welt der Pilze ist nicht nur eine Reise in ihre eigene Seelenlandschaft, es ist auch der Beginn eines neuen Lebens voller Erfüllung, zu dem ihr die Pilze den Weg gewiesen haben.
Sachbücher und ich sind eigentlich keine Freunde. Erzählende Sachbücher hingegen finde ich großartig, da sie etwas fachspezifisches erklären, uns tiefe Einblicke gewähren und zugleich eine persönliche Geschichte erzählen. Pilze sind wieder eine andere Sache. Bevor ich dieses Buch las, habe ich meine letzten Pilze vor bestimmt 25 Jahren gegessen und mich seitdem vor ihnen geekelt. Dass ich seit Beenden der Lektüre nun bereits zwei Gerichte mit Pilzen verspeist habe, spricht nun vermutlich für dieses Buch! „Mein Weg durch die Wälder“ von Long Litt Woon und ich hatten also nicht die besten Voraussetzungen, um gute Freunde zu werden, jedoch fand ich den Klappentext verlockend und eigentlich sehen Pilze ja schon cool aus. Also warum nicht etwas über sie lernen und gleichzeitig Zeuge einer sehr emotionsgeladenden Lebensgeschichte werden? Also zog dieses (übrigens verdammt schön gestaltete) Büchlein bei mir ein. Long Litt Woon verliert in einem Vorwort ein paar Takte zu ihrer Geschichte und wie sie zum Schreiben kam. Sie erläutert auch, dass dieses Buch eigentlich ein reines Pilzbuch sein sollte und sie die persönlichen Passagen erst später ergänzt hat. Diese sind farblich abgegrenzt zum Rest des Buchs und geben einen spannenden Kontrast zum oftmals doch etwas technischen Mykologie-Fachwissen.
Ich bin den Pilzen verfallen und habe dadurch ein Paralleluniversum entdeckt, eine unsichtbare Zauberwelt direkt vor meinen Schuhspitzen, mit einer eigenen Logik und einer unkontrollierbaren Lebenskraft, an der ich früher vollkommen unwissend vorbeigegangen bin.
Es geht also um die Autorin selbst, die von ihrer schicksalhaften Zusammenkunft mit der Mykologie berichtet und uns an ihrem reichhaltigen Wissen teilhaben lassen möchte. Dass sie „in die Pilze“ gegangen ist, wie sie so schön formuliert, hat nämlich einen gar nicht schönen Grund, eher im Gegenteil – nämlich den plötzlichen Tod ihres Ehemanns Eiolf. Sie befand sich in einer Blase der Trauer, stürzte in ein immer tieferes Tal, als sie auf den Pilzkurs für Anfänger aufmerksam wurde. Fortan beschäftigten sie geheime Territorien und Fundorte, eine innige Liebe zu Morcheln und viele neue Bekanntschaften, die ihre neue Leidenschaft mit ihr teilen und sie auf Pilzwanderungen begleiten. Litt Long Woon gelingt es, langsam aus dem Tal der Trauer herauszuklettern und die Freuden des Lebens wieder wahrzunehmen.
Persönliche und themenbezogene Anekdoten wechseln sich in „Mein Weg durch die Wälder“ ab, ergänzen sich gegenseitig und geben uns einen tiefen Einblick in das Innenleben der Autorin, aber auch in die Mykologie. Vorn im Buch findet sich ein Inhaltsverzeichnis, und man könnte auch durchaus mit den Kapiteln starten, die einen am meisten interessieren. Es gibt zu jedem erdenklichen Pilzthema ein Kapitel, etwa „Geheime Orte“, die Giftig- und Essbarkeit einzelner Arten, Gerüche und sogar halluzinogene Pilze. Dabei kratzt Long Litt Woon nicht nur an der Oberfläche, wie es andere Pilzratgeber tun, sondern sie stellt auch bestehende Regelungen und Gesetze der Pilzgemeinschaft in Norwegen in Frage. Ein spannendes Beispiel: In Norwegen gelten einige Pilze als giftig, die in Asien als Delikatesse verspeist werden, und wieder andere Pilze gelten in Schweden als „kein Speisepilz“ – also geschmacklich als unappetitlich eingestuft –, werden in Norwegen jedoch genüsslich verspeist.
Auch wenn das anatomisch unmöglich war, fühlte es sich an, als hätte ich mir das Herz ausgerenkt.
Fazit: Long Litt Woon bringt uns eine Welt näher, die für viele wohl ein Buch mit sieben Siegeln ist – die Welt der Pilze. Die Erzählungen aus ihrem Leben und ihr Umgang mit der Trauer rühren mich stellenweise zu Tränen, wenn sie wieder die perfekten Worte findet, um ihre Gefühle zu beschreiben. Sie verbindet diese persönlichen Erfahrungen, Anekdoten aus ihrem Leben und die sehr emotionalen Passagen über ihren Mann Eiolf mit Sachwissen der Mykologie, lässt sich auch gern seitenweise über das Aroma verschiedener Pilzarten aus und verrät zum Schluss nicht nur einige ihrer Lieblingspilzrezepte, sondern auch Pilz-Verhaltensregeln für diejenigen, die jetzt auch Lust bekommen haben, im Wald ein wenig nach Pilzen zu stöbern. Also ich wäre dabei!
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom btb Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Long Litt Woon / Mein Weg durch die Wälder / Gebundenes Buch, 329 Seiten / ISBN: 978-3-442-75813-5 / Erschienen am 12.08.19 / zur Verlagsseite