Heute habe ich drei Bücher für euch dabei, die ich mehr oder weniger in Ordnung fand, für die ich aber nicht genügend Worte finde, um eine Rezension in Komplettlänge zu verfassen. Deshalb gibt’s hier nun alle drei im Schnelldurchlauf und mit ein wenig Senf von mir.
Viet Thanh Nguyen, „Die Geflüchteten“
Ein junger vietnamesischer Geflüchteter gerät in den späten Siebzigerjahren in eine Schwulen-WG in San Francisco und erleidet einen profunden Kulturschock; ein Physikprofessor mit Demenz im Frühstadium beginnt, seine Frau mit einer Geliebten aus der alten Heimat zu verwechseln; eine junge Frau besucht ihre Halbgeschwister in Ho-Chi-Minh-Stadt und gibt vor im Einwanderungsland Amerika erfolgreicher zu sein, als sie eigentlich ist.
Die acht Erzählungen, angesiedelt in den Siebziger- und Achtzigerjahren, die dieser Band versammelt, handelt von Menschen, die in den Monaten und Jahren nach dem Fall von Saigon aus Vietnam geflüchtet sind und versuchen, in Amerika eine neue Heimat zu finden.
Meine Meinung
Auf diesen Erzählband habe ich mich gefreut, weil ich Erzählbände mittlerweile sehr gern lese und die Thematik mich direkt angesprochen hat, aber leider hat Viet Thanh Nguyens „Die Geflüchteten“ keinen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Die Erählweise und das Sprachgefühl des Autors haben mir sehr zugesagt, und die meisten Geschichten waren auch interessant und lesenswert, dennoch blieb nach der Lektüre ein fahler Geschmack. Die einzelnen Erzählungen, so liebevoll sie auch aufgebaut waren, haben zwar tragische, emotionale Momente der jeweiligen Charaktere detailreich nacherzählt, dennoch blieb die Verbindung zu den entsprechenden Protagonisten in den meisten Fällen aus, obwohl mich die einzelnen Schicksale alle sehr mitgenommen haben. Etwa wenn ein Junge seiner Schwester hilft, sich als Junge zu verkleiden, damit sie nicht von Plünderern entführt und vergewaltigt wird, und ihr im Moment der größten Angst beisteht. Oder der junge Mann, der es geschafft hat, nach Amerika zu reisen, dort bei einem homosexuellen Paar unterkommt und sich nun endlich trauen kann, seine Liebe zu Männern auszuleben – sein Leben in Amerika allerdings nicht mit seinen Eltern teilen kann, die in der Heimat zurückgeblieben und auf sein Geld angewiesen sind. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir allerdings die Geschichte „I’d love you to want me“, die von einer älteren Frau und ihrem Ehemann handelt, der an Demenz erkrankt ist und sie stets mit dem Namen einer früheren Geliebten anspricht. Dies war die einzige Geschichte, die mir so richtig im Gedächtnis geblieben ist und mir ausgesprochen gut gefallen hat.
Viet Thanh Nguyen spinnt in „Die Geflüchteten“, wie der Name bereits verrät, einen roten Faden durch seine Erzählungen. Immer geht es um Flucht, ob die Charaktere diese nun am eigenen Leib erfahren oder ihre Vorfahren oder Familienmitglieder diese Erfahrungen durchlebt haben, ist dabei von Geschichte zu Geschichte verschieden.
