Während andere Blogger ihre gelesenen Bücher 2020 stapeln und ablichten, dachte ich, dass ich doch lieber das mache, was ich gut kann: euch Literatur aus/rund um Asien präsentieren. Da ich in diesem Bereich 2020 einiges gelesen habe – was ich unter Umständen noch nicht hier vorgestellt habe, gibts nun meine Top 5 asiatische Literatur aus 2020! Falls noch jemand Anregungen für den January in Japan sucht, findet sich hier vielleicht noch das ein oder andere Leckerli. 😉 Was ich gerade beim Stapeln auch bemerkt habe: Alle hier vorgestellten Bücher sind von Autorinnen, passen also auch ganz wunderbar zur Women in Translation Aktion.
Hiromi Kawakami, People from my Neighbourhood
Take a story and shrink it. Make it tiny, so small it can fit in the palm of your hand. Carry the story with you everywhere, let it sit with you while you eat, let it watch you while you sleep. Keep it safe, you never know when you might need it.
Das ist der Klappentext von Hiromi Kawakamis neuem Buch, auf 120 schlanken Seiten voll mit Microfiction. Fast 40 Kurzgeschichten verstecken sich hier, allesamt thematisieren verschiedene Charaktere aus der Nachbarschaft – in der irgendwie nichts so ist, wie es scheint. Magischer Realismus trifft auf einen feinfühligen, „typisch japanischen“ Schreibstil und verbindet sich zu einem der tollsten Bücher, die ich 2020 gelesen habe. Junge Mädchen, die eine seltsame Blume aufsammeln, die sich über die Jahre in einen wunderbaren Mann entwickelt, Schwerelosigkeit, die das Dorf gelegentlich befällt, und merkwürdige Wüstenlandschaften, die sich in der näheren Umgebung breit machen, um eine Woche später wieder zu verschwinden – während der Lektüre war ich wirklich permanent verblüfft und überrascht. Und verwundert, wie Hiromi Kawakami so viele unglaubliche Ideen haben kann! Einige dieser Microfictions hätte ich unheimlich gerne im Romanformat gelesen. Alle Geschichten sind untereinander zumindest ein wenig verknüpft – der namenlose Erzähler berichtet von diesen kuriosen Geschehnissen und einige Charaktere, Freunde des Erzählers, kommen auch immer wieder vor. So spinnt sich doch wenigstens ein kleiner roter Faden durch dieses Kuriositätenkabinett. Riesige Empfehlung!
Clarissa Goenawan, The perfect Life of Miwako Sumida
University sophomore Miwako Sumida has hanged herself, leaving those closest to her reeling. In the months before her suicide, she was hiding away in a remote mountainside village, but what, or whom, was she running from?
Dieses Buch lag viel zu lange auf meinem SUB! Nachdem ich „Rainbirds“ von Clarissa Goenawan abgöttisch geliebt habe, war ich doch etwas zögerlich, was ihr neues Buch betrifft. Zu unrecht! Ein junges Mädchen begeht Selbstmord. Das führt zu einem der wunderbarsten Whydunits, die ich je gelesen habe. Ihr bester Freund und ihre beste Freundin machen sich gemeinsam auf die Suche nach Hinweisen und reisen dafür zum abgelegenen Dörfchen, wo Miwako ihre letzten Tage verbrachte. Das Buch ist in drei Teile unterteilt, die aus der Perspektive von z. B. Miwakos bestem Freund erzählt werden. Dabei springt die Autorin galant zwischen Erinnerungsfetzen und der Jetzt-Zeit hin und her. Nach und nach baut sich so ein Bild über den Alltag Miwakos auf und ein grausamer Verdacht macht sich breit. Spannend, athmosphärisch und auch ein wenig bedrückend bis zur letzten Seite!
Cho Nam-joo, Kim Jiyoung, born 1982
In einer kleinen Wohnung am Rande der Metropole Seoul lebt Kim Jiyoung. Die Mitdreißigerin hat erst kürzlich ihren Job aufgegeben, um sich um ihr Baby zu kümmern – wie es von koreanischen Frauen erwartet wird. Doch schon bald zeigt sie seltsame Symptome: Jiyoungs Persönlichkeit scheint sich aufzuspalten, denn die schlüpft in die Rollen ihr bekannter Frauen.
