Verrückte Kurzgeschichten für Fans des Skurrilen, mit einer Prise Sozialkritik getoppt – kurzweilig und faszinierend.
Eine Hausfrau wird zur Bodybuilderin, aber ihrem arbeitssüchtigen Ehemann fallen die neuen Muskeln nicht einmal auf. Eine Verkäuferin in einer Boutique wartet stundenlang auf eine Kundin, die sich in der Umkleide verschanzt hat und die vielleicht auch ein Alien ist. Eine junge Frau bemerkt, wie sich das Gesicht ihres frischgebackenen Ehemanns plötzlich beginnt, ihrem eigenen anzugleichen. In diesen elf preisgekrönten Storys gewähren die Figuren einen Blick hinter die Kulissen ihrer scheinbar langweiligen Leben. Zum Vorschein kommt das Bizarre, das Groteske, das Fantastische, das Fremde.
Ahh, dieses Buch wurde bereits für letztes Jahr angekündigt und dann verschoben. Aber hurra, endlich ist es da – der Kurzgeschichtenband „Die einsame Bodybuilderin“ von Yukiko Motoya, übersetzt von keiner geringeren als Ursula Gräfe. Und so habe ich mich schon ein wenig darauf eingeschossen, dass sich hier sicherlich wunderbare Storys tummeln – schließlich wurde eine davon sogar (die zugleich längste) mit dem Kenzaburo-Oe-Preis ausgezeichnet. Allein der Klappentext mutete wunderbar skurril an. Und so waren dann letztendlich auch die Geschichten: verrückt, abgedreht, überraschend und wundersam. Langeweile kommt bei Yukiko Motoya definitiv nicht auf, eine Erzählung ist besonderer als die andere. Keine der Storys hat mich enttäuscht – außer vielleicht, was die Länge betrifft. Denn eine Geschichte wie „Paprikajiro“, in der eine Bande seltsamer Rowdies immer wieder durch die Marktbuden prescht, Essen stiehlt und eine völlige Verwüstung hinterlässt, wird leider bei einer Länge von sechs Seiten gerade mal angeteasert – sodass ich gerne einen kompletten Roman über die skurrilen Vorkommnisse gelesen hätte. Andere Storys wiederum sind auf dem knapp bemessenen Platz nahezu perfekt abgeschlossen, wie etwa „Was raschelt im Stroh?“ oder die titelgebende „einsame Bodybuilderin“. Ich will auch gar nicht zu viel über den Inhalt der einzelnen Geschichten verraten – hier geht man am besten mit so wenig Vorwissen wie möglich ran, um etwaige Spoiler zu vermeiden und sich so perfekt vom Kuriositätenkabinett überraschen zu lassen.
Von allen Sportlern habe ich vor Bodybuildern den meisten Respekt, denn niemand ist einsamer als sie. Und trotz all ihrer Einsamkeit tragen sie immer ein Lächeln im Gesicht, als würden sie kein anderes Gefühl kennen als Heiterkeit.
Was alle Geschichten von Yukiko Motoya jedoch gemeinsam haben: Sie erzählen vom Bild der Frau in Japan, wenn auch auf unerwartete Weise; von Erwartungen an Hausfrauen und der Ehe mit ihnen. Die Autorin nimmt sich diesem breiten Themenfeld so gekonnt an, dass man gar nicht anders kann, als staunend weiterzulesen. Ganz besonderer Fokus liegt aber auf der Ko-Dependenz innerhalb von Partnerschaften: So werden die Figuren aus der preisgekrönten Story „Ehe mit einer fremden Spezies“ sich im Laufe der Partnerschaft immer ähnlicher, wie man es von Hunden und ihren Besitzern eigentlich nachsagt. Die Protagonistin kann die Personen eines befreundeten Paares nicht mehr auseinanderhalten, sie scheinen ihre Gesichter angeglichen zu haben und der eine mag plötzlich das eigentlich verhasste Lieblingsessen der anderen. Auch kleine Marotten scheinen wie ausgetauscht. Und das Schlimmste: die Protagonistin beobachtet diese Veränderungen auch bei sich und ihrem Ehemann. Wie dagegensteuern? Wie kann man seine Unabhängigkeit innerhalb einer Partnerschaft wahren? Yukiko Motoya zeigt, wie es nicht geht, und treibt das Ganze auf die Spitze.
Als ich heiratete, ahnte ich, dass ich vollständig ausgewechselt werden und am Ende meiner Auflösung entgegengehen würde. Dennoch hatte ich in den gesamten vier Jahren meiner Ehe nicht einen Versuch unternommen, meiner Blumentopferde zu entkommen.
Fazit: „Die einsame Bodybuilderin“ enthält viele unheimlich merkwürdige Elemente, mit denen die Charaktere in den jeweiligen Geschichten mit einer skurrilen Selbstverständlichkeit begegnen, als wäre ein Ehemann aus Stroh nichts weiter Außergewöhnliches. Und so zieht sich diese Skurrilität durch das gesamte Buch. Von manchen Kurzgeschichten hätte ich mir einige Seiten mehr oder gar einen eigenen Roman gewünscht, denn oftmals war das Ende der Storys doch sehr abrupt, meistens aber doch zufriedenstellend. Und so bin ich mit einem guten Gefühl aus diesem Erzählband gegangen und hoffe doch sehr, dass es bald noch mehr englisch- oder deutschsprachige Literatur von Yukiko Motoya zu lesen gibt!
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Aufbau Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Yukiko Motoya / Die einsame Bodybuilderin / Blumenbar bei Aufbau Verlag / Gebundenes Buch, 240 Seiten / ISBN: 978-3-351-05075-7 / Erschienen am 17.05.21 / zur Verlagsseite