»Die Toten ziehen weiter. […] Aber, wir, die Lebenden, wir bleiben einfach hier.«
Viet Thanh Nguyen, Die Geflüchteten. Blessing Verlag. Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 224 Seiten. ISBN: 978-3-896-67641-2. Erschienen am 08.10.18. Zur Verlagsseite
Sorority (Hrsg.), „No More Bullshit!“
Der Pay Gap ist ein Mythos!“, „Biologisch gesehen haben Frauen und Männer eben unterschiedliche Kompetenzen!“ oder „Verstehst du keinen Spaß?“ Wenn diese Sätze bei Ihnen Augenrollen auslösen, dann brauchen Sie dieses Buch. Wenn Sie Stammtischweisheiten, Weiblichkeitsmythen und tradierte Vorurteile hinterfragen wollen, dann brauchen Sie dieses Buch. Und wenn Sie sich einfach nur denken: Bullshit!, dann brauchen Sie dieses Buch sogar unbedingt. Das Frauennetzwerk Sorority hat es sich mit der Veranstaltungsreihe „No More Bullshit!“ zur Aufgabe gemacht, altbekannten Killerphrasen etwas entgegenzusetzen: Fakten.
Meine Meinung
Feminismus und die Bewegung gegen den allgemeinen Sexismus ist mittlerweile eine richtige Massenbewegung (gut so!) und scheint sich irgendwie als „Lifestyle“ eingeschlichen zu haben. Bücher zum Thema gibt es viele, doch kommt es mir so vor, als wären viele davon viel zu „krass“ für mich – ein gutes Einsteigerbuch musste her, um sich einmal einen groben Überblick über die Thematik und all die Stammtischweisheiten, die so kursieren, zu bilden. Und dafür ist „No More Bullshit!“ vom Kollektiv und Frauennetzwerk Sorority e. V. wunderbar geeignet. Den Beginn macht ein kleiner Exkurs zum Thema Diskussionen und Argumentationen – wie diskutiert man richtig, wie kann man die Argumente des Gegenübers auf sachliche Weise entkräften und mit Fakten punkten? Obwohl der Buchtitel mit seiner Tonalität reißerisch und „auf Krawall gebürstet“ scheint, wird hier erst einmal aufgeräumt und für eine sachliche Ebene gesorgt, um die Eskalation im hitzigen Wortgefecht zu vermeiden. Der zweite, größere und wichtigste Teil von „No More Bullshit!“ liefert dem Leser dann die gängigsten Phrasen, die man im Alltag und in lockeren Runden wohl am meisten zu Ohren bekommt. So werden hier Aussagen wie z. B. „Karrieregeile Rabenmütter!“ oder „Qualität statt Quote!“ genau unter die Lupe genommen, teilweise mit einer durchaus humorvollen Note, stets ansprechend illustriert und natürlich ausnahmslos mit Fakten belegt.
Dass der ein oder andere Autor dieser Kapitel auch mal über die Stränge schlägt, ist bei diesem Thema und dem leidenschaftlichen Einsatz des Sorority e. V. verständlich, doch hätte ich mir gelegentlich ein wenig mehr Sachlichkeit – wie im ersten Teil des Buches gepredigt wurde – gewünscht. Dennoch bietet „No More Bullshit“ von der Sorority e. V. einen tollen Überblick zum Thema Alltagssexismus. (Ich vermeide hier bewusst den Begriff „Feminismus“, da in diesem Sachbuch durchaus auch Themen wie toxische Maskulinität, „das starke Geschlecht“ o. Ä. aufgegriffen werden.)
Ein Mann, der seine Karriere verfolgt, gilt nicht als Rabenvater, sondern als normal. Er bekommt Anerkennung. Niemand fragt, wer bei ihm zuhause das kranke Kind betreut.
Sorority (Hrsg.), No More Bullshit! Kremayr & Scheriau Verlag. Taschenbuch, 176 Seiten. ISBN: 978-3-218-01134-1. Erschienen am 01.10.18. Zur Verlagsseite
Christian Dittloff, „Das weiße Schloss“
Sie sind ein glückliches Paar. Ada und Yves haben sich für ein Kind entschieden, doch fürchten sie die Unvereinbarkeit von Liebe, Karriere und Erziehung. Deshalb nehmen sie am Prestigeprojekt des Weißen Schlosses teil, wo Leihmütter Kinder fremder Eltern austragen und aufziehen, alles sozusagen Bio und Fair Trade. Elternschaft ist hier Beruf, überwacht und gelenkt von einem alles kontrollierenden Apparat. Der Nachwuchs kann jederzeit besucht werden. Über neun Monate zeigt der Roman die beiden auf dem Weg zum eigenen Kind, folgt den Veränderungen ihres Selbstbilds und ihrer Beziehung. Im Stile von Kazuo Ishiguros »Alles, was wir geben mussten« stellen sich wichtige Fragen unserer Zeit in eigener Versuchsanordnung: Ab wann ist Bindung ein Verlust von Freiheit? Was ist Familie? Sind die tradierten Rollenbilder von Mutter und Vater verhandelbar?