Dieses Buch macht seit Erscheinen jede Menge Furore – vor allem natürlich in Südkorea. Thema sind gesellschaftliche Erwartungen an die koreanische Frau und die Auswirkungen derer auf die Psyche der Frauen. Wir begleiten Jiyoung im Alltag und gewinnen nach und nach einen Eindruck, wie es sein muss, sich so hohen Erwartungen zu beugen und diese auch in Frage zu stellen. Karriere vs. Familie ist sowieso seit Jahren ein großes und wichtiges Thema, das hier perfekt aufgegriffen wird – aber auch das große Ungleichgewicht zwischen Mann und Frau in Korea ist ein zentrales Thema. Der Druck treibt Jiyoung so weit, dass sie eine Persönlichkeitsstörung entwickelt – zum Schrecken ihrer Familie, die sich nicht wie erwartet um sie sorgen oder sehen, was der Auslöser ist, sondern sie einfach bei einem Therapeuten absetzen. Schockierend, stellenweise harter Tobak und nahe gehend beschreibt Cho Nam-joo, wie es sich anfühlt, in Südkorea eine Frau zu sein. Das Buch erscheint am 11.02. bei KiWi auf Deutsch. Der Film wurde kürzlich im Rahmen des koreanischen Filmfests Project K online gezeigt – ich kann ihn jedem nur ans Herz legen!
Mieko Kawakami, Ms. Ice Sandwich
A young boy returns obsessively to a supermarket sandwich counter, entranced by the beauty of the woman who works there. Her aloof demeanour and electric blue eyelids make him feel the most intense joy he’s ever known. He calls her Ms Ice Sandwich, and he wants nothing more than to spend his days watching her coolly slip sandwiches into bags.
Dieses Buch habe ich Anfang Dezember für den Komorebi Book Club gelesen und war so begeistert, dass ich mir nach der Lektüre des E-Books noch die physische Kopie zulegen musste. Die knapp 90 Seiten lange Kurzgeschichte von der Autorin von „Brüste und Eier“ handelt von der unerwiderten Liebe eines kleinen Jungen zu einer Verkäuferin im Supermarkt. Klingt unspektakulär, kann aber durch feine Sprache und schöne Szenen überzeugen. Tangiert werden auch Themen wie Schönheitsideale (der Frauen) in Japan, denn Ms. Ice Sandwich scheint etwas an sich zu haben, das viele erwachsene Kunden des Supermarkts verärgert. Doch unser junger Protagonist ist mit seiner kindlichen Naivität noch nicht von solchen Vorstellungen und Schablonen geprägt. Mit gewohnter Leichtigkeit schafft Mieko Kawakami eine tolle Atmosphäre, die dazu beiträgt, dass man die knapp 90 Seiten in einem Haps verschlingen muss.
Yoko Ogawa, The Memory Police
On an unnamed island, objects are disappearing: first hats, then ribbons, birds, roses. . . . Most of the inhabitants are oblivious to these changes, while those few able to recall the lost objects live in fear of the Memory Police, who are committed to ensuring that what has disappeared remains forgotten. When a young writer discovers that her editor is in danger, she concocts a plan to hide him, and together they cling to her writing as the last way of preserving the past.
Dieses Buch habe ich bereits Anfang 2020 gelesen, deshalb ist meine Erinnerung nicht mehr ganz so frisch… wobei wir auch direkt beim Thema wären: In „The Memory Police“ geht es um eine seltsame Insel, von der immer mehr Dinge und Konzepte verschwinden. Niemand (bis auf einige Ausnahmen) erinnert sich daran, was einmal gewesen ist. Und so werden die Bewohner unfreiwillige Zeugen eines Zerfalls, an dessen Ende nur eines stehen kann: der Tod. Ein wahnsinnig spannendes Konzept, das fantastisch umgesetzt ist. Die Autorin baut eine einzigartige Atmosphäre auf und als Leser ist man sowohl gespannt als auch ängstlich, was im Verlauf des Buches noch so geschehen mag. Yoko Ogawas neuer Roman ist kürzlich auch auf Deutsch im Liebeskind Verlag erschienen.
Honorable Mentions
Natürlich gab es 2020 viel mehr als nur fünf herausragende Bücher aus der Ecke „asiatische Literatur“! Da ich diese aber bereits vorgestellt habe, werde ich sie hier einfach verlinken.
Ah sehr spannende Tipps – vielen Dank dafür. 🙂 Bisher stand nur Memory Police auf meiner To-Read-Liste, jetzt ist sie noch etwas größer geworden. Whydunit – sehr cool, habe ich das erste Mal gelesen den Begriff.