Wie könnte das Zusammenleben zwischen Mensch und Maschine funktionieren? Spannende Idee, jedoch zäh umgesetzt.
Charlie ist ein wahrer Lebenskünstler Anfang 30. Miranda eine clevere Studentin, die mit einem dunklen Geheimnis leben muss. Sie verlieben sich gerade, als Charlie seinen ›Adam‹ geliefert bekommt, einen der ersten lebensechten Androiden. In ihrer Liebesgeschichte gibt es also von Anfang an einen Dritten: Adam. Kann eine Maschine denken, leiden, lieben? Adams Gefühle und seine moralischen Prinzipien bringen Charlie und Miranda in ungeahnte – und verhängnisvolle – Situationen.
Ian McEwan ist unter vielen Bloggern ein richtiger Geheimtipp und jeder weiß eines zu empfehlen. Ich habe bereits „Nussschale“ von ihm gelesen (zu prätentiös) und „Kindeswohl“ geschaut (sehr interessant), der „Zementgarten“ steht noch ungelesen in meinem Regal. Nun wurde bei der letzten Buchmesse sein neues Buch vorgestellt, in dem es um künstliche Intelligenz und Androiden gehen sollte. Mein kleines Sci-Fi-Herzchen schlug sofort höher und der Erscheinungstermin konnte gar nicht schnell genug kommen. Als Ian McEwans „Maschinen wie ich“ dann endlich bei mir eintrudelte, legte ich meine aktuelle Lektüre sofort beiseite und begann zu lesen… und die Augenbrauen zusammenzuziehen. Denn das, was sich als KI-trifft-Mensch-Geschichte tarnte, war ein politischer Diskurs und ein Ausflug in den Geschichtsunterricht. Doch zurück zum Anfang: Charlie Friend, ein Mann Anfang 30, verdient seinen Lebensunterhalt mehr schlecht als Recht mit Aktien. Eine Erbschaft ermöglicht ihm jedoch, einen der ersten wirklich menschenähnlichen Androiden, die mit einer KI laufen, zu erwerben. Und so zieht Adam bei ihm ein.
Ich streckte meine Hand aus und fühlte den ruhigen, jambischen Rhythmus. […] An diese Lebenszeichen ließ sich leicht glauben. Die Wärme der Haut, darunter die festen, doch elastischen Muskeln – mein Verstand sagte Plastik oder Ähnliches, meine Hand aber reagierte auf Haut und Fleisch. Es war unheimlich, neben diesem nackten Mann zu stehen, hin- und hergerissen zwischen dem, was ich wusste, und dem, was ich fühlte.
Charlie und seine Nachbarin Miranda (an der er mehr Interesse hegt, als er zugeben mag) erstellen gemeinsam Adams Persönlichkeit – anhand eines Online-Fragebogens. Und so wird Adam irgendwie zum Forschungsobjekt der beiden, für Miranda jedoch auch mehr als das. Das führt dazu, dass der Haussegen schief hängt und Adam nun zwischen Adam und Miranda steht. Was wie ein kurioses Liebesdreieck klingt, ist in Wahrheit leider eine Aneinanderreihung von philosophischen und politischen Gesprächen, die Charlie, Miranda und Adam führen. Adam steht viel weniger im Fokus, als ich anhand des Klappentextes angenommen hatte und nachdem er anfangs gekauft und zum Aufladen eingesteckt wird, geschieht lange Zeit nichts mit ihm, was ich sehr schade finde. Da diese Geschichte in einer alternativen Welt spielt und Charlie seinen Adam bereits 1982 käuflich erwerben kann, ist die historische Zeitlinie natürlich eine andere, als wir sie kennen, und Ian McEwan wird einfach nicht müde, diese in allen Ecken und Enden mit politischen Fakten, historischen Daten und Abrissen vollzustopfen. Da ich kein Geschichts-Crack bin, konnte ich leider auch nicht unterscheiden, was vielleicht tatsächlich so passiert ist, wie McEwan es schreibt, oder was er genau verändert hat. So entging mir vermutlich die ein oder andere spitze Pointe. Einzig mit Alan Turing, der in „Maschinen wie ich“ verständlicherweise eine größere Rolle spielt, konnte ich etwas anfangen. Das war leider ziemlich ernüchternd, denn die an sich sehr spannende Geschichte wurde durch die Einschübe permanent unterbrochen und hat so sehr viel Schwung eingebüßt, und zusätzlich sind diese einfach an mir vorbeigerauscht, ohne dass ich sagen könnte, dass sie mir irgendetwas gebracht hätten. Für die Geschichte waren sie jedenfalls nicht von Belang, unsere Dreierkonstellation hätte auch wunderbar ein Kammerspiel sein können und es hätte trotzdem funktioniert. Die Frage, ob Adam als eigenständiges Lebewesen zählt, das bspw. selbst entscheiden darf, wann und ob es ausgeschaltet wird oder nicht und wie sich das Zusammenleben zwischen Menschen und Androiden gestalten kann, finde ich sehr spannend, kam meiner Meinung jedoch zu kurz. Vielleicht habe ich hier aber auch viel zu sehr an „Detroit: Become Human“ gedacht.