Meine Meinung
Puh, dieses Buch lag lange auf meinem „zu rezensieren“-Stapel, ohne, dass ich so recht wusste, was ich dazu sagen sollte. „Eltern? Das sind die anderen.“ – diese Prämisse klang vielversprechend und auch der Klappentext lockte mit Gleichsetzungen zu Ishiguros Werken, die ich bisher nicht gelesen, aber doch einiges Gutes von ihnen gehört habe. Die Elternschaft einfach auszulagern, das wirkte wie eine kühne, traurige, aber auch irgendwie sehr zeitgemäße Vision. Und ich muss zugeben, die Geschichte nahm auch einen vielversprechenden Beginn. Bis es dann „künstlerisch“ wurde und die beiden Charaktere, jeder natürlich um größtmögliche Individualität bemüht, anfingen, mit der Leihmutter einen symbiotische Beziehung einzugehen. Dieses hochtrabende Setting in der gehobenen Mittelklasse mit freiberuflichen Paaren, die stets unkonventionelle Leben führen habe ich doch leider schon zu oft in Büchern entdeckt, als dass mir dieses – da mag das Setting noch so gut sein – noch zu gefallen vermag.
Spannend waren jedoch die historischen Einschübe, die von großen Persönlichkeiten wie beispielsweise Ada Lovelace erzählen und so rekonstruieren, wie das Bild der perfekten Familie sich über die Jahrhunderte hinweg verändert hat. Sehr interessant! Doch leider waren diese Kapitel gefühlt sehr kurz zwischen den Exzessen und dem Egoismus von Ada und Yves, die allein namentlich auf das komplett veränderte Rollenbild von Adam und Eva anspielen sollen. Die beiden Protagonisten waren beinahe Antagonisten, die in hedonistischem Maße ihrem Leben gefrönt und ihr Kind nur alle Weile besucht haben. Sorgepflicht? Die hat die Leihmutter. Die gesamte Lektüre über begleitete mich das unangenehme Gefühl, dass dieses Buch vielleicht sogar ein wenig Recht hat. Insgesamt, besonders aufgrund des bereits zahlreich gesehenen Settings der Mittelschicht, hat mir Christian Dittloffs „Das weiße Schloss“ trotz des angenehmen Erzählstils und des interessanten Konzepts leider nicht so richtig zugesagt. Schade!
Die Großmutter hatte für das Jenseits gelebt. Die Mutter für ein Leben nach der Rente. Und Ada wollte in der Gegenwart leben.
Christian Dittloff, Das weiße Schloss. Berlin Verlag im Piper Verlag. Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 304 Seiten. ISBN: 978-3-8270-1385-9. Erschienen am 01.08.18. Zur Verlagsseite
Ich habe mir „das weisse Schloss“ wegen zahlreichen guten Rezensionen gekauft und war am Schluss auch nicht so richtig glücklich damit. Ich fand das Konzept sehr spannend aber die Hauptpersonen klangen so unglaubwürdig und unsympathisch, dass sie mir gegen Ende richtiggehend gleichgültig wurden – was natürlich auch die Spannung zerstört hat.
Dafür klingt No More Bullshit echt spannend – das werde ich mir gleich mal notieren.
Liebe Grüsse
Ariana
Hallo Ariana!
Ganz genau so habe ich mich auch gefühlt! Ada und Yves waren so schlimme Charaktere, dass es irgendwie das ganze Buch verhagelt hat 🙁