Über Pädophilie und die „große Liebe“.
Titel: Tiger, Tiger
Autor: Margaux Fragoso
Verlag: Penguin UK
Klappentext: I still think about Peter, the man I loved most in the world, all the time. At two in the afternoon, when he would come and pick me up and take me for rides; at five, when I would read to him, head on his chest; in the despair at seven p.m., when he would hold me and rub my belly for an hour; in the despair again at nine p.m. when we would go for a night ride, down to the Royal Cliffs Diner in Englewood Cliffs where I would buy a cup of coffee with precisely seven sugars and a lot of cream. We were friends, soul mates and lovers. I was seven. He was fifty-one. (zur Verlagsseite)
„Love is what you call a phantom pain. The poets write about it, our great art represents it, it inspires our musicians, but it does not really exist. […] It is a chemical reaction, Keesy, hormones. People die for it, but no one has ever proven it exists.“
Dieses Buch erzählt die Geschichte von Margaux Fragoso, die mit sieben Jahren auf den 51-jährigen Peter trifft. Was anfangs noch als unschuldiges Rumplanschen im örtlichen Schwimmbad beginnt, führt bald zu Küssen zur „Stärkung“ Peters, wenn der im Vergleich zu Margaux doch sehr alte Mann wieder mit seinen Rückenschmerzen etc. zu kämpfen hat und endet darin, dass die 20-jährige Margaux ungeschützten Sex mit ihm hat, um schwanger zu werden, da sie nur noch weg von zuhause will. Fragoso erzählt hier mit sehr nüchterner Stimme die bedrückende Geschichte ihres Lebens, zwischen einer Mutter mit einer unklaren Diagnose, die aber mental nicht gesund ist, einem cholerischen Vater und dem charakterlich jung gebliebenen Peter, dessen Haus ihr wie ein Schlaraffenland vorkommt. Zunächst sind sie „nur“ beste Freunde, doch hinter dem Rücken ihrer kranken und daher nicht immer aufmerksamen Mutter, die sie zu den Treffen begleitet, beginnt Peter, immer weiter zu gehen mit der damals Siebenjährigen. In erschreckend wahren Monologen versucht er ihr zu erklären, dass Kinder viel zu verklemmt erzogen werden, dass ihre Geschlechtsorgane beispielsweise immer als „schmutzig“ verurteilt werden und man durch diese Erziehung nicht im Einklang mit seinem Körper aufwachsen könne, da man von klein auf ein gestörtes Bild von sich selbst hat und man seinen Körper in seiner Natürlichkeit nicht akzeptieren könne. Und damit hat er vielleicht sogar Recht. Aber da hört es auch schon auf. Peter nutzt diese Ansprache und noch viele weitere, um die kleine Margaux zu manipulieren; was er damit bezwecken will, ist natürlich dem Leser von vornherein klar. Immer wieder bekommt er das kleine Mädchen dazu, sich auszuziehen und sexuell immer weiter zu gehen mit ihm. Und sie hinterfragt es nicht einmal, da sie ihm mittlerweile vollkommen hörig ist und natürlich seine Ansichten vertritt oder zumindest vertreten möchte. Deshalb gibt es von der kleinen Margaux auch keine Widerworte, als Peter gerne möchte, dass sie seinen Penis in den Mund nimmt.
Hier möchte ich lieber aufhören, die Beziehung detaillierter zu beschreiben. Fragoso beschreibt hier ihre eigene Kindheit, jedoch ist ihr Schreibstil so distanziert, dass man den Ekel der Situation und die Unangebrachtheit dieser „Liebe“ zwar nachvollziehen kann, aber man spürt es nicht. Der Stil der Autorin ist bei ihrem Memoir meiner Meinung nach unpassend, da man gerade hier doch meinen sollte, dass der Leser mitfühlen soll; mitfühlen, wie widernatürlich die Situation ist; mitfühlen, wie Margaux Peter trotzdem als ihren Schutzengel sieht; und vor allem mitfühlen, wenn ihre Eltern komplett versagen. Doch das schafft Fragoso hier leider nicht. Margaux‘ Eltern sind auch ein schwieriger Fall: Ihr Vater ist Choleriker und Putzteufel, ihre Mutter leidet entweder am Borderline-Syndrom, hat Depressionen oder ist schizophren, da sind sich die Ärzte nicht sicher. Margaux wird mit einer seltsamen Erziehung großgezogen und durch die jahrelange Beziehung mit Peter kann sie später, als sie auf Highschool und College geht, gar nicht mit dem richtigen Leben umgehen, da sie fast ihre gesamte Kindheit in dieser Blase verbracht hat. Sie hatte keinen gleichaltrigen Freund, und selbst mit 20, als sie ein Date mit ihrem möglicherweise baldigen Freund, mischt Peter (mit dem sie zu diesem Zeitpunkt nur noch eine platonische Beziehung führt) sich ein und möchte sowohl vorgestellt werden als auch am Abend teilnehmen, was ich – von der gesamten Beziehung der beiden natürlich einmal abgesehen – ziemlich verstörend finde. Margaux findet die Situation auch ein wenig unangenehm, denkt sich aber nichts weiter dabei bzw. unternimmt auch nichts, um endlich die Bande zwischen ihr und Peter zu trennen.
„Listen to me, don’t assume our lives mean anything more than the sun when it rises and sets. Don’t assume it will do this forever; we can’t know. I don’t wake up expecting the sun to rise, and when it does, I take it as a gift.“
Peter hinterlässt Margaux nach seinem Selbstmord, nicht viel später, eine Truhe voller Erinnerungen: ganze Fotoalben, Puppen, selbst verfasste (Porno-)Geschichten der beiden und vor allem die gesammelten Liebesbriefe. Peter spricht in mehreren Abschiedsbriefen auch vom sexuellen Missbrauch an seinen Töchtern und dem möglichen Vergehen an dem Sohn seiner ehemaligen Partnerin und von seiner Anklage wegen sexuellen Missbrauchs gegen zwei seiner Pflegekinder. Dass so ein Mann in der Situation überhaupt noch weitere Pflegekinder, allesamt kleine Mädchen, vermittelt bekommen hat, lässt mich sauer aufstoßen.
Fazit: Obwohl es Fragosos eigene Kindheitsgeschichte ist, die sie hier erzählt, hat sie es nicht geschafft, mich zu fesseln. Sie romantisiert meiner Meinung nach auch die ihr widerfahrenen Erlebnisse, erzählt, dass Peter ihre große Liebe war, aber ich kann das alles nicht so recht glauben. Pädophilie sollte definitiv nicht als so harmlos dargestellt werden, wie es Fragoso hier tut. Erzählerisch war das Buch auch ein absoluter Flop, deshalb gibt es von mir nur 1,5/5 Sternen.
Margaux Fragoso, "Tiger, Tiger", Penguin UK. ISBN: 9780241950159, Zitate: S. 131, 311.
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