Was mir hingegen sehr gut gefallen hat, war Charlies direkte Auseinandersetzung mit Adam. Das erste Aufeinandertreffen (s. Zitat oben) und die ständigen Grübeleien, wie Adam es schafft, so menschlich zu sein. Charlie philosophiert über die Augen, die ja gar nicht so sehen können wie unsere, die nicht schauen, sondern nur sehen können, wie eine Kamera sieht oder so, wie ein Mikrofon hören kann. Aber auch Adams Gedankengänge über den Tod (und leider nur diese) fand ich sehr gedankenanregend:
Sagen wir, unser Sichtfeld umfasst nahezu 180 Grad, das periphere Sehen mitgerechnet. Seltsam ist, dass es keine Grenze, keinen Rand gibt. Wir sehen nicht das Sichtbare und dann Schwärze, wie man es kennt, wenn man durch ein Fernglas blickt. Da ist nicht etwas und dann nichts. Wir haben unser Sichtfeld, und jenseits davon weniger als nichts. […] Und genauso verhält es sich mit dem Tod. Weniger als nichts. Weniger als Schwärze. Der Rand unseres Blickfelds ist ein gutes Bild für den Rand unseres Bewusstseins.
Fazit: „Maschinen wie ich“ wird kein Buch für jeden sein. Ich habe bereits kritische wie positive Besprechungen gelesen und kann beide Seiten verstehen. Wer hier eine spannende Liebesgeschichte um die drei Protagonisten erwartet oder eine Analyse, wie sich ein Mensch-Maschine-Zusammenleben gestalten kann, wird hier nicht fündig. Für alle, die sich durch zahlreiche Einschübe zum Thema Politik oder Geschichte jedoch nicht von der Lektüre abbringen lassen, für die selbst die philosophischen Monologe der Charaktere, die nichts zur Handlung beitragen, kein Grund zum Lektüre-Abbruch sind, findet sich hier jedoch vielleicht ein literarischer Leckerbissen. Und hier muss ich Janika vom Zeilenwanderer-Blog zitieren, denn sie hat es so wunderbar in ihrer Besprechung zum Buch formuliert: »Die Zwischensequenzen, in denen Charlie / Ian McEwan vor sich hinphilosophiert, wirkten auf mich so, als würde man sein Wissen mit der Welt teilen wollen. Die Geschichte bringen sie jedoch in keiner Weise voran. Sie halten eher auf, stören den Lesefluss und stellen noch dazu eine unglaubliche Informationsflut dar, die der Leser erstmal verdauen muss.« So ist es leider. Die Sprache McEwans war jedoch wieder toll, wenn auch wieder ein wenig prätentiös. Wenn es um Adam, Charlie und Miranda ging, sind die Seiten nur so dahin geflogen. Kurz gefasst: Es hätte so toll sein können, aber…
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Diogenes Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Ian McEwan / Maschinen wie ich / Diogenes Verlag / Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 404 Seiten / ISBN: 978-3-257-07068-2 / Erschienen am 22.05.19 / zur Verlagsseite
Weitere Meinungen:
Kateastrophy • Literally Sabrina • Zeilenwanderer • Feiner reiner Buchstoff
Hallöchen,
ich kann deine Rezension so sehr nachvollziehen. Ich hatte einfach auch etwas völlig anderes erwartet und mich sehr auf den Konflikt Mensch-Maschine gefreut. Als Miranda und Adam angebandelt sind, dachte ich: Jetzt geht es endlich los! Aber nein, es gab wieder nur politische Exkurse und philosophische Monologe. Das hast du gut ausgedrückt.
Wirklich sehr, sehr schade, wenn man darüber nachdenkt, wie das Buch hätte sein können.
Liebste Grüße, Kate
Ich habe nun tatsächlich auch schon oft gehört, dass die Umsetzung der guten Idee nicht die beste ist, sodass ich anders als geplant, nicht auf das Buch zurückreifen werde.